Nr. 40 vom 28.9.2018
Standpunkt
Motive hinter den Verlautbarungen
Hans-Georg Maaßen wurde in den letzten Wochen in einer Weise vorgeführt und zum Objekt politischer Ränkespiele gemacht, die man niemandem wünschen kann und die mit „Anstand“, wie ihn die SPD gerade auf ihren bayerischen Landtagswahlplakaten einfordert, nicht das Geringste zu tun hat.
Bundeskanzlerin Merkel erklärte einen Tag nach dem neuen „Deal“ vom 23. September, wonach Maaßen als Verfassungsschutzchef abgelöst und auf einer erfundenen Stelle als „Sonderberater beim Bundesminister des Innern im Range eines Abteilungsleiters (Besoldungsstufe B9)“ für europäische und internationale Aufgaben zuständig sein werde, sie habe „zu wenig an das gedacht, was die Menschen zu Recht bewegt, wenn sie von einer Beförderung hören. Das bedaure ich sehr.“
Wo Maaßen angeblich „zu zögerlich“ war
Woran aber hat man wirklich gedacht, als es um die Versetzung Maaßens ging? Niedersachsens Landesinnenminister Boris Pistorius, der zugleich Sprecher der SPD-Innenminister ist, offenbarte im „Spiegel“ vom 22. September die Motive, warum Hans-Georg Maaßen für ihn nicht akzeptabel war – darunter dieses: „Seit Monaten versuchen viele Landesämter, das Thema AfD auf die Tagesordnung der Amtsleiterbesprechung zu setzen, allerdings erfolglos. Unter Maaßen war das Bundesamt für Verfassungsschutz viel zu zögerlich.“
Vier Seiten vorher bestätigte das Hamburger Magazin, „wie unbeliebt Maaßen ist, nicht nur bei der SPD, sondern auch bei der Kanzlerin“: „Merkel ist nicht entgangen, wie Maaßen und Bundespolizeipräsident Dieter Romann Stimmung gegen ihre Flüchtlingspolitik gemacht haben.“ Stimmung machen – so nennt man es nun in diesen Kreisen also, wenn zwei hohe Beamte und Sicherheitsexperten, beide promovierte Juristen, darauf pochen, dass über sichere Drittstaaten anreisenden Asylmigranten an der Bundesgrenze die Einreise verweigert wird, wie es das Asylgesetz in § 18 Absatz 2 Nummer 1 vorschreibt. Und zwar in voller Vereinbarkeit mit der Dublin-III-Verordnung vorschreibt, was der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier in seiner im Auftrag der FDP-Bundestagsfraktion erstellten „Rechtsgutachtlichen Stellungnahme zu Fragen der Einreiseverweigerung“ für jedermann nachvollziehbar dargelegt hat.
… und bei welchem Thema er störte
Wer die Politik der offenen deutschen Bundesgrenze um jeden Preis fortsetzen will und dafür, wie Merkel das tat, sogar ein wochenlanges Tauziehen mit dem letztlich ohnmächtigen Bundesinnenminister in Kauf nimmt, für den ist ein Mann wie Maaßen natürlich untragbar. Schon vor mehr als zwei Jahrzehnten, in der Einleitung seiner im Wintersemester 1996/1997 von der Universität Köln angenommenen juristischen Dissertation „Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht“, wandte sich Maaßen gegen einen Missbrauch des Asylrechts für eine „unkontrollierte Massenzuwanderung“, durch Schlepperorganisationen „zum organisierten Menschenhandel, um kriminellen Unternehmen in den Zielstaaten billige Arbeitskräfte zur Ausbeutung zuzuführen“, und durch „internationale Verbrecherkartelle, um in den Zielstaaten Fuß zu fassen“.
Die damit im Zusammenhang stehenden Fragen hatte er schon damals zu Ende gedacht: „Fast alle Staaten Westeuropas, die von hohen Asylbewerberzugängen betroffen sind, stehen vor gleichen Problemen: Überlange Asylverfahren, Überlastung von Verwaltung und Justiz, niedrige Anerkennungsquoten, hohe Ausgaben für Sozialleistungen, steigende Ausländerkriminalität, Zunahme der organisierten Einschleusungen sowie Schwierigkeiten beim Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen. Dabei hat sich ein asylpolitischer Circulus vitiosus abgezeichnet: Hohe Asylbewerberzugänge führen wegen Überlastung von Verwaltung und Justiz zu überlangen Verfahrenszeiten; überlange Verfahrenszeiten bieten Asylbewerbern einen längeren Genuss der durch die Asylantragstellung vermittelten Rechtsstellung und bieten einen großen Anreiz für den Nachzug weiterer Asylbewerber, was wiederum zu einer weiteren Belastung von Verwaltung und Justiz führt.“
Dass in Europa „die Akzeptanz gegenüber Asylbewerbern gesunken“ sei, liege daran, dass es sich in der Regel gerade nicht um politisch Verfolgte handele, „sondern um Personen, die mittels des Asylrechts aus überwiegend wirtschaftlichen Gründen zuzuwandern suchen“.
