Nr. 43 vom 20.10.2017

Nr. 43 vom 20.10.2017

Standpunkt

Der „Idealismus“ des George W. Bush

Nun führt also George W. Bush den „Kampf um die Seele Amerikas“ – jedenfalls wenn man der Zeitung „Die Welt“ vom 21. Oktober 2017 glaubt. In deren titelseitiger „Analyse“ heißt es: „Am Donnerstag […⁠] meldete sich Bush nach Jahren des Schweigens mit einer kraftvollen und idealistischen Rede zurück.“

Der US-Präsident der Jahre 2001 bis 2009 habe „in New York eine leidenschaftliche Verteidigungsrede für Freiheit und Demokratie“ und eine „Generalabrechnung mit dem Trumpismus“ abgeliefert, behauptet „Welt“-Autor Clemens Wergin. „Wir haben gesehen, wie unser Diskurs herabgewürdigt wurde von leichtfertiger Grausamkeit“, so einer der von Bush erhobenen Vorwürfe. Als Präsident hatte er 2008 ein Gesetz zum Verbot grausamer Verhörmethoden durch sein Veto gestoppt.

Hekatomben von Toten hinter einem Halbsatz

Sogar für seine Form des „Kriegs gegen den Terror“, die die Welt in eine tiefe, wohl auf Generationen nicht überwindbare Misere gestürzt hat, darf er, von dem Springer-Blatt beifällig aufgenommen, wieder werben: „Wir haben die Rückkehr isolationistischer Stimmungen erlebt – und dabei vergessen, dass die amerikanische Sicherheit direkt bedroht wird von Chaos und Verzweiflung in weit entfernten Orten, in denen Bedrohungen wie Terrorismus, Infektionskrankheiten, kriminelle Banden und Drogenhandel entstehen.“

Die Eloge auf Bush gipfelt in den Worten, dieser setze sich nun „mit einer überparteilichen Initiative für den Erhalt der liberalen Ordnung ein – in Amerika und der Welt“. Und: „Er war ein Verfechter des freien Welthandels und hielt es für Amerikas Aufgabe, den Raum von Freiheit und Demokratie in der Welt zu verteidigen und zu erweitern.“ Wie das „gelungen“ ist, lässt sich in Afghanistan, im Irak und weit darüber hinaus bewundern.

Hinter einem Halbsatz (Bush habe „als Präsident viele Fehler gemacht, aber …“) kann man die nach Berechnungen der Ärztezeitung „The Lancet” etwa 650.000 Menschenleben, die der von Bush am 20. März 2003 losgetretene Krieg gegen den Irak bis Ende Juni 2006 gefordert hat, kaum verstecken. Und auch nicht die Tatsache, dass dieser Krieg mit dem Gewaltverbot der UN-Charta und weiteren Normen des Völkerrechts nicht vereinbar war, weil Bush und seine Verbündeten sich weder auf sie ermächtigende Beschlüsse des UN-Sicherheitsrates noch auf das in Artikel 51 der UN-Charta gewährleistete Selbstverteidigungsrecht stützen konnten. Die Behauptung von „Welt“-Autor Wergin, dass „Bush in vielerlei Hinsicht für die bessere und optimistischere Seele der Republikaner steht“, ist also selbst eine sehr pessimistische.

Auf Trump einwirken?

Gegen Trump gibt es natürlich eine Menge einzuwenden, insbesondere, dass er sein Versprechen größerer Zurückhaltung bei der Ausübung amerikanischer Macht offenbar nicht wahrmacht. Und wir wissen auch nicht, was er noch alles anrichten wird. Es ist nicht einmal auszuschließen, dass er es mit Bush in dieser Hinsicht am Ende aufnehmen kann. Aber trotz des von ihm im April 2017 befohlenen Raketenangriffs in Syrien und der im selben Monat in Afghanistan gezündeten Superbombe – einen ausgewachsenen Angriffskrieg, strafbar als Verbrechen der Aggression, hat er noch nicht auf dem Gewissen. Ihm jetzt einen George W. Bush als Modell eines besseren Amerika entgegenzusetzen, ist schon bestürzend.

