Nr. 51 vom 14.12.2018

Nr. 51 vom 14.12.2018

Standpunkt

Wohin führt Merkels Messianismus?

Eine Religion für sich schien Merkel auf der Konferenz zur Annahme des Migrationspakts am 10. Dezember zu zelebrieren. Es lohne sich, so beendete sie ihre Rede in Marrakesch, „um diesen Pakt zu kämpfen – einmal wegen der vielen Menschen, die daraus ein besseres Leben bekommen können, aber zum anderen auch wegen des klaren Bekenntnisses zum Multilateralismus. Nur durch den werden wir unseren Planeten besser machen können – und dem fühlt sich Deutschland verpflichtet.“ Deutschland werde „sich auch in seiner weiteren Umsetzung eng einbringen zum Wohle der Menschen auf unserem Planeten“.

Das Signal aus Deutschland sollte weltweit gehört werden und deshalb hielt es Merkel, im Unterschied zu den allermeisten anderen Staats- und Regierungschefs von Staaten, die den Migrationspakt annahmen, für angebracht, persönlich zu erscheinen. Tatsächlich richteten sich die Blicke nicht nur der Marokkaner auf sie, die weltweit als Symbol der Bereitschaft gilt, Menschen ohne Rücksicht auf Woher und Wohin in Deutschland aufzunehmen.

„Ganz natürlich, immer wieder“

Der „Globale Pakt für sichere, geordnete und reguläre Migration“ beschreibe „schon in seinem Titel sein Ziel ganz klar“, meinte Merkel in ihrer Rede und brachte ihr Weltbild zu folgendem Ausdruck: „Migration ist etwas, das ganz natürlich und immer wieder vorkommt und das, wenn es legal geschieht, auch gut ist.“ Nun ist nichts einfacher, als Migration zu legalisieren, dazu reichen ein paar Sätze des Gesetzgebers. Entscheidend ist, wie bei allem, vielmehr die Dosis und die Beschaffenheit.

Merkel schreckte in Marrakesch nicht davor zurück, die EU-Freizügigkeit als Modell heranzuziehen: „Wir kennen innerhalb der Europäischen Union die Freizügigkeit zum Zwecke der Aufnahme von Arbeit. Das ist ein Teil unseres Binnenmarkts; und das schafft uns mehr Wohlstand. Deshalb ist die Arbeitsmigration innerhalb der Europäischen Union klar geregelt, auch entsprechend den Prinzipien dieses Pakts. Es geht um gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Es geht um vernünftige Standards. Das alles ist also für uns innerhalb der Europäischen Union selbstverständlich. Deutschland ist ein Land, das aufgrund seiner demografischen Entwicklung auch in Zukunft vermehrt Fachkräfte, auch vermehrt aus Ländern außerhalb der Europäischen Union, brauchen wird.“

In ihrer Rede postulierte Merkel: „Wir Staaten können doch nicht akzeptieren, dass über die Frage, ob jemand von einem Land in ein anderes kommt, Schlepper und Schleuser entscheiden.“ Aber daraus will sie bekanntlich keinesfalls den Schluss ziehen, dass über sichere Drittstaaten anreisende Asylmigranten gemäß der gesetzlichen Regelung des § 18 Absatz 2 Nr. 1 Asylgesetz von der Bundespolizei an der Einreise ins Bundesgebiet gehindert werden. Wenn Merkel weiter ausführt: „Es muss doch unser Anspruch sein, dass wir unter den Staaten Fragen der Migration legal regeln“, schwebt ihr offenbar eine andere Legalität als die des Grundgesetzes, des Asylgesetzes und des deutschen Ausländerrechts vor, die ja schon bisher einen Rechtsrahmen bilden, der auch Raum für die Einreise qualifizierter Kräfte bietet.

Dann wandte sich Merkel gegen die Kritiker des Pakts: „Nun wissen wir alle, dass illegale Migration wegen der unterschiedlichen Entwicklungschancen auf der Welt in unseren Ländern zum Teil sehr große Ängste verursacht. Diese Ängste werden von den Gegnern dieses Pakts benutzt, um Falschmeldungen in Umlauf zu bringen.“

Die Warnung von Professor Schorkopf

Aber wie steht es mit Wahrheitsgehalt und Vollständigkeit von Merkels Aussagen in Marrakesch? Etwa, nach dem Pakt bestimmten die Mitgliedstaaten souverän ihre Politik. Gleichzeitig sei er „auch rechtlich nicht bindend“. Hat nicht gerade der Göttinger Professor Frank Schorkopf – er lehrt Öffentliches Recht und Europarecht – in einem bemerkenswerten „Spiegel“-Interview erklärt: „Die politischen Pflichten des Paktes entziehen Standpunkte in Migrationsfragen, die bislang kontrovers waren, der politischen Debatte. Behörden und Gerichte können solches Soft Law schon jetzt heranziehen, um geltendes Recht auszulegen.“ Als ein Beispiel nannte Schorkopf die Pflicht, Sozialleistungen an Migranten diskriminierungsfrei zu erbringen, wobei eine unterschiedliche Behandlung zu Einheimischen „verhältnismäßig“ sein müsse. Auch könne es sein, dass „eine erweiterte DNA-Analyse, deren Einführung rechtspolitisch diskutiert wird, unmöglich wird“. Zudem bemühe der Pakt „an mehreren Stellen eine sogenannte Shared Responsibility“, aus der „verschiedene Akteure“ sehr weitreichende Pflichten entwickeln könnten: „Einwanderungskontingente auszuweiten, Herkunfts- und Transitländer finanziell zu unterstützen oder auch illegalen Immigranten einen legalen Status zu eröffnen.“ Schorkopf, ein Mann sorgfältiger juristischer Analyse, betrachtet den Migrationspakt daher als „beunruhigendes Dokument“, als „Manifest der Willkommenskultur“.

