Nr. 50 vom 6.12.2019

Standpunkt

Hält die GroKo?

Ist das neue Spitzenduo – Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans – eine gute Wahl für die SPD? Klar war, dass sie sich positionieren musste, wenn sie irgendwann wieder wahrnehmbar werden und dem Vorwurf der Ununterscheidbarkeit entgegenwirken wollte. Und aufgrund der Ausrichtung des Koalitionspartners CDU, der von der Mitte immer weiter auf die „linke“ Spur drängt, blieb ihr wenig anderes übrig, als selbst in diese Richtung auszuweichen.

Inwieweit Esken und Walter-Borjans sich bewähren oder schlicht, gemäß dem „Peter-Prinzip“, bis zu der Stufe aufgestiegen sind, für die sie nicht mehr befähigt sind, bleibt abzuwarten. Nowabo, wie der 1952 geborene Walter-Borjans sich abgekürzt rufen lässt, machte sich als Finanzminister von NRW (2010–2017) mit dem Kauf von Steuer-CDs einen Namen. Der von ihm verantwortete Etat wurde mehrmals vom Landesverfassungsgericht als verfassungswidrig gerügt. Die Schulden des bevölkerungsreichsten Bundeslandes wuchsen unter dem Finanzminister Nowabo um fast 30 Prozent.

Für das politische Comeback des 67-Jährigen soll Kevin Kühnert verantwortlich sein. Der 30-Jährige gab ihm wohl den Schubser, den er zur gemeinsamen Kandidatur mit Esken gebraucht hatte. Esken hätte auch gerne Kühnert selbst an ihrer Seite gehabt, dem sie ihrerseits, so schreibt es die Neue Zürcher Zeitung, wohl „schon positiv aufgefallen sein“ muss: „Eine Frau, die wie er die große Koalition kritisierte, gegen Uploadfilter im Netz ist und das Geordnete-Rückkehr-Gesetz für abgelehnte Asylbewerber der Regierung nicht unterstützte. Eine Frau, die zwar kaum jemand kannte, aber die zweifellos eine Dissidentin war. Kühnert organisierte die Unterstützung der Juso, Walter-Borjans garantierte viel Unterstützung aus Nordrhein-Westfalen, dem mitgliederstärksten Landesverband der SPD.“

Esken, Jahrgang 1961, ist im Schwarzwald daheim, seit 2013 Bundestagsabgeordnete und Mitglied der Gruppe Parlamentarische Linke in der SPD-Fraktion. 2017 stand sie in Baden-Württemberg auf Listenplatz 15, der angesichts der mageren Umfragewerte heute sehr wackelig wäre. Glaubt man der FAZ, kam ihre Aufstellung für die letzten Bundestagswahlen zustande, weil die SPD „nicht nur Städter“ nominieren wollte. Nach Abbruch ihres Studiums der Germanistik und Politologie absolvierte die gebürtige Stuttgarterin, Mutter dreier Kinder, eine Ausbildung zur Informatikerin, sie sitzt im Bundestagsausschuss Digitale Agenda.

Dass Bundesfinanzminister Olaf Scholz, das einzige wirkliche Schwergewicht im Wettlauf um die Parteispitze, nun unterlegen ist, veranlasste die NZZ zu folgendem Fazit: „Nach der Wahl ist er zur Merkel der SPD geworden – er regiert noch mit, aber seine Zeit ist abgelaufen.“

Das führt zu der nach der Wahl der neuen SPD-Spitze meistdiskutierten Frage: Was wird aus der Großen Koalition? Beide Neuen gelten als Skeptiker des Regierungsbündnisses, wobei sich Esken, Befürworterin von Rot-Rot-„Grün“ auf Bundesebene, in dieser Frage im Vorfeld der Mitgliederbefragung immer exponierter geäußert hat.

Auf jeden Fall wollen sie den Koalitionspartner zu Zugeständnissen bewegen, etwa beim Klimapaket (den Preis pro Tonne Kohlendioxid auf 40 Euro anheben) und dem Mindestlohn (zwölf Euro pro Stunde). Währenddessen verlangte CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer ein klares Bekenntnis zum Regierungsbündnis als Voraussetzung dafür, das Lieblingsprojekt der SPD, die Grundrente, weiterhin zu unterstützen.