Während Trump in Sachen ungehemmter Gewaltanwendung Bush bisher nicht gleichkommt, ist seine Haltung zum Klimaabkommen von Paris so ablehnend wie jene, die Bush gegenüber dem Kyoto-Protokoll einnahm. Mit dem Unterschied, dass Trump – aus welchen Motiven auch immer – zumindest eine weitere, durch Freihandelsabkommen drohende Aufblähung des Interkontinentalhandels abgewendet hat und insoweit auf die Globalisierungsbremse gestiegen ist, während Bush noch immer vom umwelt- und letztlich auch kulturfeindlichen Freihandel schwärmt.

Die amerikanische Geschichte ist voll von geistigen Leuchttürmen. Etwa Mark Twain (1835–1910), der in seinem postum veröffentlichten Roman „Der geheimnisvolle Fremde“ beschrieben hat, wie eine kleine einflussreiche Gruppe durch Geschrei und billige Lügen einen Krieg herbeiführen kann. Soweit man auf die Gedankenwelt des Donald Trump Einfluss nehmen kann, sollte man ihm also bessere Ideale als die des George W. Bush nahebringen. Aus dessen „Comeback“ könnte Trump allenfalls schließen, dass man auch mit der größten Gemeinheit passabel durchkommt.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 20. Oktober 2017

DAS ÖSTERREICHISCHE MODELL

Die Wahl in Österreich hat einen klaren Sieger hervorgebracht: Sebastian Kurz. Die ÖVP gewann im Vergleich zu 2013 fast acht Prozent hinzu. Kurz hatte im Wahlkampf die verbreitete Ablehnung der Massenmigration aufgegriffen und sich damit weit vor die anderen Parteien gesetzt. Das Ergebnis lässt Bundeskanzlerin Merkel nicht unberührt.

UND JETZT EIN BUCH … ZERSTÖREN?

Die Verantwortlichen der Frankfurter Buchmesse hatten zur „aktiven Auseinandersetzung“ mit dort ausstellenden, als „rechts“ eingeordneten Verlagen aufgerufen, aber nicht erwähnt, dass diese in einer Demokratie geistiger Natur sein muss. Ein Dialog, wie er der Buchmesse als Ort des Austausches angemessen wäre, kam nicht zustande. Stattdessen: Diebstahl und mutwillige Zerstörung an den Ständen.

„FRÜHLING DER REGIONEN“

Das katalanische Unabhängigkeitsreferendum hat zahlreichen autonomistischen und sezessionistischen Gruppierungen in Europa Auftrieb verliehen. Werden sich in naher Zukunft neue Staaten bilden?

KIPPT DAS NETZWERKDURCHSETZUNGSGESETZ?

Die Kritik an einem der letzten Gesetzeswerke des scheidenden SPD-Bundesjustizministers Heiko Maas kommt von keiner geringeren Institution als der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und fällt massiv aus.

FOLGEN DER NIEDERSACHSEN-WAHL

Vor allem in der Merkel-Partei brodelt es nach der Landtagswahl in Niedersachsen. Das Konzept der Parteichefin und Kanzlerin, auf „Schlafwagen-Wahlkämpfe“ zu setzen, geht nicht mehr auf. Warum CDU, „Grüne“ und FDP so viele Stimmen verloren, die SPD gewinnen und die AfD in den Landtag einziehen konnte.

PFLEGENOTSTAND

Dramatische Arbeitsbedingungen und viel zu wenig Personal: Der Notstand in bundesdeutschen Pflegeheimen und der ambulanten Pflege verschärft sich. Mittlerweile fehlen 300.000 Fachkräfte. Wohin die schweren Versäumnisse der Politik führen.

WEM KANN MAN TRAUEN?

Die Otto-Brenner-Stiftung der IG Metall zeigt in ihrer neuen Studie „Polarisiert und radikalisiert?“ mit dem moralischen Zeigefinger auf Menschen insbesondere im Osten der Republik. Vorwurf: Wer die Glaubwürdigkeit der Medien anzweifle, habe auch wenig Vertrauen in die Demokratie.

FLANDERN 1917

Deutsche Gedenkmisere: Dass das flämische Dorf Passendale vor 100 Jahren für Angreifer – Briten und ihre Kameraden aus dem Commonwealth – und für die deutschen Verteidiger ein Ort unsäglichen Grauens war, ist dem kollektiven Gedächtnis unserer Nation nahezu vollständig verloren gegangen.

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