Nr. 48 vom 23.11.2018

Nr. 48 vom 23.11.2018

Standpunkt

Steht Merz für bewahrende Politik?

Dass die Schützenhalle seiner Heimatstadt Arnsberg, wo der CDU-Kreisparteitag nun Friedrich Merz’ Nominierung zum Kandidaten für die Parteispitze besiegelte, die Schützenlosung „Glaube, Sitte, Heimat“ führt, mag manchem als Illustration für die konservativen Hoffnungen vieler CDU-Anhänger scheinen.

Merz war lange genug von der Politikbühne verschwunden, um als Projektionsfläche solcher Wünsche zu dienen. Man erinnert sich an seinen Anstoß zur „Leitkultur“-Debatte und die Ablehnung des Multikulturalismus. (Allerdings hatte auch Merkel noch 2010 öffentlich bekannt, „Multikulti“ sei „absolut gescheitert“.) Neben dem „Bierdeckel“-Gleichnis in Sachen Steuern blieben noch seine Vorliebe für einen schlanken Sozialstaat in Erinnerung und vor allem seine an Feindschaft grenzende Rivalität zur heutigen Kanzlerin. Das ist aber schon das einzige, was wirklich für ihn spricht: Er ist nicht Merkel.

Primitive Entgleisung

Sein Plan, die AfD zu „halbieren“, hat mit der maximalen Diffamierung, die Oppositionspartei sei „offen nationalsozialistisch“, bereits begonnen. Von Kompetenz zeugt diese Verleumdung nicht. Der AfD-Politiker Götz Frömming kommentierte, Merz habe sich keinen Gefallen getan: „Wer so primitiv und geschichtsvergessen gegen demokratische Mitbewerber hetzt, ist für höhere Ämter ungeeignet.“ Auch die „Zeit“ beanstandete den „kruden Nazivergleich“. „Man muss die AfD nicht mögen, um ihr beizupflichten: Diese Aussage von Merz ist eine ‚ungeheuerliche Entgleisung’.“

Merz stellte sich in der vergangenen Woche den „richtigen Fragen“ der „Bild“. Hier sagte er, Merkels Initialeinladung für die Migranten in Ungarn im September 2015 sei richtig gewesen, obschon er den anschließenden Kontrollverlust kritisch sehe. Den UN-Migrationspakt lehnt er nicht ab und unmissverständlich hält er fest: „Wir sind längst ein Einwanderungsland.“

Ferner will er Emmanuel Macrons Bemühungen um mehr europäische Integration unterstützen und findet, ein überproportionaler finanzieller EU-Beitrag Deutschlands sei im Interesse des Landes, denn „scheitert Europa, schadet das Deutschland“. Eine europäische Armee hält er für richtig.

Dem Globalismus verpflichtet

Ausführlicher als diese Positionen wurde anschließend Merz’ Selbstverortung in der „gehobenen Mittelschicht“ diskutiert. Die Nebelkerzen um seine materielle Situation rückten Merz’ Mitgliedschaft in einflussreichen Organisationen in den Hintergrund. In dieser Hinsicht zählt der CDU-Politiker nämlich keinesfalls zur „Mittelschicht“, sondern zur globalistischen Elite.

Laut dem Soziologieprofessor Ulrich Beck (1944–2015) orientiert sich der Globalismus nur an Gesetzen des Weltmarkts. Nationalstaaten werden entmachtet, „global players“, allen voran transnationale Großkonzerne, gewinnen an Einfluss. Die Auffassung, „dass der Weltmarkt politisches Handeln verdrängt oder ersetzt“, sei die „Ideologie des Neoliberalismus“. „Die ungewollte Folge der neoliberalen Utopie des freien Marktes ist die Brasilianisierung des Westens“, hatte Beck 1999 in seinem Buch „Schöne neue Arbeitswelt“ geschrieben und den „Einbruch des Prekären, Diskontinuierlichen, Flockigen, Informellen in die westlichen Bastionen der Vollbeschäftigungsgesellschaft“ gemeint. Sozialer Schutz existiert dort nicht mehr, Schwarzarbeit, Scheinselbständigkeit und mehrere Jobs („informelle, multiaktive Arbeit“) werden zur Regel.

Der „Spiegel“ beschränkte seine kritischen Töne in der Titel-Geschichte über den „Anti-Merkel“ auf Merz’ Vermögensverhältnisse, seine „Wendigkeit, die er sonst gern der Kanzlerin vorwirft“, Profilierungssucht, schnelles Beleidigtsein und mangelndes Stehvermögen. Während „seine Jahre in der Finanzwirtschaft“ als seine „größte Flanke“ thematisiert werden, wird nur kurz angerissen, dass „all die Debatten über die Gefahren des Kapitalismus, über die Schattenseiten der Globalisierung“ wenig Eindruck auf ihn gemacht hätten.

