Nr. 40 vom 29.9.2017
Standpunkt
Faktencheck? Wieder Fehlanzeige!
Zu welchem Nonsens sind deutsche Leitmedien eigentlich nicht fähig? In einem Artikel mit dem hysterischen Titel „AfD: Das Ende der Bundesrepublik“ ging es der Wochenzeitung „Die Zeit“ am Wahltag auf ihrer Internetseite um das von Alexander Gauland postulierte „Recht, stolz zu sein auf die Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen“. Gaulands Forderung stelle „die Erinnerungskultur der Bundesrepublik“ in Frage. Die Druckausgabe der „Zeit“ sah in besagter Äußerung sogar einen „Bruch mit dem Konsens, der den Bundestag über alle Fraktionsgrenzen hinweg getragen“ habe.
Theodor Heuss
In Wahrheit steht die Aussage des AfD-Spitzenmannes, wie man sie auch bewerten mag, durchaus in einer Kontinuität mit der „Erinnerungskultur der Bundesrepublik“, und zwar mit derjenigen bis etwa 1980. Schließlich war es Bundespräsident Theodor Heuss persönlich (also gewissermaßen die Inkarnation der liberalen Demokratie), der 1958 den damaligen FDP-Fraktionsvorsitzenden und späteren Vizekanzler Erich Mende dazu veranlasste, bei festlichen Anlässen sein im Kriege verliehenes Ritterkreuz zum Frack zu tragen – also stolz zu sein auf seine Leistungen als Soldat. Dass ebendiese Haltung über Fraktionsgrenzen hinausreichte, sieht man zum Beispiel daran, dass der Fliegerhorst im holsteinischen Appen 1975 unter SPD-Verteidigungsminister Georg Leber nach dem Jagdflieger Hans Joachim Marseille benannt wurde. Es blieb Ursula von der Leyen, CDU, vorbehalten, am Namen der Marseille-Kaserne zu rütteln.
Während Gaulands Äußerung in Medien viel mit „alternativen Fakten“ untermauerte Empörung hervorrief, stieß der am Tag vor der Bundestagswahl mit platter Stoßrichtung gegen die AfD verfasste „Spiegel Online“-Beitrag „Auge in Auge mit echten Nazis“ über den Fotoband „Real Nazis“ auf keinen Widerspruch von Journalistenseite. Dabei befinden sich in dem besagten Buch von Piotr Uklański neben Bildern mehrerer NS-Verbrecher (wie Otto Ohlendorf und Adolf Eichmann) die Porträts deutscher Soldaten wie Marseille, über den „Spiegel“-Autor Benjamin Maack, dessen Vorstellungswelt offenbar von Hollywoods mieseren Erzeugnissen geprägt ist, schreibt: „Und zeugt das Lächeln von Oberleutnant Hans Joachim Marseille nicht von einem Hang zu zügelloser Grausamkeit? Hat so einer nicht schon in seiner Jugend Fliegen die Flügel ausgerissen?“ In Wahrheit ist Marseille, vier Jahre vor „Spiegel“-Gründer und Ex-Artillerieleutnant Rudolf Augstein geboren, „schon in seiner Jugend“, nämlich im Alter von 22 Jahren, am 30. September 1942, bei El Alamein in Nordafrika gefallen. Jetzt jährt sich sein Tod zum 75. Male.
Wenn dem „Spiegel“-Autor schon nicht auffällt, dass ein Marseille in dem „Buch voller Nazis“, wie er das Werk Uklańskis nennt, nichts zu suchen hat, dann ist es kein Wunder, dass ihn auch Wehrmachthelferinnen darin nicht stören. Und bei so differenzierter Kenntnis der Geschichte erklärt sich auch folgende Bildunterschrift zu dem Porträt des 1944 im Alter von 21 Jahren gefallenen Ritterkreuzträgers Rudolf Becker: „Schön wie eine Hollywood-Diva: Oberleutnant Rudolf Becker. Banalisiert der Bildband die Verbrechen dieser Menschen? Keineswegs. Vielmehr entlarvt er einen Blick auf die Nazis, mit dem wir es uns oft zu leicht machen.“ Welches Verbrechen Becker denn begangen hätte, inwiefern der junge Heeresoffizier ein „Nazi“ gewesen wäre – dazu äußert sich der „Spiegel“ nicht. Und die „Faktenchecker“ waren offenbar mal wieder im Urlaub.
