Nr. 49 vom 30.11.2018

National-Zeitung 49/2018

Standpunkt

Merz setzt am falschen Punkt an

Es ist bezeichnend, welche realistischen Optionen für den CDU-Vorsitz nun bestehen. Da ist einerseits Annegret Kramp-Karrenbauer, die ohne Abstriche das Vorgehen der Regierung Merkel stützt, die Wiedereinführung von Grenzkontrollen mit der bis heute geltenden pauschalen Einreisegestattung für über sichere Drittstaaten anreisende Migranten zu verbinden. „Ich stand und stehe immer noch zu der Entscheidung der Bundesregierung“, man müsse „auch in einer nationalen Drucksituation“ die Kraft haben, weiter „auf Europa“ (gemeint ist die EU) zu „setzen“, lautet die an einen Vabanquespieler erinnernde Losung von AKK im Interview der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

Nebelkerze Grundgesetzdebatte

Und dann als Alternative zu diesem Personalangebot Angela Merkels ein Herausforderer, Friedrich Merz, der, obwohl Rechtsanwalt, seine reichlich späte Kritik an der derzeitigen Praxis so formuliert, als wäre die Zeit stehen geblieben, der insbesondere die Fachdebatte zu dem zentralen Thema der Zurückweisung von Asylmigranten, die über sichere Drittstaaten anreisen, nicht verfolgt zu haben und auch maßgebliche Einschätzungen dazu nicht zu kennen scheint (sei es den Beitrag „Einreisen lassen oder zurückweisen?“ der Jura-Professoren Alexander Peukert, Christian Hillgruber, Ulrich Foerste und Holm Putzke in der „Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik“ 2016, S. 131, oder das Gutachten des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Professor Hans-Jürgen Papier zur Einreiseverweigerung). Und der deshalb mit der Nebelkerze aufwartet, über das Asylrecht im Grundgesetz „reden“ zu wollen, obwohl hier nicht das Problem ist.

Denn die rechtlichen Voraussetzungen, um an der Bundesgrenze nach § 18 Absatz 2 Nr. 1 Asylgesetz die Einreise zu verweigern, liegen seit der Grundgesetzänderung von 1993 vor – und EU-Recht steht entgegen einer verbreiteten Behauptung auch heute nicht entgegen. Diesen Standpunkt hat die Bundesregierung selbst, so bei der Beantwortung parlamentarischer Anfragen 2016, wiederholt eingenommen (Maßnahmen der Zurückweisung an der Grenze mit Bezug auf um Asyl ersuchende Nicht-EU-Staatsangehörige kommen danach lediglich „derzeit nicht zur Anwendung“) – man war und ist nur nicht bereit, daraus Folgerungen zu ziehen, wie es Spitzenbeamte insbesondere aus dem Bundesinnenministerium und den ihm unterstehenden Behörden vergeblich verlangten. Und Merkel ist unverändert entschlossen, von der für jedermann offenen Bundesgrenze, an der man nur Interesse an Schutz oder Asyl in der Bundesrepublik bekunden muss, um drinnen zu sein, kein Jota abzugehen.

Eine Weisung des Innenministers genügt

AKK hat also klar gemacht, dass sie diesen Kurs zu einhundert Prozent billigt. Und Merz ist offenbar nicht willens, an der Stelle anzusetzen, an der angesetzt werden müsste. Denn das wäre eine einfache Weisung des Bundesinnenministers an die Bundespolizei, zur Regelung von § 18 Absatz 2 Nr. 1 Asylgesetz zurückzukehren, wonach eine Asyleinreise über sichere Drittstaaten nicht zugelassen wird. Damit wäre de Maizières gegenteilige Anordnung vom 13. September 2015 Geschichte.
Dies wäre auch der unter humanitären Gesichtspunkten beste Weg, da die offene deutsche Bundesgrenze einen wichtigen Pull-Faktor darstellt, der Menschen dazu bewegt, ihre Familien und ihr Hab und Gut zurückzulassen beziehungsweise aufzugeben und sich auf eine unsichere Reise zu begeben. Wer den Magneten nicht abschaltet, heuchelt, wenn er dann Trauer über infolgedessen Ertrunkene bekundet.

Merkel hat sich am 13. November 2018 im EU-Parlament erneut als Technokratin reinsten Wassers ohne jedes positive Empfinden für die Nation gezeigt, als sie von „ein bis 1,5 Millionen“ Syrern und Irakern sprach, die „ganz Europa“ in einer dramatischen Situation aufgenommen habe. „Glauben Sie eigentlich, dass das etwas ist, was uns sozusagen in die Handlungsunfähigkeit bringen kann?“, fragte die Kanzlerin ins Plenum.