Ob diese harten Bandagen notwendig waren? Gewiss ist, dass die SPD bei vorgezogenen Wahlen erheblich Federn lassen würde. Das träfe letztlich jene Genossen mit einem Mandat, um das sie zittern müssten. Ebendieses Mandat sichert ihnen aber noch jenen innerparteilichen Einfluss, um sich Neuwahlen widersetzen zu können.

Auch die CDU kann kein großes Interesse daran haben, nun mit schlechten Umfrageergebnissen und einer schwachen Kanzlerkandidatin ins Rennen zu gehen, und dürfte entsprechend ihre Strapazierfähigkeit in Sachen GroKo ausreizen. Nicht zuletzt wäre es für Angela Merkel ein schmachvoller Abgang, könnte sie nicht wie angekündigt ihre letzte Amtszeit regulär beenden. So gesehen sitzt die chaotische SPD tatsächlich an einem recht langen Hebel.

Einige der Themen in der Ausgabe vom 6. Dezember 2019

„WIR STEHEN MIT DEM RÜCKEN
ZUR WAND“

Protest gegen die Agrarpolitik: In der vergangenen Woche waren Tausende Bauern dem Aufruf der Initiative „Land schafft Verbindung – Wir bitten zu Tisch“ gefolgt. Sie kamen in einer Sternfahrt nach Berlin, um auf ihre prekäre Situation aufmerksam zu machen. Die CDU muss um eine Kernwählerschaft bangen.

WIE SICHER SIND UNSERE MUSEEN?

Nach dem Dresdner Juwelenraub und dem Diebstahl im Berliner Stasi-Museum ist ein Umdenken unerlässlich. „Kunstschätze statt Bürger überwachen“, forderten Demonstranten vergangene Woche in Dresden. Warum sie damit nicht falsch liegen.

WER SEINE GRENZEN SCHÜTZT – UND WER NICHT

Das Hin und Her um die illegale Wiedereinreise des zuvor in den Libanon abgeschobenen Clan-Chefs Ibrahim Miri, seinen Asylantrag und seine nochmalige Abschiebung hat der Öffentlichkeit abermals die Defizite der von der Regierung Merkel praktizierten Asyl- und Zuwanderungspolitik vor Augen geführt.

GROSSBRITANNIEN VOR DEN WAHLEN

Die Lage vor den Wahlen in Großbritannien. Mitstreiter von Premier Boris Johnson weisen unermüdlich darauf hin, dass der Austritt Großbritanniens aus der EU noch immer in Gefahr sei und die Wahlen knapper als von vielen erwartet ausfallen könnten. Brexit, Soziales, Sicherheit: Womit Tories und Labour punkten wollen.

AUF DIE WORTWAHL KOMMT ES AN

Die aggressive Wortwahl politischer Mitbewerber und großer Teile der schreibenden Zunft gegenüber der AfD bleibt nicht ohne Folgen. Immer öfter glauben sich dadurch manche Zeitgenossen im Recht, wenn sie Mitglieder oder Sympathisanten der jungen Partei ausgrenzen, ächten, bedrohen oder auch mit Gewalt überziehen. Selbst Kinder werden nicht verschont.

DOPPELMÖRDER ODER JUSTIZOPFER?

Der in den USA wegen Doppelmordes verurteilte deutsche Staatsbürger Jens Söring, Sohn eines Diplomaten, ist gemäß Entscheidung des Begnadigungsausschusses des US-Bundesstaates Virginia nach fast 30 Jahren Haft auf freien Fuß gesetzt worden. Warum der Fall damit noch nicht abgeschlossen ist.

HERRNHUTER STERN UND FRÖBELSTERN

Sterne als Reminiszenz an den himmlischen Wegweiser zum Stall von Bethlehem gehören zu den zentralen Motiven im Advent. Vielfältig sind ihre Erscheinungsformen. Der Herrnhuter Stern und der Fröbelstern sind zwei Klassiker der Weihnachtsdekoration. Ihre aufschlussreiche Geschichte.

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