Nr. 9 vom 23.2.2018

Nr. 9 vom 23.2.2018

Standpunkt

Wie demokratisch ist die
GroKo-Abstimmung?

Als die SPD 2013 ihre Mitglieder schon einmal über eine Regierungsbildung mit der Union entscheiden ließ, gab es noch knapp 475.000 stimmberechtigte Genossen. Trotz fast 25.000 Neueintritten von Abstimmungswilligen in den Wochen bis Anfang Februar sind diesmal 11.000 Mitglieder weniger als vor fünf Jahren zur Teilnahme aufgerufen.

Wegen der – grundsätzlich vernünftigen – Einbindung der SPD-Basis stimmen auch dieses Mal wieder zahlreiche Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft über die Neubildung der Regierung und damit, zumindest teilweise, über die zukünftige Politik in Deutschland ab. Um Mitglied zu werden, muss man nicht die deutsche Staatsbürgerschaft haben (nicht einmal, wenn man sie nicht hat, in der Bundesrepublik Deutschland leben). Die Berliner Genossen beantworten die Frage nach der hiesigen Staatsbürgerschaft als Eintrittsvoraussetzung so: „Nein, egal ob deutsche/r Staatsbürger/in oder nicht, wir freuen uns auf dich!“

Das wäre nun aber noch nicht einmal problematisch, wenn man – ähnlich wie das bei Kandidatenaufstellungsparteitagen gesetzlich ausdrücklich vorgeschrieben ist – bei der Mitgliederentscheidung über die Koalitionsfrage nur SPD-Mitglieder mitstimmen ließe, die Teil des Wahlvolkes sind, also die Wahlrechtsvoraussetzungen erfüllen, insbesondere deutsche Staatsangehörige sind. Das wäre leicht zu bewerkstelligen, ist aber nicht der Fall.

Verfassungsrecht

Wie die Kandidatenaufstellung durch die wahlberechtigten Mitglieder einer Partei von Juristen als „Wahlvorentscheidung“ bezeichnet wird, ist die Koalitionsabstimmung eine „Wahlnachentscheidung“, eine Art Anhang zur Bundestagswahl. Wenn daran nun nicht zum Bundestag Wahlberechtigte mitwirken, ergibt sich ein Widerspruch zu Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes, der lautet: „Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“ Volk in diesem Sinne ist unstreitig das deutsche Volk, hier verstanden als die deutschen Staatsangehörigen. Auch unabhängig von dieser Grundgesetzbestimmung wird Demokratie als eine Herrschaft des Volkes im Sinne der Gesamtheit der Staatsangehörigen definiert.

Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart äußerte schon 2013 Kritik an der Sonderermächtigung der SPD-Basis – auch weil „die Teilnahme an der Mitgliederbefragung offenbar nicht einmal die aktive Wahlberechtigung voraussetzt“. Degenhart hat sich zum neuen SPD-Mitgliederentscheid ebenfalls zu Wort gemeldet und ihn „verfassungsrechtlich höchst fragwürdig“ genannt. Dass dieses Verfahren 2013 vom Bundesverfassungsgericht unter Hinweis auf die Autonomie der Parteien und die auch beim Abschluss einer Koalitionsvereinbarung zwischen politischen Parteien weiterbestehende Freiheit des Abgeordneten gebilligt worden ist, ändert nichts an der Überzeugung des Professors. Er verweist darauf, dass den Deutschen Bundestag nur wählen dürfe, „wer den deutschen Pass besitzt und 18 Jahre oder älter ist. Das gilt für SPD-Mitglieder nicht. Dort dürfen auch Menschen ohne deutschen Pass eintreten und mitbestimmen – sogar schon ab 14 Jahren.“

Interessenlagen

Ein abstimmungsberechtigtes SPD-Mitglied ohne deutsche Staatsbürgerschaft ist der Syrer Abdulrahman Abbasi, der als Asylbewerber ins Land kam. Der „Deutschen Welle“ erklärte er, dass er es richtig findet, trotz fehlender deutscher Staatsbürgerschaft über die Regierungsbildung und damit die Zukunft Deutschlands mitentscheiden zu dürfen. Auf die Frage, aus welchem Blickwinkel er den Koalitionsvertrag bewerte, sagte er, bei seiner Entscheidung „nicht nur auf die Belange der Flüchtlinge“ Rücksicht zu nehmen, schob aber nach: „Ehrlich gesagt, bin ich unzufrieden mit dem Kompromiss zum Familiennachzug von Flüchtlingen.“ Dass Wahlverhalten und Interessenlagen eng zusammenhängen, ist bekannt.

Dietmar Grewe

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 23. Februar 2018

VERSAMMLUNGSFREIHEIT

Das Grundgesetz garantiert allen Deutschen Versammlungsfreiheit, also auch, in einem Demonstrationszug eine gemeinsame Überzeugung sichtbar zu machen. Dennoch konnte der Frauenmarsch in Berlin am 17. Februar nicht wie angemeldet durchgeführt werden. „Gegendemonstranten“ blockierten den Weg.

GROSSE RATLOSIGKEIT

Die Konfliktlinien der Weltpolitik traten auf der Münchner Sicherheitskonferenz offen zutage. Globalisten, Scharfmacher, aber auch Stimmen der Vernunft trafen hier aufeinander. Am ehesten wird wohl der theatralische Auftritt von Benjamin Netanjahu in Erinnerung bleiben. Aber letztlich gilt: Besser, sie reden.

ARMUTSRISIKO KIND

Eine aktuelle Studie der Ruhr-Universität Bochum hat ergeben, dass Alleinerziehende in der Bundesrepublik Deutschland weitaus stärker von Armut bedroht sind als bislang angenommen.

BERLINER SENATSPÄDAGOGIK

„Murat spielt Prinzessin, Alex hat zwei Mütter und Sophie heißt jetzt Ben“. So stellt sich der rot-rot-grüne Berliner Senat die bunte, großstädtische Patchwork-Welt vor, in der sich jeder sozial und sexuell nicht nur neu erfinden kann, sondern offenbar soll. Eine aktuelle Kita-Broschüre unter der Lupe.

ENDE EINER ÄRA

Nach dem Zweiten Weltkrieg war der Steinkohleabbau an Rhein und Ruhr der Motor des deutschen Wirtschaftswunders. In den 50er-Jahren wurden in der jungen Bundesrepublik noch 150 Millionen Tonnen pro Jahr von 600.000 Kumpeln gefördert. Jetzt schließen die letzten Zechen.

GOLDENE MOMENTE

Bei den Olympischen Winterspielen in Pyeongchang polieren deutsche Sportler ihre Bilanz im Vergleich zu den Spielen vor vier Jahren in Sotschi mächtig auf. Die Bundesrepublik erringt Medaille um Medaille. Aber auch Österreicher, Schweizer und Südtiroler kommen nicht mit leeren Händen heim.

„HYPERMORAL“

Moral ist unentbehrlich für individuelles und kollektives menschliches Handeln. In seinem Essay „Hypermoral“ beschreibt der promovierte Philosoph Alexander Grau allerdings, wie gesellschaftliche und politische Fragen mit scheinbar moralischen Argumenten emotionalisiert werden, um Nonkonformisten zu diskreditieren und eine sachliche Debatte zu unterdrücken.

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