Das mag an seinem Engagement in dem Globalismus verpflichteten Institutionen liegen. Seit Juli 2009 ist Friedrich Merz Vorsitzender der „Atlantik-Brücke“, 1952 zur Förderung der transatlantischen Zusammenarbeit initiiert. Die Historikerin Anna Zetsche (FU Berlin) hat sich in ihrer Dissertation mit der Vereinigung beschäftigt und durchaus heikle Aspekte an dem „transatlantischen Eliteprojekt“ entdeckt. So seien weite Teile der Bevölkerung hier ausgeschlossen, die Mitgliedschaft beschränke sich auf Vorstandsvorsitzende großer Konzerne und Banken sowie Politiker (fast des gesamten Parteienspektrums) und einige Journalisten. „Über diese Zirkel können also schon seit den 1950er-Jahren demokratisch nicht-legitimierte Privatpersonen Einfluss auf die Politik Deutschlands und der USA nehmen“, sagte Zetsche in einem Interview 2017. Mitglied in dem Zirkel, der „einen Rahmen für vertrauliche Gespräche“ schaffen will, kann man übrigens „nur auf Einladung“ werden.

Schon bei TTIP „kein Freund von völliger Transparenz“

Die Atlantik-Brücke tat sich zuletzt als Verfechterin des umstrittenen TTIP-Freihandelsabkommens hervor. In seinem Buch „Die Lobby-Republik“ (Hanser-Verlag, 2015) schrieb der Journalist Hans-Martin Tillack: „In TTIP, so Merz im Juni 2013 laut einem internen Protokoll, sehe er für den Verein den ‚wichtigsten inhaltlichen Schwerpunkt für die nächste Zeit’.“

Auf einer Podiumsdiskussion der Atlantik-Brücke zu TTIP erklärte Merz: „Der Ruf nach vollständiger Transparenz erklärt sich durch das Misstrauen der Bevölkerung gegenüber unseren Institutionen. Ich bin kein Freund von völliger Transparenz.“ Die EU solle vielmehr in Ruhe ausloten dürfen, „was möglich ist und was nicht“.

Die Zahl der Lobbyisten in der Atlantik-Brücke sei „beachtlich“, führt Tillack in seinem Buch aus. „Offenkundig an Lobbyinteressen ausgerichtet war allem Anschein nach eine frühere Regel des Vereins, wonach Abgeordneten und Beamten auf Antrag erlaubt wurde, einen niedrigeren Jahresbeitrag als die übrigen Mitglieder zu leisten. […] Die Mitglieder aus der Wirtschaft subventionierten also die Teilnahme von Parlamentariern und Beamten, um in deren Nähe zu kommen.“

Der Jurist und Staatssekretär a. D. Willy Wimmer (CDU) kommentierte nun: „Eine Kandidatur von Merz bedeutet, die CDU völlig als Ableger US-amerikanischer Politik der Globalisten bewerten zu müssen. Die US-amerikanischen Herrschaftsinstrumente liegen bei Friedrich Merz mit dem Chefposten bei der Atlantik-Brücke und der Funktion des Aufsichtsratschefs des Finanzgiganten BlackRock klar auf der Hand. Die Verzweiflung in der CDU muss gigantisch sein, ein derartiges Risiko mit Herrn Merz eingehen zu wollen.“

Elitenherrschaft

Friedrich Merz gehört außerdem der „Trilateralen Kommission“ (TLK) an. Zu deren Geschichte schrieb die „Zeit“ 1977, David Rockefeller und Zbigniew Brzezinski hätten auf dem Rückflug von einer Bilderberg-Konferenz den Entschluss gefasst, „ein auf Japan erweitertes Bilderberg zu gründen“, wo „mehr als analytische Intelligenz“ zusammenkommen solle, „Macht nämlich, Einfluss, auch Kapitalkraft“ und zwar aus Westeuropa, den USA und Japan.

Zum ideologischen Fundament der 1973 gegründeten TLK gehört die Schrift „Between two Ages“ von Zbigniew Brzezinski, eine 1970 erschienene „One-World-Hymne“. Als zweites wichtiges Papier gilt der im Auftrag der TLK u. a. von Samuel Huntington verfasste Report „Die Krise der Demokratie“ (1975), dessen Tendenz sich als Elitenherrschaft statt Massendemokratie beschreiben lässt.

Der US-Philosoph Noam Chomsky hat wiederholt Kritik an diesem einflussreichen Dokument geübt. Huntington sehne sich nach den Zeiten, als „Truman, wie er es ausdrückte, in Zusammenarbeit mit einigen Anwälten und Führungskräften der Wall Street das Land führen konnte“, so Chomsky in einem Interview 2017.

1981 schrieb er über den TLK-Report: „Ihre Vision von ‚Demokratie’ erinnert an das Feudalwesen. Auf der einen Seite haben wir den König und die Fürsten (die Regierung), auf der anderen Seite das gemeine Volk. Die Bürger können Petitionen einreichen und der Adel muss reagieren, um die Ordnung aufrechtzuerhalten.“

Rücksicht auf die Belastungsgrenzen?

