Nr. 8 vom 16.2.2018

Nr. 8 vom 16.2.2018

Standpunkt

Gegen das Unsichtbarwerden

Junge Frauen prangern in einem Video die herrschende Politik an: „Wir sind nicht sicher, weil ihr uns nicht schützt. Weil ihr euch weigert, unsere Grenzen zu sichern. Weil ihr euch weigert, zu kontrollieren, wer hier reinkommt. Weil ihr euch weigert, Straftäter abzuschieben. Weil ihr lieber jede Kritik an euch zensiert, als uns ernst zu nehmen.“ Sie rufen andere Frauen dazu auf, unter dem Stichwort „120 Dezibel“ Erfahrungen zu teilen: „Werde laut!“ Ändert es etwas, dass sie der „Identitären Bewegung“ angehören?

Die Stimme ist ein wichtiges Mittel der Selbstverteidigung. Eine feste, laute Stimme strahlt Selbstbewusstsein aus. Mit der Stimme ergreift man selbst die Initiative. Es ist kein Zufall, dass vor einigen Jahren unter dem Motto „Aufschrei“ tausende Frauen ihre Erlebnisse mit sexueller Belästigung schilderten.

Mit der Stimme macht man auch auf sich aufmerksam, wenn man unsichtbar zu werden droht. So geht es zum Beispiel den Mädchen an dem Toulouser Gymnasium, an dessen Beispiel das Magazin „l’express“ Anfang Februar die prekäre Lage vieler „von Gewalt und Islamismus oder beidem geplagter“ französischer Schulen zeigte. Am Lycée Joseph Gallieni in Toulouse herrscht für die Schülerinnen ein bedrückendes Klima. „Raser les murs“ ist der französische Ausdruck, der hier verwendet wird: Die Mädchen streichen an der Mauer entlang, um sich zu verstecken, um sich zu schützen.

Manchmal reicht die eigene Stimme nicht aus, weil sie noch zu leise ist. Darum führen mittlerweile viele Frauen in Europa einen Taschenalarm mit sich. Der soll mit einer Lautstärke von 120 Dezibel bei Gefahr die Umgebung alarmieren und Angreifer möglichst in die Flucht schlagen. Darauf bezieht sich die eingangs erwähnte Kampagne. Sie wählt drastische und eindringliche Worte. Und so verbreitete sich das Video innerhalb kürzester Zeit über die sozialen Netzwerke, wurde zehntausendfach angesehen, ehe es zwischenzeitlich sowohl auf „Facebook“ als auch auf „YouTube“ nicht mehr aufrufbar war.

Während über männlichen Machtmissbrauch, sexuelle Belästigungen und Übergriffe am Arbeitsplatz, im EU-Parlament oder in der Filmbranche breit diskutiert wird, findet eine vergleichbare Debatte über die Gefahren im öffentlichen Raum nicht statt. Das ist umso fataler, als diese Fälle durch ihre Breitenwirkung das Sicherheitsempfinden und die Lebensqualität aller Frauen beeinträchtigen.

Man denke nur an das Pariser Viertel La Chapelle, keineswegs in einem berüchtigten Banlieue gelegen, sondern einen Steinwurf entfernt vom Touristenmagneten Sacre Coeur, für das regionale und überregionale französische Medien bereits Schlagzeilen wie „Für Frauen verboten“ gefunden haben. Solche Entwicklungen machen nicht an der Grenze Halt und sie werden auch durch statistische Finessen nicht zum Nebenschauplatz. Deutschland ist davor nicht gefeit, auch wenn darüber (noch) nicht sehr laut gesprochen wird. In diesen toten Winkel drängt die 120db-Aktion.

Schwach ist die Entgegnung des „Faktenfinders“ der „Tagesschau“, die sich im Wesentlichen durch den Hinweis auf Gewalt gegen Frauen im persönlichen Nahbereich um eine Relativierung bemüht, schwach ist auch die Entgegnung der „Spiegel Online“-Kolumnistin, die der 120db-Kampagne die Glaubwürdigkeit absprechen will, weil sich die Beteiligten nicht schon zuvor für Frauenrechte stark gemacht hätten. Ist nicht jede Frau autorisiert, ihr Recht auf Unversehrtheit, auf Sicherheit und auf Freiheit einzufordern? Und darf es, solange gewisse Kontexte meist ausgeblendet werden, verwundern, wenn jemand aus der Reihe tanzt?

AW

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 16. Februar 2018

ELITENKRISE, KEINE DEMOKRATIEKRISE

Bedeutet der Erfolg einer neuen Partei, ihr Einzug in den Deutschen Bundestag, wirklich eine „Krise der Parteiendemokratie“, wie gerade zum Beispiel im „Spiegel“ beklagt wurde? Oder ist das nicht – ganz umgekehrt – ein Funktionsbeweis der Demokratie?

DROHT DAS GROSSE CHAOS?

Am 4. März stehen in Italien vorgezogene Parlamentswahlen an. Diesmal ist es nicht übertrieben, von einer Schicksalswahl zu sprechen. Es geht um die Zukunft des krisengeplagten Staates, um das Schicksal des Euro, und auch für Südtirol steht eine Menge auf dem Spiel.

WIEN REGIERT

Während in der Bundesrepublik Deutschland Etablierte ein großes Durcheinander anrichten, präsentieren die Ressorts der neuen österreichischen Bundesregierung erste Gesetzesentwürfe und Reformvorhaben.

ORBÁNS NEUER SCHACHZUG

Ein Gesetzentwurf der ungarischen Regierung sieht Sanktionen für Organisationen vor, die illegale Migration fördern. Beispielsweise könnten Strafsteuern drohen, die Ungarn dann in den Grenzschutz investieren will. Wen dies treffen könnte.

KÖNIGE DES WINTERSPORTS

Aus deutscher Sicht verlaufen die Olympischen Winterspiele in Südkorea erfolgreich. In der Nordischen Kombination, einer traditionsreichen Disziplin, müssen Athleten in anspruchsvollen Doppelwettkämpfen Höchstleistungen vollbringen.

GOTT ERHALTE FRANZ, DEN KAISER

Vor 250 Jahren erblickte Franz Joseph Karl von Habsburg-Lothringen das Licht der Welt. Als Kaiser Franz II., der Joseph Haydn zu seiner Hymne inspirierte, regierte er ab 1792 das Heilige Römische Reich deutscher Nation, bis er sich gezwungen sah, die Krone des unter den Schlägen Napoleons zerfallenen Reiches niederzulegen.

PFLEGEMAFIA AGIERT BUNDESWEIT

In Düsseldorf sind neun Mitglieder einer sogenannten russisch-ukrainischen Pflegemafia wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs beziehungsweise gewebsmäßiger Geldwäsche verurteilt worden. Damit aber ist das Problem nicht gelöst.

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