Nr. 45 vom 1.11.2019

Nr. 45 vom 1.11.2019

Standpunkt

Wie stirbt ein Hund?
Zu Trumps Tonlage

Donald Trump meint, dass der Tod von IS-Chef Abu Bakr al Bagdadi die Welt zu einem „viel sichereren Ort gemacht“ habe. Die US-Denkfabrik Rand Corporation hingegen vertritt die Ansicht, dass solche Schläge gegen die Köpfe von Terrororganisationen sogar kontraproduktiv sein können, weil sie Sympathien für die Organisation außerhalb ihres Unterstützerkerns wecken könnten.

Die Fotos aus dem Lageraum

Was der Fall ist und welcher Effekt überwiegt, hängt sicher auch von den Umständen ab. Wenn der Präsident das von ihm angeordnete Geschehen im „situation room“ des Weißen Hauses verfolgen wollte, ist dies nachvollziehbar, soweit er in der Lage sein wollte, plötzlich eine Entscheidung zu treffen. Die Zurschaustellung vermeintlicher Allmacht, die in der Veröffentlichung der Bilder aus dem Raum liegt, auf denen fünf beziehungsweise sechs Männer mit entschlossenen Mienen die Jagd auf Bagdadi aus sicherem Abstand wie ein Videospiel zu verfolgen scheinen, ist hingegen mehr als überflüssig. Erst recht, wenn die Bilder gar nicht während der Beobachtung des Angriffs entstanden, sondern gestellt sein sollten, worüber eine breite Diskussion im Netz geführt wird.

Eine Botschaft solcher Fotos, wie sie auch Obama bei der Tötung Osama bin Ladens veröffentlichen ließ, zielt natürlich auf den US-Wahlkampf. Die andere Botschaft ist eine Erneuerung der Aussage „Wir können alles sehen, was sich bewegt, und wir können alles zerstören, was wir sehen“, die Paul Wolfowitz, zur Zeit des 2003 begonnenen Irakkriegs stellvertretender US-Verteidigungsminister, traf.

Nun hat Donald Trump anders als George W. Bush, dem Wolfowitz untergeordnet war, bisher keinen Angriffskrieg geführt. Und es gibt die Hoffnung, dass zu Trumps vielen Untugenden tatsächlich nicht die in seiner Position mit weitem Abstand schlimmste – Kriegslust – zählt.

Gefährliche Rhetorik

Dass die Welt durch das Ende Bagdadis, der drei seiner Kinder mit in den Tod riss, zu einem sichereren Ort wurde, wird auch durch Trumps Rhetorik nicht wahrscheinlicher. Als er die Nachricht verkündete, sagte Trump, Bagdadi sei gestorben „wie ein Hund“. An wen richtete sich diese Aussage? In der islamischen Welt, in der der Hund (jedenfalls sein Speichel) im Allgemeinen als unrein gilt (aber Anspruch auf Mitgefühl und gute Behandlung hat), wird man sie mit gemischten Gefühlen aufnehmen. Manche werden darin eine unnötige Demütigung oder eine letztlich auf überlegenen Machtmitteln beruhende Überhebung sehen.

Man sollte nicht vergessen, wie Terroristen entstehen. Es ist nicht selten ein Prozess. Selbst der einst ruhige und unauffällige Bagdadi, der 1991 schon die B-52-Bombardements auf Bagdad erlebt hatte, wurde erst mit der US-Invasion im Irak und der anschließenden Internierung in Camp Bucca zu dem grausamen Schwerverbrecher, der er schließlich war.

Ob der amerikanische Wähler Sprüche wie „Sterben wie ein Hund“ schätzt? In vier von zehn US-Haushalten lebt mindestens ein Hund, in der Bundesrepublik sind es nur zwei von zehn. Jeder Hundehalter wünscht seinem Tier ein friedliches Ende – und nicht, in einem Tunnel in den Tod gehetzt zu werden.

