Nr. 45 vom 3.11.2017

Nr. 45 vom 3.11.2017

Standpunkt

Anmerkungen zur Bonner Klimakonferenz

Bis zum 17. November findet in Bonn die 23. UN-Klimakonferenz mit 25.000 Teilnehmern statt. Der Sonderzug der deutschen Delegation nach Bonn wirkt allerdings wie ein leeres Symbol. Denn statt eines Konzepts zur Verlagerung von Verkehr von der Straße und aus der Luft auf die Schiene durch attraktive Preise und flächendeckende Anbindung stehen die nächsten Preiserhöhungen für Bahnreisen an und die Nachtzüge der DB weiterhin still.

Symbolträchtig ist darüber hinaus die Übernahme des Konferenzvorsitzes durch die Republik Fidschi. Der kleine Inselstaat im Südpazifik (890.000 Einwohner) sei „hoch gefährdet durch die Auswirkungen des Klimawandels“, begründet die UN und zitiert Schätzungen der London School of Economics, wonach bis 2050 1,7 Millionen der insgesamt zehn Millionen Bewohner der pazifischen Inseln zu Klimaflüchtlingen werden könnten.

„Zeiten permanenter Migration“

Dass der Klimawandel Migration verursacht, wird breitflächig und öffentlichkeitswirksam diskutiert. Dass andererseits aber Migration auch den Klimawandel vorantreibt, hingegen nicht.

Nicht willens, solche Zusammenhänge zu erkennen, sind zum Beispiel die Politologin Ulrike Guérot und der Schriftsteller Robert Menasse. Sie leiteten im Februar 2016 in „Le Monde diplomatique“ aus der „angekündigten Klimakatastrophe“ und deren „Folgen der globalen Bodenverknappung“ ab, dass „das Insistieren auf territorialer Staatlichkeit“ unter diesen Umständen „nicht durchzuhalten“ sei. Es gehe demnach „um das globale Recht auf Heimat und Teilhabe aller an der globalen Allmende jenseits von Staaten, um die Organisation von Heimat in Zeiten von permanenter Migration. Jeder Mensch muss also in Zukunft das Recht haben, nationale Grenzen zu durchwandern, und sich dort niederlassen können, wo er will […]“. Dass die uneingeschränkten Migrationsbewegungen und die Folgebewegungen in einem daraus resultierenden „grenzenlosen Transitraum“ Unmengen von CO2 produzieren würden, unterschlagen die Autoren.

Klimasünde Kind?

Fast wie ein Ablenkungsmanöver von derlei Überlegungen wirkte es, als die Presse Mitte Juli ausgiebig Empfehlungen zweier Forscher der Universitäten Lund (Schweden) und British Columbia (Kanada) zum Klimaschutz aufgriff. Die Wissenschaftler schrieben, Kohlendioxid ließe sich durch vegetarische Ernährung, Verzicht auf ein Auto und Vermeidung von Flugreisen reduzieren, den weitaus größten Effekt hätte jedoch weniger Nachwuchs. „Eine US-amerikanische Familie, die auf ein Kind verzichtet, spart genauso viel Emissionen ein wie 684 Teenager, die für den Rest ihres Lebens strikt recyceln“, rechneten sie vor.

Ganz abgesehen davon, dass dieser Vorschlag zu Recht als zynisch und menschenverachtend kritisiert wurde, ist er – zu Ende gedacht – kurz- und mittelfristig alles andere als klimafreundlich. Er richtet sich nämlich an die Industrienationen, die zwar im Vergleich zu Entwicklungs- und Schwellenländern einen ungleich kapitaleren ökologischen Fußabdruck hinterlassen, allerdings deutlich niedrigere Geburtenraten aufweisen. Als Lösung für ihre schrumpfenden und überalternden Gesellschaften diskutiert die UN höchstselbst die sogenannte „Replacement Migration“ („Bestands­erhaltungsmigration“). Dieses globalistische Mobilisierungsgebot würde aber zwangsläufig zu einem höheren Flugaufkommen führen, wenn Lebensmittelpunkt, Familie und Wurzeln weit auseinander liegen. Dem Klima nützt eine Ein-Kind-weniger-Politik also nicht.