Nicht „um den ganzen Globus“
Im ersten Teil seiner Dissertation untermauerte Maaßen auf den Seiten 205 ff. das „in verschiedenen westlichen Staaten eingeführte Prinzip des sicheren Drittstaates“, das 1993 auch Aufnahme ins Grundgesetz und in das Asylverfahrensgesetz (inzwischen heißt es Asylgesetz) gefunden hat: „Hintergrund dieses Prinzips ist die Überlegung, dass ein vor politischer Verfolgung Flüchtender in dem ersten Staat um Schutz nachsuchen muss, in dem ihm dies möglich ist: Politische Verfolgung rechtfertigt es nicht, dass ein Ausländer um den ganzen Globus reist, damit er in dem Staat um Asyl nachsuchen kann, der ihm am genehmsten ist.“ Konkret bedeutete das laut Maaßen insbesondere: „In Deutschland wird asylsuchenden Ausländern die Einreise verweigert, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat einzureisen suchen (§ 18 Abs. 2 Nr. 1 AsylVfG).“ Die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Mai 1996, die die Asylrechtsreform von 1993 (und damit auch die genannte Bestimmung, die auch heute noch Dreh- und Angelpunkt der migrationspolitischen Auseinandersetzung ist) als mit dem Grundgesetz vereinbar einstuften, wollte Maaßen im letzten Satz seiner Arbeit (S. 386) als „wichtigen Wegweiser für eine realistische, den Interessen der Ausländer und denen der Allgemeinheit Rechnung tragende Asylpolitik“ verstanden wissen.
„Ein schlechter Dienst“
Die dieser Einschätzung von Maaßen zugrunde gelegte Erwägung liest sich, obgleich vor mehr als zwanzig Jahren geschrieben, wie auf Merkel gemünzt: „Nicht nur der Allgemeinheit, sondern auch dem Asylrecht erweist man einen schlechten Dienst, wenn man […] überzogene, auf eine Erweiterung bestehender Asylrechtsverbürgungen hinausgehende Forderungen stellt und notwendige Maßnahmen zur Einschränkung des Asylmissbrauchs bekämpft.“
Keine Frage, dieser Mann musste weg.
Ulrich Wenck
Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 28. September 2018
GRENZENLOS OPPORTUNISTISCH
Die Aussage „Wir sind nicht Deutsch“ ist Teil der aktuellen Werbekampagne des ADAC. Für manchen, der dem Verband noch nicht wegen dessen einseitiger Lobbyforderungen den Rücken gekehrt hat, ist diese Bekundung, die wie ein Vollzug der Merkel’schen Auflösungs- und Nationsverneinungspolitik wirkt, Anlass, den Austritt zu erklären. Für wohlmeinende Interpretationen – zum Beispiel, es handele sich um „Selbstironie“ – ist in der Tat wenig Raum.
KONFLIKT UM DEN HAMBACHER FORST
Der „Hambi“ soll nach dem Willen von RWE ab Mitte Oktober abgeholzt werden, um den Braunkohletagebau zu erweitern. Um das zu verhindern, haben Demonstranten das Waldstück in Beschlag genommen. Die Proteste werden durch rücksichtslose Übergriffe diskreditiert.
ANSICHTEN EINES FLÜCHTLINGS
Der Dalai Lama riet während seiner jüngsten Europatournee Flüchtlingen in Europa zur schnellstmöglichen Rückkehr in die Heimat, um dort den Wiederaufbau zu beginnen. Er weiß, wovon er redet. Schließlich muss der Friedensnobelpreisträger seit fast sechs Jahrzehnten aus der Ferne zusehen, wie seine Heimat einer Sinisierung ausgesetzt ist, die Tibets Kultur und Identität bedroht.
ZENSUS 2011 WAR RECHTENS
Das Bundesverfassungsgericht hat die bei der Volkszählung von 2011 angewandten Methoden bestätigt. Die Normenkontrollklagen von Berlin und Hamburg führten nicht zum Erfolg. Die Einwohnerzahlen der beiden Städte waren gesunken, was weniger Geld aus dem Länderfinanzausgleich zur Folge hat.
KOLLABIERT DIE ENERGIEWENDE?
In der Bundesrepublik Deutschland wird immer mehr Ökostrom produziert. Doch es gelingt nicht, ihn dorthin zu transportieren, wo er benötigt wird. Experten sind sich einig: Weitaus umsichtiger wäre es gewesen, von Anfang an auf ein möglichst dezentrales Netz zu setzen.
BELEIDIGUNGEN UND DROHUNGEN
Ein Brief von Mitarbeitern eines Berliner Klinikums hat die Debatte über die Sicherheitslage von Rettungskräften neu angefacht. Berichtet wird von unhaltbaren Zuständen, darunter auch einer wachsenden Zahl wüster Beschimpfungen und tätlicher Übergriffe.
AUFSTEIRERN IN GRAZ
Auch wenn man es angesichts des großen Zuspruchs und der authentischen Traditionspflege kaum glauben mag: Das Aufsteirern ist gerade erst 16 Jahre alt. Auch heuer kamen wieder 2.500 Akteure und gut hunderttausend Besucher aus Nah und Fern nach Graz – zum größten Volkskulturfest der Steiermark.