„Die Trilaterale Kommission könnte man den Geburtsort des Neoliberalismus nennen“, fasste das establishmentkritische US-Magazin „Counterpunch“ im Februar 2015 zusammen. „Die TLK wurde gegründet, um dem Kapital wieder zu seinem ‚rechtmäßigen’ Platz an der Spitze der wirtschaftlichen und politischen Macht zu verhelfen“, heißt es hier.

Interessant an dem Artikel ist, dass die Betrachtungen zur TLK als Einleitung zu einer damaligen NASA-Studie zum bevorstehenden Kollaps der Zivilisationen, wie wir sie kennen, dienen. Grund dieser fatalen Entwicklung seien die Überlastung der Ökosysteme und die Spaltung der Gesellschaft in reiche Eliten und große arme Bevölkerungsschichten. Weil die Eliten die Auswirkungen von Dürren, Fluten und Hungersnöten erst spät zu spüren bekämen, würden sie ihr Verhalten, das den Weg in die Katastrophe beschleunigt, nicht ändern.

2009 hatte ein Forscherteam die „Belastungsgrenzen der Erde“ („planetare Grenzen“) beim Klimawandel und vor allem im Verlust der Biodiversität dramatisch bedroht gesehen. Carsten Neßhöver, Geoökologe am Leipziger Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung, schrieb 2013, dass der Welthandel einer „der zentralen Treiber für den Verlust der Biodiversität geworden“ sei, denn „nicht nur ebnet er invasiven Arten den Weg in andere Weltregionen. Vor allem macht er es attraktiver, Exportgüter anzubauen.“

Ungeachtet der Gefahren für die „planetaren Grenzen“ dominiert bei Eliten, die von Atlantik-Brücke und Trilateraler Kommission repräsentiert werden, der Glaube an grenzenloses Wachstum, Konsumismus – und von Fall zu Fall auch Krieg. Diese Zusammenhänge entzaubern auch schnell eine schwarz-„grüne“ Koalition auf Bundesebene, auf die Merz’ öffentliches Liebäugeln mit den „Grünen“ hindeutet. Eine solche Regierung stünde für alles andere als eine ökologische und gerechte, konservative – also bewahrende – Politik, die diesen Namen verdient.

Amelie Winther

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 23. November 2018

IN DIE ECKE GEDRÄNGT

Großbritanniens Premierministerin Theresa May möchte keinen „harten Brexit“ riskieren, was auch im Interesse anderer Mitgliedstaaten liegt, aber der Weg, den die Europäische Union anbietet, lässt sich auf der Insel nur schwer vermitteln. Mit dem provozierten Chaos will Brüssel potenzielle Nachahmer abschrecken.

„PARLAMENTSVORBEHALT – NA UND?“

Die Bundeskanzlerin hat im Rahmen ihrer Rede vor dem EU-Parlament in Straßburg die Schaffung einer europäischen Armee verlangt. Annegret Kramp-Karrenbauer assistiert pflichtschuldig: „Auf dem Weg dorthin werden wir den Parlamentsvorbehalt für Auslandseinsätze der Bundeswehr ein Stück zurückfahren müssen.“ Ist das mit dem Grundgesetz vereinbar?

WELTWEIT UNBEGRENZTE MIGRATION

Auf einem Parteitag haben die „Grünen“ Programm und Kandidaten zur Europawahl vorgestellt. Das Spitzenduo aus „Ska“ Keller und Sven Giegold will für die Legalisierung illegaler Zuwanderung eintreten. Kritische Stimmen gegen einen solchen Kurs sind innerhalb der Partei nur sehr vereinzelt zu vernehmen.

DER INHALT IST DAS PROBLEM

Angela Merkel hält am UN-Migrationspakt fest. Doch innerparteilich mehren sich Unmut und Skepsis. Die Argumente gegen den GCM, wie sie zuletzt unter anderem der Völkerrechtsexperte und ehemalige ÖVP-Politiker Andreas Khol vorbrachte, wiegen schwer.

JEDER FÜNFTE VON ARMUT GEFÄHRDET

In der Bundesrepublik Deutschland waren laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr 15,5 Millionen Personen, also gut 19 Prozent der Bevölkerung, von Armut und auch damit oft einhergehender sozialer Ausgrenzung betroffen. Forderungen an die Politik.

DER GANZ POLITISCHE KÜNSTLER

Herbert Grönemeyer hat ein neues Album mit dem Titel „Tumult“ veröffentlicht. Er ordnete die Platte selbst als „politisches Bekenntniswerk“ ein und treibt so den Verkauf an. Schließlich stehen ihm damit momentan medial alle Türen offen.

ÖSTERREICHS ESTE REPUBLIK

Wie vor 100 Jahren die Republik Österreich aus der Monarchie entstand, die Staatsform wählte, wie sie ihren Namen bekam und wann genau eigentlich ihr Geburtstag ist. Mit der „Provisorischen Nationalversammlung für Deutschösterreich“ und ihrer Rolle bei den Vorgängen im Spätherbst 1918 haben sich jetzt Rechtshistoriker befasst.

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