Insbesondere weil auch andersherum die von den Forschern unterbreitete provokante Fertilitätseinschränkung Konsequenzen für die Mobilität und damit den Klimawandel zeitigt. Erst am Montag veröffentlichte die FAZ einen Gastbeitrag des Demografieexperten Prof. Gunnar Heinsohn über die dramatischen Folgen der instabilen Bevölkerungspyramide für die Bundesrepublik Deutschland. Die Generation der heute 20- bis 34-Jährigen und die (noch kleinere) Alterskohorte der 5- bis 19-Jährigen stünden vor solch ungeheuren Belastungen, dass gerade die Fähigsten unter ihnen in Zukunft der unwiderstehlichen Attraktivität von „Kompetenzfestungen“ wie Australien, Kanada, Finnland, Japan oder der Schweiz erliegen könnten. Heinsohn nimmt freilich nicht die Effekte der Auswanderung der fünf besten Prozent auf das Klima in den Blick, sondern die bedenklichen Auswirkungen des „Braindrains“ auf das Sozialsystem und die Wirtschaft hierzulande. Er findet: „Das Berliner Führungspersonal bleibt angesichts solcher Aussichten bemerkenswert ruhig.“

Klima oder TTIP

Die Chefin des Berliner Führungspersonals scheint sich längst in Widersprüchen eingerichtet zu haben. Anders ist es kaum zu erklären, dass Bundeskanzlerin Merkel vor ziemlich genau einem Jahr gemeinsam mit dem damals noch amtierenden US-Präsidenten Obama auf der einen Seite ihr Festhalten am Pariser Klimaschutzabkommen, auf der anderen Seite ihr Beharren auf dem Freihandelsabkommen TTIP erklärte. „Eine Rückkehr in eine Welt vor der Globalisierung wird es nicht geben“, schrieben die beiden mit Fingerzeig auf Obamas Nachfolger Trump, der sowohl Klimaabkommen als auch Freihandel während des Wahlkampfs infrage gestellt hatte.

Nun ist es offenkundig, dass Klimaschutz und die Ausweitung transkontinentaler Handelsströme nicht in Einklang zu bringen sind. Die Globalisierungskritiker der Gruppe „attac“ brechen dieses Dilemma auf die Formel „Klima oder TTIP – entscheide dich“ herunter.

So dezidiert das Netzwerk in dieser Hinsicht zu formulieren bereit ist, so fahrlässig umgeht es die entsprechenden Zusammenhänge zwischen Emissionswerten und Migration, wenn es im Diskussionspapier „Flucht und Migration“ (September 2016) nach einigen durchaus zutreffenden Erkenntnissen an der „langfristigen Perspektive“ festhält, „dass ökonomische und politische Bedingungen so zu ändern sind, dass Grenzen durchlässig werden oder an Bedeutung verlieren und, so unsere Zukunftsvision, letztlich aufgehoben werden, damit nicht das Kapital, sondern die Menschen sich frei auf dem Globus bewegen können“.

Die „attac“-Utopie geht freilich über die ansonsten in der Flüchtlingsfrage oft vorgebrachte humanitäre Argumentation hinaus und könnte analog zur Parole führen „Klima oder maßlose Migration – entscheide dich“.

AW

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 3. November 2017

IST DAS NOCH INFORMATIONS-
JOURNALISMUS?

Was treibt bundesdeutsche Leitmedien an, wenn sie Wolfgang Schäubles Wechsel vom Finanzministerium an die Spitze des Bundestages mit Artikeln wie „Dr. Schäuble wird Deutschland fehlen“ oder „Wolfgang Schäuble: Die Demokratie gewinnt“ begleiten? Und wie qualifiziert ist er für dieses Amt wirklich?

„ME TOO“

Sexismus-Skandale und die übersehenen Opfer. Versäumnisse im Umgang mit der Affäre Harvey Weinstein.

„EUROPA WEISS NICHT MEHR,
WER ES IST“

Robert Kardinal Sarah aus dem westafrikanischen Guinea, einer der aussichtsreichen Anwärter auf den Heiligen Stuhl, über das christliche Abendland, Erinnerung und Identität.

RISIKEN IN MILLIARDENHÖHE

Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, sponsert überschuldete Eurostaaten auf Kosten der Bundesrepublik Deutschland. Warum sich die Bundesbank vorerst weiter am Anleihekaufprogramm beteiligen darf.

ISLAMISCHER FEIERTAG?

Thomas de Maizières Vorschlag stößt auf wenig Gegenliebe: Laut einer Meinungsumfrage des Insa-Instituts sprechen sich sieben von zehn Befragten gegen die Einführung islamischer Feiertage in der Bundesrepublik Deutschland aus.

ZWISCHEN HOFFNUNG UND SPANNUNG

Am 24. Oktober wurde in Olympia, Griechenland, die olympische Flamme entzündet. Im Februar 2018 werden in Südkorea die olympischen Winterspiele eröffnet. In Pyeongchang laufen die letzten Vorbereitungen. Was erwartet uns?

WALHALLA 175

Vor 175 Jahren wurde die Ruhmeshalle deutscher Geistesgrößen in Donaustauf feierlich eröffnet. Die Gedenkstätte, erbaut auf Geheiß König Ludwigs I. von Bayern, wurde am 18.Oktober 1842, zum Jahrestag der Leipziger Völkerschlacht, eingeweiht. Heute erinnern 130 Büsten und 65 Gedenktafeln an große Personen und Taten.

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