Übrigens, ehe man über die islamische Haltung zum Hund ein Urteil wagt: Man kann nicht sagen, dass das Christentum in seiner Sphäre den Tieren die überfällige Erlösung gebracht hätte. Überwiegend gilt ein Tier (selbst bei der im Markus-Evangelium beschriebenen Heilung des Besessenen von Gerasa durch Jesus, die 2.000 Schweine mit dem Tod durch Ertrinken bezahlen müssen) als vernachlässigenswerte Größe. Persönlichkeiten wie der heilige Franz von Assisi sind die Ausnahme. Klabund schrieb über ihn in seinem Gedicht „Franziskus“:

„Die Tiere alle waren ihm vertraut
Und kamen treu auf seinen Ruf gesprungen. […]
Und ging er auf die Gasse, sprach das Pferd,
Der Hund ließ wedelnd seinen Knochen liegen.
Die Katze hielt ihn ihrer Freundschaft wert […].“

Wenn er nur keinen Krieg beginnt

Trump hat zu den Tieren wie zu vielem anderen offenbar eine unreflektierte Macht-euch-die-Erde-untertan-Haltung wie noch immer die Mehrheit der Menschen. Dass er in seiner groben Rhetorik vor des Amerikaners und Europäers Lieblingstier nicht Halt machte, war vermutlich keine Werbung. Andererseits, wenn er nur keinen Krieg beginnt, der die größte Katastrophe für Mensch und Tier, Natur und Klima bedeutete … Was hülfe ein pastoral auftretender US-Präsident, der jede Hintertür zum Kriege nutzt. Wir werden sehen.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 1. November 2019

NACH DER THÜRINGEN-WAHL

Die AfD lieferte in Thüringen nicht das von Massenmedien erhoffte Ergebnis „unter 20 Prozent“, sondern wurde mit 23,4 Prozent zweitstärkste Kraft. Weder hat sich damit am 27. Oktober „die Demokratie neu sortiert“ – sie hat vielmehr wieder einen Beweis ihres Funktionierens abgeliefert – noch „erschüttert“ das Ergebnis die Republik.

GEFÄHRLICHE SCHAUMSCHLÄGEREI

Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer will die Bundeswehr auf den nordsyrischen Kriegsschauplatz schicken. Ein riskanter Plan, hinter dem wohl auch parteipolitisches Kalkül steckt – ebenso wie hinter dem Auftritt von Außenminister Heiko Maas in der Türkei, der den AKK-Vorschlag öffentlich abkanzelte.

NEUES IM WETTLAUF UM AFRIKA

Am 23. und 24. Oktober fand in Sotschi der erste Russland-Afrika-Gipfel statt, an dem rund 40 afrikanische Staats- und Regierungschefs teilnahmen. Was bedeutet die vertiefte Partnerschaft für den Kontinent und die Welt?

RAUS AUS DER BREXIT-ZWICKMÜHLE

Am Montag verkündete EU-Ratspräsident Donald Tusk, dass die 27 verbliebenen EU-Staaten einem Brexit-Aufschub zum 31. Januar 2020 zustimmen. Allerdings kann Großbritannien die EU auch vorher verlassen – und die Briten wählen noch vor Weihnachten ein neues Parlament.

NOTFALL NOTAUFNAHME

Rekordwartezeiten und immer wieder auch aggressive Patienten: Die Notaufnahmen an bundesdeutschen Krankenhäusern sind heillos überlastet. Das Problem ist mittlerweile erkannt, eine zufriedenstellende Lösung aber steht aus.

„DÜRFEN DAS NICHT HINNEHMEN“

Wenn die AfD in der Vergangenheit Gewalt gegen ihre Vertreter angeprangert hatte, wurde ihr vorgeworfen, sich in eine „Opferrolle“ zu drängen. Jetzt aber, da auch Etablierte zunehmend ins Visier von Politgewalttätern geraten, ist die Aufregung groß. Jüngste Beispiele.

30 JAHRE MAUERFALL

Donnerstag, 9. November 1989: Es zeichnet besonders geschichtsträchtige Daten aus, dass man sich auch viele Jahre später noch genau erinnern kann, was man damals gerade getan hat. Wo waren Sie an Deutschlands Freudentag?

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