Nr. 42 vom 13.10.2017

Nr. 42 vom 13.10.2017

Standpunkt

Erfundene Allzuständigkeit
im „Regelwerk zur Migration“

CDU und CSU wollen – folgt man ihrem am 8. Oktober 2017 vereinbarten „Regelwerk zur Migration“ – erreichen, „dass die Gesamtzahl der Aufnahmen aus humanitären Gründen (Flüchtlinge und Asylbewerber, subsidiär Geschützte, Familiennachzug, Relocation und Resettlement, abzüglich Rückführungen und freiwillige Ausreisen künftiger Flüchtlinge) die Zahl von 200.000 Menschen im Jahr nicht übersteigt“. Gleichzeitig soll auch weiterhin niemand an den bundesdeutschen Grenzen zurückgewiesen werden, wie unter anderem aus dem Bekenntnis „zu unseren“ – angeblich – „aus dem Recht der EU resultierenden Verpflichtungen zur Bearbeitung jedes Asylantrags“ hervorgeht.

„Hoffen, dass der Bürger es nicht merkt“

„Spiegel“-Redakteurin Christiane Hoffmann stellt zu dieser „Lösung im Schwesternstreit der Union“ zutreffend fest, das sei sie nun, die Quadratur des Kreises, die es gar nicht geben kann: „Und alle hoffen, dass der Bürger es nicht merkt.“

Um die Unmöglichkeit einer Begrenzung ohne Zurückweisung an der Grenze zu bemänteln, enthält das „Regelwerk“ sieben Absätze später eine wachsweiche Öffnungsklausel: „Sollte das oben genannte Ziel wider Erwarten durch internationale oder nationale Entwicklungen nicht eingehalten werden, werden die Bundesregierung und der Bundestag geeignete Anpassungen des Ziels nach unten oder oben beschließen.“

Die C-Parteien haben damit die Grundlage für den Eintritt der CSU in eine Koalition mit den „Grünen“ gelegt. Merkel hat sich nicht bewegt. Die CSU hingegen hat sich wider besseres Wissen zu der Behauptung der Kanzlerin bekannt, die Bundesrepublik sei nach EU-Recht „zur Bearbeitung jedes Asylantrags“ verpflichtet.

Eine solche Verpflichtung besteht in Wahrheit nicht (weswegen Asylmigranten weiterhin nach § 18 Absatz 2 Nr. 1 des Asylgesetzes grundsätzlich die Einreise zu verweigern ist, wenn sie über einen sicheren Drittstaat in die Bundesrepublik einreisen wollen): In Art. 20 Abs. 4 S. 1 der Dublin-III-Verordnung wird ausdrücklich bestimmt: „Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält.“ Im Kommentar von Christian Filzwieser und Andrea Sprung (2. Aufl., 2014) zur Dublin-III-Verordnung heißt es dementsprechend: „Wenn eine Antragstellung an der Grenze zweier Mitgliedstaaten am Grenzüberwachungsposten vor der Einreise in den zweiten erfolgt, ist der erste Mitgliedstaat für das Zuständigkeitsprüfungsverfahren zuständig und kann der Fremde vom zweiten Mitgliedstaat an der Einreise gehindert werden.“ Erst wenn sich nach den Regeln der Dublin-III-Verordnung eine Zuständigkeit der Bundesrepublik für die Durchführung des Asylverfahrens ergäbe, besteht eine EU-rechtliche Verpflichtung zur Bearbeitung des Asylantrags.