Über den Luftwaffen-Hauptmann und Eichenlaubträger Emil Lang meint „Spiegel“-Maack: „Wäre er ein Bundeswehrsoldat, wäre das Bild eigentlich ganz sympathisch. Im historischen Kontext ist es der Horror.“ Für den eigentlichen Horror, dass Emil Lang im Alter von 35 Jahren gefallen ist, auch weil er kein Bonze war, der zuhause hätte bleiben können, hat der Journalist kein Empfinden. Stattdessen fabuliert er lieber über eine angebliche „Boshaftigkeit, die die Mundwinkel von Kapitänleutnant Robert Gysae umbrandet“ – der mit dem Eichenlaub zum Ritterkreuz ausgezeichnete U-Boot-Kommandant wurde 1956 tatsächlich Bundeswehrsoldat.
Persönlichkeitsrechte?
Unter seine „Real Nazis“ hat der derart gefeierte Künstler Piotr Uklański auch Menschen gesetzt, die im Kreis um Stauffenberg hohe Achtung genossen oder selbst Opfer unmenschlicher Behandlung wurden. Am bedrückendsten ist dieses Vorgehen im Fall einer kahlgeschorenen Frau. Es handelt sich um das Foto einer Französin, die 1944 im Rahmen der „Épuration“ (Säuberung) beschuldigt wurde, ein Verhältnis mit einem deutschen Soldaten gehabt zu haben, und die deswegen misshandelt wurde. Dass die Peiniger ihr Hakenkreuze auf Stirn und Wangen schmierten, reicht offenbar als nicht zu hinterfragender „Beweis“ für Nazitum und Verbrechen.
Die Krönung aber kommt zum Schluss. Der Abgrund an geschichtlicher Ignoranz und Persönlichkeitsrechtsverletzung, der sich in dem „Spiegel“-Artikel offenbart, wurde für einen ganz banalen Zweck aufgetan: Der Beitrag mündet in den Wunsch, wer AfD wählen wolle, möge „sich das noch einmal überlegen“.
Ulrich Wenck
Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 29. September 2017
DIE QUITTUNG
Die historisch schlechten Wahlergebnisse für Union und SPD bedeuten, dass sich die Reihen der Großen Koalition um 105 Parlamentarier lichten. Das liegt in erster Linie an dem Ergebnis der AfD, die mit Alice Weidel und Alexander Gauland als Doppelspitze drittstärkste Kraft wurde.
ZÜNDELN AM PULVERFASS
Bei seiner Rede am 19. September vor der UNO-Vollversammlung forderte US-Präsident Donald Trump, sich Washington anzuschließen und von der iranischen Regierung ein „Ende ihres Strebens nach Tod und Zerstörung“ zu verlangen. Wird das Atomabkommen aufgekündigt? Dr. Bernhard Tomaschitz analysiert.
DIE KATALONIEN-KRISE
Das Ringen um das von der katalanischen Regionalregierung angesetzte Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober hat dramatische Formen angenommen. Ein langfristiger Verbleib Kataloniens im spanischen Königreich ist durch das Agieren der Regierung in Madrid unwahrscheinlich geworden.
EUROZONESIEN?
Nach den Vorstellungen des französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron soll ein Eurozonen-Parlament einen mehrere hundert Milliarden schweren Haushalt des Euroraumes kontrollieren. Aus dem Budget sollen dann auch die Hilfen für Krisenländer erhöht werden.
MARSCH FÜR DAS LEBEN
Rund 7.500 Abtreibungs- und Euthanasiegegner sind in Berlin einem Demonstrationsaufruf des Bundesverbandes Lebensrecht gefolgt. Der Veranstalter: „Wir stehen hier für 40 Millionen Kinder, die weltweit vor der Geburt sterben müssen.“ Gegner wollten die Kundgebung verhindern, doch ihre Störaktionen liefen ins Leere.
SPRACHSTÄRKE
Anglizismen, Wortverstümmelungen, Gendersternchen, „FeministInnen-I“, „Migrantensprech“ und manches mehr: Die deutsche Sprache hat es oftmals nicht einfach. Warum die Folgen dennoch nicht so einschneidend sind, erläutern Wissenschaftler im „Bericht zur Lage der deutschen Sprache“.