Nr. 6 vom 1.2.2019

Nr. 06 vom 1.2.2019

Standpunkt

Besser als die Erwachsenenwelt,
aber nicht immer konsequent

Engagement ist wichtig. Doch das heißt nicht, dass man inneren Widersprüchen nicht nachgehen sollte; schließlich kann konstruktive Kritik auch weiterbringen. Und da fällt bei den freitäglichen Schülerdemonstrationen für Klimaschutz auf, dass sie sich vorwiegend mit jenen Aspekten befassen, die – wie der Kohleausstieg – keine durchgreifenden Schlussfolgerungen für den persönlichen Lebensstil nach sich ziehen.

Wer politische Maßnahmen gegen „Kohleschmutz“, „Keine Kohle für Kohle“ und „Kohlekraft wird plattgemacht“ fordert, verlangt – isoliert betrachtet – von sich noch keinen Verzicht. (Ja, da ist das verpönte Wort, vor dem die mit dem Mundwerk „grüne“ Partei heute panische Angst hat, zumal sich ihre Führungsriege aus Vielfliegern in dem Punkt verstecken muss.)

Wenn man Teilnehmern der Demos zuhört, sich mit ihnen unterhält, kann man feststellen, dass auch bei nicht wenigen der jungen Leute das persönliche (aber oft von sogenannten „Influencern“ auf Youtube induzierte) Vergnügungs- und Konsumprogramm – Ferientrip nach New York etc. – weiterläuft. Der offensichtliche Widerspruch zu den selbst vorgetragenen Zielen, die Wirkungslosigkeit der öffentlichen Selbstverpflichtung, die in einer solchen Demonstrationsteilnahme eigentlich liegt, gibt dann doch zu denken.

Nun sind die Jugendlichen in dem Punkt nicht schlechter, sondern – nicht zuletzt aufgrund der geringeren finanziellen Spielräume – besser als die Erwachsenenwelt. Man kann auch eine Runde begüterter achtzigjähriger Damen über den Klimaschutz räsonieren hören, die dann das Gespräch direkt zu ihrer bevorstehenden Dubai-Reise überleiten.

Mit „traumhaften Kreuzfahrten“
den Kollaps verhindern?

Trotzdem würde man sich von einer aufbegehrenden jungen Generation wünschen, dass sie die Dinge stärker von der Wurzel her anpackt, also auch den Globalismus und die Doktrin der weltweiten Verfügbarkeit von Menschen, Gütern und „Destinationen“ (zum Siedeln und zum Urlauben) in den kritischen Blick nimmt. Sonst läuft sie Gefahr, über das doppelmoralische Niveau der Meinungsmacher beim „Spiegel“ nicht hinauszukommen, die ihrer Ausgabe vom 2. Februar 2019, in der sie unter der Überschrift „Den Kollaps verhindern“ den Schülerdemonstranten Beifall zollen, eine Hochglanzwerbung für „Spiegel“-Leserreisen mit Kreuzfahrtschiffen unter anderem ins südliche Afrika („inklusive Flüge deutschlandweit über Johannesburg nach Victoria Falls und zurück von Kapstadt sowie Inlandsflug von Victoria Falls nach Kapstadt“) und nach Asien („inklusive Flüge deutschlandweit nach Dubai und zurück von Hongkong“) beifügten. Die „Spiegel“-Redakteure wollen die Demonstrationen wohlweislich nur als „gegen die Umweltpolitik“ gerichtet begreifen. Nicht dass noch jemand auf die Idee kommt, Kants kategorischen Imperativ wiederzuentdecken.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 1. Februar 2019

SPIELBALL VENEZUELA

Der Versuch, den von den USA unterstützten Gegenpräsidenten Juan Guaidó von außen zu stabilisieren, treibt das geopolitische Tauziehen um Venezuela auf die Spitze. Leidtragender ist vor allem das Volk.

PROCTER & GAMBLE ERKLÄRT DIE WELT

Der P&G-Konzern setzt in einem Werbespot für den Rasierer Gillette auf Plattitüden und Klischees, wo es um die Dekonstruktion traditioneller Vorstellungen von Männlichkeit gehen soll. Episoden der Unternehmensgeschichte zeigen, dass der Konzern kein Hort von Ethik und Moral ist.

IMMER NUR DRUCK

Das EU-Establishment hat sich beim Ringen um den Brexit verkalkuliert. Brüssel trägt nicht nur wesentlich dazu bei, dass den Politikern in London eine weitere Mitgliedschaft in der Europäischen Union vergällt ist, sondern ließ auch Respekt gegenüber der Entscheidung des britischen Wählers vermissen.

SPRINGT DER FUNKE ÜBER?

Die Dynamik und Anziehungskraft der französischen Gelbwesten-Bewegung ist ungebrochen. Wieder kamen landesweit fast 70.000 Menschen zusammen. Während Macron mit einer großen nationalen Debatte die Proteste einzudämmen versucht, fanden sich in Bundesrepublik Deutschland die ersten Nachahmer in Warnwesten zusammen.

SCHWEDENS NEUE REGIERUNG

Vier Monate nach der Wahl zum schwedischen Riksdag hat das Parlament dem bisherigen Ministerpräsidenten Stefan Löfven eine zweite Amtszeit zugebilligt. Das war nicht selbstverständlich, denn schließlich hätte es andere Optionen gegeben. Doch die Front gegen die Schwedendemokraten hielt vorerst.

DIE SCHNEIDER-BRÜDER AUS SIBIRIEN

„Tiefstpreise jeden Tag“ verspricht „Mere“ in Leipzig, wo die Kette am 29. Januar auf knapp 1.000 Quadratmetern Fläche ihre erste deutsche Filiale eröffnete. Der russische Einzelhändler Torgservis bringt auf diesem Wege das Einkaufserlebnis der sechziger Jahre zurück. Wie die Schneider-Brüder aus Sibirien den deutschen Markt angehen.

AUF DEN SPUREN FRIDTJOF NANSENS

Das deutsche Forschungsschiff „Polarstern“ bereitet sich auf eine einzigartige Expedition vor. Ab Herbst wollen die Wissenschaftler ihr Schiff in der Arktis einfrieren lassen und sich dann mit den Eismassen von der Polardrift treiben lassen. Sie erhoffen sich so neue Erkenntnisse über das Klima in der Arktis.

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