Mit der Materie intensiv befasste Juristen wie der gehorsame Bundesinnenminister Dr. Thomas de Maizière, der Bundespolizeipräsident Dr. Dieter Romann, der CSU-Rechtsexperte Dr. Hans-Peter Uhl, aber auch der Ex-Verwaltungsrichter Thomas Oppermann als SPD-Fraktionschef haben nicht ohne Grund wiederholt festgehalten, dass die Bundesrepublik über sichere Drittstaaten anreisenden Asylmigranten die Einreise verweigern kann. Die Bundesregierung selbst betonte 2016: „Maßnahmen der Zurückweisung an der Grenze mit Bezug auf um Schutz nachsuchende Drittstaatsangehörige“ kämen zwar „derzeit nicht zur Anwendung“, seien aber im Rechtsrahmen der Dublin-III-Verordnung und des § 18 AsylG zulässig.

Einreiseverweigerung bleibt Merkels Tabu

Die Kanzlerin, für juristische Einwände bekanntlich oft nicht besonders empfänglich, ist es, die unter Verweis auf „europarechtliche Bedenken“ die gesetzlich vorgesehene Zurückweisung an der Grenze auch weiterhin um jeden Preis vermeiden will. Ihre Motive dazu sind aber nicht rechtliche, sondern offenbar dieselben, aus denen sie keine Kampagne in den Herkunftsstaaten der Migranten unternimmt, mit denen den Schleppern das Deutungsmonopol und die Möglichkeit genommen würde, Menschen durch die Erweckung von allerlei Illusionen dazu zu bewegen, ihr Hab und Gut zu verkaufen und sich auf eine Reise mit ungewissem Ausgang zu machen.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 13. Oktober 2017

DER UNTERSCHIED
ZWISCHEN GRÜN UND „GRÜN“

Die „Grünen“ wollen zurück an die Macht und entdecken auf dem Weg nach „Jamaika“ den Heimatbegriff. Doch wie glaubwürdig ist das? Wirksamer Umweltschutz und wahre Nachhaltigkeit kommen schließlich nicht ohne die Kategorie der Nation aus. Und die passt kaum zur „grünen“ Variante der „offenen Gesellschaft“.

DIE NEUEN AUFSICHTSRÄTE

Die parlamentarische Kontrolle der Regierung, die in einer freiheitlich-demokratischen Grundordnung unabdingbar ist, erfährt durch die Fraktion der AfD im Bundestag eine entscheidende Stärkung. Die neuen Oppositionsabgeordneten haben zunächst drei Grundsatzresolutionen verabschiedet und personell Weichen gestellt.

EINHEITSWÄHRUNG AUF DER KIPPE

Italienische Banken kämpfen ums Überleben, die Staatsverschuldung ist exorbitant hoch, die Arbeitslosenquote liegt bei 11,2 Prozent. Die Stimmen, die eine Rückkehr zur Lira befürworten, werden zunehmend lauter. Entscheidet Italien über das Schicksal der Eurozone?

WARTEN AUF DIE UNABHÄNGIGKEIT

Im Nahen Osten hat Kurdenführer Masud Barzani mit dem aus seiner Sicht erfolgreich verlaufenen Unabhängigkeitsreferendum vom 25. September in der Autonomieregion im Norden des Irak den Traum seines Volkes von staatlicher Unabhängigkeit in greifbare Nähe gebracht.

WANN KOMMT DIE
STROMPREISBREMSE?

Nicht zuletzt wegen der Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Bundesrepublik Deutschland dürfte die Finanzierung der Energiewende eine große Rolle bei den anstehenden Koalitionsverhandlungen spielen. Das Projekt muss bezahlbar sein – und funktionieren.

DER KLANG DER MASCHINE

Der Musiker Karl Bartos hat die Gruppe „Kraftwerk“ mitgeprägt. Mit seinem damaligen Einstieg entwickelte das Düsseldorfer Quartett den unverkennbaren Klang. Jetzt ist seine Lebensgeschichte in Buchform erschienen.

ALTERNATIVES WIRTSCHAFTSMODELL

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelten G. K. Chesterton und Hilaire Belloc die Theorie des „Distributismus“ als Alternative zu Kapitalismus und Kommunismus. Ihre Vorstellung einer Kooperativ-Wirtschaft.

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