Nr. 47 vom 16.11.2018

Standpunkt

Wen vertreten unsere Landtage?

Als „klare Kampfansage an Extremismus und Fremdenfeindlichkeit“ wertet die Münchner „Abendzeitung“ die Aussage, die die neue Landtagspräsidentin Ilse Aigner (CSU) in der konstituierenden Sitzung am 5. November so einleitete: „Der Bayerische Landtag vertritt alle Menschen in Bayern, ganz egal, woher sie kommen, welche Hautfarbe sie haben oder welche Religion sie ausüben.“ Was das Boulevardblatt offenbar ebenso wenig bedenkt wie Aigner: Nach Artikel 28 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes muss „das Volk“ auch in den Ländern eine gewählte Vertretung haben – und wie das Bundesverfassungsgericht mehrfach klarstellte, meint diese Vorschrift mit „das Volk“ das deutsche Volk. Also vertritt der Bayerische Landtag alle deutschen Staatsangehörigen, die in Bayern ihren Wohnsitz haben – keineswegs aber „alle Menschen in Bayern“.

Durch Klatschen nicht besser

Wie eine verfassungswidrige Aussage eine „Kampfansage an Extremismus“ sein kann, bleibt also das Geheimnis des „AZ“-Journalisten. Auch die „Bild“-Zeitung lobte Aigners „unmissverständliche Worte“ und „klare Ansage“, für die es „donnernden Beifall aus fünf Fraktionen“, nicht aber seitens der AfD, gegeben habe. Freilich werden verfassungswidrige Aussagen durch Klatschen weder richtig noch rechtskonform. Und so verdiente an sich die AfD für ihre kritische Haltung Lob, nicht bei allem, was in den Ohren vieler zunächst nett klingen mag, in Applaus auszubrechen.

Eine Anerkennung für „Erst denken und wägen, dann gegebenenfalls klatschen“ gab es aber für die AfD mitnichten. Vielmehr war die Selbstverständlichkeit, die Aigner dann in derselben Sitzung in die Worte goss, die Abgeordneten müssten „wertschätzend miteinander umgehen“, schon bei der Wahl des Landtagspräsidiums in den Wind geschlagen worden, auch von der CSU.

Präsidiumswahl: AfD-Anspruch vereitelt

Sämtliche Kandidaten für das Präsidium, ob von CSU, „Grünen“, Freien Wählern, SPD oder FDP, erhielten sehr große Mehrheiten – Aigner sogar 198 von 205 Stimmen –, während der AfD-Kandidat nur 27 Ja-Stimmen, damit fünf mehr als die Mitgliederzahl der AfD-Fraktion, bekam. 22 Abgeordnete enthielten sich bei ihm und 153 stimmten mit Nein. Das heißt: Die AfD hielt sich an die verfassungsrechtlichen Spielregeln, indem sie dem Anspruch der größten Partei auf das Präsidentenamt mit ihrem Stimmverhalten Genüge tat, während man sie auflaufen ließ und ihren Anspruch auf Repräsentanz im Parlamentspräsidium aushebelte.

Der AfD-Bewerber Raimund Swoboda (68) war Leitender Polizeidirektor, trug also nicht weniger als vier goldene Sterne auf den Schulterstücken. Sachliche Gründe für seine Nichtwahl lagen nicht vor. Trotzdem gibt es nun – neben der Landtagspräsidentin Aigner – einen Vizepräsidenten von der CSU, einen von den „Grünen“, einen von den „Freien Wählern“, einen von der mit ebenso vielen Abgeordneten wie die AfD vertretenen SPD und einen von der halb so starken FDP, während die AfD vom Landtagspräsidium ausgeschlossen ist. Und das, obwohl § 7 der Geschäftsordnung für den Bayerischen Landtag ausdrücklich bestimmt, dass jede Fraktion eine Vizepräsidentin oder einen Vizepräsidenten stellt und sich die Zusammensetzung des Präsidiums insgesamt nach der Stärke der Fraktionen richtet. Damit ist ein verfassungsrechtlich höchst bedenklicher Zustand herbeigeführt – ähnlich wie im Bundestag, wo die AfD als drittstärkste Fraktion bei der Wahl der Bundestagsvizepräsidenten leer ausgegangen ist (wobei man Einwände gegen den Kandidaten Albrecht Glaser vorbrachte, während man Claudia Roth durchwinkte). Wie der Bundestag darf auch der Bayerische Landtag einen von einer Fraktion für ein der Fraktion zustehendes Amt vorgeschlagenen Abgeordneten nicht aus beliebigen politischen Gründen ablehnen.