Als ob es darauf ankäme, dass Merkel an ihrer Schaltstelle zwischen Kanzleramt und Panzerlimousine handlungsfähig bleibt und die Kommunikationsstränge zu den ausführenden Organen noch bestehen. Entscheidend ist doch, neben der allgemeinen kulturellen Weichenstellung, welche Auswirkungen ein solcher Zustrom in zigtausenden „Einzelfällen“ hat. Und da lässt sich sagen, dass mehr als nur die „Handlungsfähigkeit“ auf dem Spiel steht – nämlich der gesellschaftliche Friede, Leben, körperliche und psychische Gesundheit, Bewegungsfreiheit – und dass inzwischen schweres Leid von Opfern und deren Familien zu beklagen ist. In Freiburg und Köln etwa funktioniert sicherlich weiterhin die Verwaltung, aber das Lebensgefühl dieser Städte ist angeknackst, wenn nicht zerbrochen – und ihre Namen lösen heute andere Assoziationen aus als noch vor drei Jahren.

Viel Guthaben verbraucht

Von alldem ist bei Merkel nicht die Rede, allenfalls davon, dass sie wisse, dass „mein Gesicht polarisierend ist“, wie sie in Chemnitz sagte. Das ist freilich das geringste Problem und auch das uninteressanteste – höchstens ein Nebeneffekt der „Verwerfungen“, die die gewollte Umwandlung Deutschlands in eine „multiethnische“ Gesellschaft hervorruft.

Aber um doch noch einmal auf die „Handlungsfähigkeit“ zurückzukommen. Es ist nicht die Aufgabe der Nationalstaaten, die Globalisierung zu forcieren, sondern sie und ihre Auswirkungen zu mildern und die eigene Souveränität – sowie die Souveränität der Kulturen – zu behaupten. Da die Geschichte eine lange Aneinanderreihung „dramatischer Situationen“ ist, hat die Regierung Merkel einen schmerzhaft großen Teil des Guthabens, das dem deutschen Volk bei dieser Aufgabe zur Verfügung stand, aus der Hand gegeben. Umso deutlicher muss die Abkehr von diesem Irrweg ausfallen.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 30. November 2018

WIDERSPRÜCHLICHE SIGNALE

Für eine „freiwillige Rückkehr“ von Migranten wirbt das Bundesinnenministerium derzeit mit großen Plakaten (die sich freilich eher an den deutschen Wahlbürger zu richten scheinen), gleichzeitig aber ist die Regierung zur Annahme des Migrationspakts entschlossen, der nichts anderes als ein Megasignal an Wanderungswillige ist. Auch die überwältigende Unterstützung für die Petition gegen den GCM bewegt die Regierung nicht zum Umdenken.

INSPIRIEREND?

Frank-Walter Steinmeier nannte bei einer Rede in Johannesburg/Südafrika den „Traum der Regenbogennation“ auch für Deutschland inspirierend. Dabei ist das gesellschaftliche Leben in einer diversen Gesellschaft nicht zwangsläufig von Frieden und Erfolg geprägt.

AUFSTAND DER GELBWESTEN

Frankreich in Aufruhr: Obwohl es bei den massenhaften Protesten gegen hohe Spritpreise und Lebenshaltungskosten zuletzt zu Ausschreitungen mit Verletzten und Festnahmen kam, ist für die Bewegung der „gelben Westen“ der Rückhalt in der Bevölkerung groß.

STROBLS SPURWECHSEL

Baden-Württemberg strebt nun an, den Personalbedarf in der Kranken- und Altenpflege verstärkt mit Migranten zu decken. Abgelehnte Asylbewerber, die einen Pflegeberuf erlernen, können fortan nicht mehr zurückgeführt werden.

NOCH VERTEIDIGUNGSFÄHIG?

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat sich als Fehlbesetzung erwiesen. Ihr Traum, Nachfolgerin von Kanzlerin Merkel zu werden, ist längst geplatzt, und die Folgen der einseitigen Ausrichtung der Bundeswehr auf Auslandseinsätze sind verheerend.

RÜCKKEHR DER INDUSTRIEPOLITIK

In der Bundesrepublik Deutschland soll eine Milliarde Euro an Fördergeld fließen, um eine Batteriezellenproduktion aufzubauen. Damit kündigt sich ein einschneidendes wirtschaftspolitisches Umdenken an.

FORTSCHRITTE BEIM TIERSCHUTZ

Noch immer werden Jahr für Jahr fast 50 Millionen männliche Küken kurz nach dem Ausschlüpfen getötet. Schon seit Jahren protestieren Tierschützer dagegen. Jetzt könnten neue Methoden der Geschlechtsbestimmung das Töten beenden.

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