Hermann Hesses Bild von der Hölle auf Erden

Auf dem Hamburger CDU-Parteitag forderte ein Parteifreund Merkels, der Delegierte Eugen Abler, in einer unerschrockenen Rede von ihr, „diesen Migrationspakt nicht zu unterschreiben, wie bereits mehrere Nachbarländer“. Er verwies auf einen Gesichtspunkt, der bei Merkel nicht die geringste Rolle spielt: „Der Staat hat aber die Pflicht, nicht nur den Bürger, sondern auch seine kulturelle Identität zu schützen.“

Wer Hermann Hesses Roman „Der Steppenwolf“ kennt, kann zu der Ansicht gelangen, dass Merkels Erlösungsideologie vom „besseren Planeten“ in einer Katastrophe endet. Im „Vorwort des Herausgebers“ zitiert Hesse ein zentrales „Wort Hallers“ (er ist der „Steppenwolf“). Es lautet: „Jede Zeit, jede Kultur, jede Sitte und Tradition hat ihren Stil, hat ihre ihr zukommenden Zartheiten und Härten, Schönheiten und Grausamkeiten, hält gewisse Leiden für selbstverständlich, nimmt gewisse Übel geduldig hin. Zum wirklichen Leiden, zur Hölle wird das menschliche Leben nur da, wo zwei Zeiten, zwei Kulturen und Religionen einander überschneiden.“

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 14. Dezember 2018

AUFSTAND GEGEN MACRON

Der Protest der „Gelben Westen“ in Frankreich, der sich ursprünglich gegen Steuererhöhungen auf Benzin und Diesel richtete, hat sich zu einer Volksbewegung für mehr Kaufkraft ausgewachsen. Die Präsidentschaft Macrons am Scheideweg.

ANGRIFF AUF EINEN WELTKONZERN

Die Verhaftung der Huawei-Finanzchefin Meng Wanzhou am 6. Dezember ließ nicht nur die Kurse an den Börsen einbrechen. Wie Washington seine Sanktionspolitik gegen den Iran weltweit durchzusetzen sucht.

BÜRGERRECHT AUF EIN
FUNKTIONIERENDES GEMEINWESEN

In der Berliner Landespolitik klappt nach Auffassung des Tübinger Oberbürgermeisters so wenig, dass von Scheitern gesprochen werden müsse. Er komme „mit dieser Mischung aus Kriminalität, Drogenhandel und bitterer Armut auf der Straße“ nicht klar. Die Aufregung um Boris Palmer.

WARUM RIET NIEMAND ELMA C.
ZUR VORSICHT?

Geben Fälle wie die Tötung der 17-Jährigen aus Unkel jenseits der unterschiedlichen Interpretationen Anlass, darüber nachzudenken, in welche Richtung sich Deutschland entwickeln soll? Und könnten nicht auch für das Bundesgebiet differenzierte Sicherheitshinweise nach Art der Reisehinweise erfolgen, wie sie die Außenministerien in Berlin, Bern und Wien für ausländische Staaten erteilen?

AUSBAU MIT DIFFERENZEN

Die Debatte im Bundestag zum Energiesammelgesetz verdeutlichte einmal mehr, wie schwierig es ist, auf dem Politikfeld „Erneuerbare Energien“ einen Konsens zu finden. Bis zum Jahre 2030 soll nunmehr Strom aus erneuerbaren Quellen etwa 65 Prozent des deutschen Strombedarfs decken.

MITEINANDER UMGEHEN

Die Zeit im Advent lädt dazu ein, innezuhalten und zu hinterfragen, ob der Umgang mit dem Nächsten in einer Weise gepflegt wird, die ein gesellschaftliches Miteinander stärkt. Politische Machtkämpfe, innerparteiliche Schlachten, Denunziation und die Schutzlosstellung ungeborenen Lebens tragen dazu jedenfalls nicht bei.

EIN LEBEN, SCHWER WIE
ORGELKLANG

Vor 85 Jahren fand in Köln die Uraufführung der „Weihnachtsgeschichte“ statt, eines A-capella-Chorwerkes, das zum berühmtesten Stück seines fast in Vergessenheit geratenen Komponisten werden sollte. Wer war Hugo Distler, dessen musikalisches und schöpferisches Herz an der Erneuerung der evangelischen Kirchenmusik hing?

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