Verbal ist zu wenig

Der Alterspräsident und ehemalige Focus-Chefredakteur Helmut Markwort (FDP) hatte in seiner Eröffnungsrede am 5. November in München gefordert, die Abgeordneten müssten den verfassungsrechtlichen Grundsatz, Vertreter des ganzen Volkes und nicht einer Partei zu sein, ernster nehmen. Sein Appell war leider offenbar nicht einmal in der eigenen Fraktion auf sonderlich fruchtbaren Boden gefallen. Denn das Ergebnis der Wahl des Landtagspräsidiums lässt den Schluss zu, dass auch FDP-Abgeordnete die Wahl des AfD-Abgeordneten ins Landtagspräsidium durch Neinstimme oder Enthaltung sabotiert haben. Den Anspruch, eine Rechtsstaatspartei zu sein, haben die Freien Demokraten mit diesem Verhalten nicht untermauert.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 16. November 2018

WENN AUCH DIE KRÄFTE FEHLTEN

Horst Seehofer wird das Amt des CSU-Parteivorsitzenden niederlegen. Er will aber Bundesinnenminister bleiben, worüber man durchaus ein wenig erleichtert sein kann. Seehofer hat zumindest versucht, die von seinem Vorgänger auf Merkels Geheiß angeordnete Praxis zu beenden, dass jedermann über sichere Drittstaaten in die Bundesrepublik einreisen kann – selbst wenn er keine oder offensichtlich falsche Identitätsdokumente bei sich hat und schon anderwärts in der EU ein Asylgesuch angebracht hat.

ABGANG, REAKTIONEN,
DER NACHFOLGER

Die Rede, die Ex-Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen vor europäischen Geheimdienstchefs in Warschau hielt, kann als Abrechnung mit großen Teilen von politischer Klasse und Mainstream-Medien verstanden werden. Die Aufregung ist noch immer groß.

NEUBEWERTUNG?

Die Vergewaltigung einer Freiburger Studentin durch eine Gruppe von Migranten hat eine Debatte über Rückführungen nach Syrien ausgelöst. Ein Abschiebestopp für Syrer war auf der Leipziger Innenministerkonferenz 2017 bis Ende 2018 verlängert worden. Wird die Sicherheitslage in Syrien nun neu bewertet?

ENGAGEMENT IN AFRIKA

Dass ein Engagement von bundesdeutschen Unternehmen in Afrika zum Wohle beider Seiten ist, betonen Experten. Verwiesen wird auf das Beispiel Chinas, das seine Aktivitäten in Afrika in den vergangenen Jahren enorm ausgeweitet hat. Von den Möglichkeiten einer trilateralen Zusammenarbeit.

DIE REVOLUTION BLIEB AUS

Für US-Präsident Donald Trump sind die US-Zwischenwahlen, die „Midterms“ glimpflich ausgegangen. Da hat es in der Vergangenheit andere Abrechnungen der Wähler mit dem Amtsinhaber gegeben. Im Senat konnten die Republikaner ihre Mehrheit halten, im Repräsentantenhaus mussten sie Verluste hinnehmen.

„NOSTALGIE“?

Die „Eupinions“-Umfrage der Bertelsmann-Stiftung attestiert den Europäern eine angebliche Sehnsucht nach dem Gestern. In Wahrheit dürfte es den Bürgern nicht um die unterstellte sentimentale „Nostalgie“ gehen, sondern um unterschiedliche Modelle von Politik, wobei viele namentlich der Praxis, die vor 25 Jahren bei Themen wie Zuwanderung, Grenzschutz, Währung herrschte, deutlich mehr abgewinnen können als jener der letzten Jahre.

WIRBEL UM DAS WUNDERKIND

Technikvisionär Elon Musk hat das E-Auto zu einem Massenprodukt gemacht. Der Unternehmer, der mit Tesla berühmt geworden ist, präsentierte sich zuletzt erstaunlich labil. In Interviews vermittelt er den Eindruck, mit seinen Kräften am Ende zu sein.

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