Nr. 39 vom 21.9.2018

Nr. 39 vom 21.9.2018

Standpunkt

Intoleranz stürzte Koalition in die Krise

Den wenigsten ist bekannt, dass Hans-Georg Maaßen auch Grundgesetzkommentator ist. Aber man muss diesen Umstand bedenken, wenn man seine Kritik an Kanzlerin Merkel und ihrer Migrationspolitik, seine (laut „Frankfurter Allgemeiner Sonntagszeitung“ unter Berufung auf „Abgeordnete der Koalition“) angeblich „seit 2015 immer emotionaler“ gewordenen Bemerkungen hierzu richtig einordnen will.

Maaßen widmete nicht nur seine 1997 erschienene Doktorarbeit („Die Rechtsstellung des Asylbewerbers im Völkerrecht“) dem Migrationsrecht. Er war zudem von 2002 bis 2012, als ihm die Leitung des Bundesamts für Verfassungsschutz übertragen wurde, „Referatsleiter Ausländerrecht“ im Bundesinnenministerium, gehörte der Schriftleitung der führenden Zeitschrift für Ausländerrecht – ZAR – an und ist einer der Herausgeber des Handbuchs „Zuwanderungsrecht“ (2008).

Maaßens Standpunkte

In dem 2013 in zweiter Auflage erschienenen, von den Professoren Volker Epping und Christian Hillgruber herausgegebenen Grundgesetzkommentar schrieb Maaßen: „Durch die Neuregelung des Asylrechts im Jahr 1993 ist das Asylgrundrecht in einem eigenständigen Artikel 16a GG geregelt worden, der einerseits das Asylgrundrecht beibehält, andererseits für Fälle einer Einreise aus einem sicheren Drittstaat eine Berufung auf das Asylgrundrecht ausschließt […]. Durch diese Verfassungsänderung ist das Asylgrundrecht auf seine eigentliche Funktion, politisch Verfolgten Schutz zu gewähren, zurückgeführt worden. Die unbegründete Berufung auf das Asylgrundrecht durch Personen, die offensichtlich nicht oder nicht mehr aktuell politisch verfolgt werden und die das Asylgrundrecht zur Einwanderung nach Deutschland missbrauchen, ist wirksam eingeschränkt worden.“

Da ist es nachvollziehbar, dass die massenhafte und pauschale Einreisegestattung, die Merkel im September 2015 (im Zuge der Wiedereinführung von „Grenzkontrollen“) statt der gesetzlich vorgesehenen Verweigerung der Einreise über sichere Drittstaaten durchsetzte, den mit einer Japanerin verheirateten Spitzenbeamten Hans-Georg Maaßen erschüttert. Und dass er, zusammen mit Bundespolizeipräsident Dieter Romann, „so etwas wie die Speerspitze des bürokratischen Widerstands gegen Merkels Flüchtlingspolitik“ bildet, wie es der „Spiegel“ formuliert.

Weitere Aussagen aus Maaßens auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts gestützter Kommentierung zu Artikel 16a des Grundgesetzes lauten:

– „Das Asylrecht hat nicht die Aufgabe, vor allgemeinen Unglücksfolgen zu bewahren, die sich aus Krieg, Bürgerkrieg oder sonstigen Unruhen ergeben.“

– „Auf Grund der Subsidiarität des Asylrechts ist nur asylberechtigt, wer durch die Verfolgungsmaßnahmen landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird. Das ist der Fall, wenn er in anderen Teilen seines Heimatstaats eine tatsächlich erreichbare und zumutbare Zuflucht nicht finden kann (sog. inländische Fluchtalternative). Dies gilt selbst dann, wenn dort keine staatliche oder quasi-staatliche Friedensordnung mehr besteht.“

– „Das Gleiche gilt, wenn der Betroffene in einem anderen Staat bereits Aufnahme und Schutz vor Verfolgung gefunden hat. […] Der ausländischen Fluchtalternative stehen gleich die Schutzgewährung durch internationale Organisationen, der freiwillige Verzicht auf anderweitigen Verfolgungsschutz und die anderweitige Verfolgungssicherheit durch eigenes zumutbares, die Gefahr politischer Verfolgung abwendendes Verhalten.“

– „Das Asylgrundrecht findet seine Beschränkungen nicht nur in den Absätzen 2 bis 5 [von Artikel 16a des Grundgesetzes], sondern auch durch andere von der Verfassung geschützte zumindest gleichrangige Verfassungswerte. Ein derartiger Verfassungswert, der im Einzelfall das Asylrecht ausschließen kann, ist die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihr zu gewährleistende Sicherheit der Bevölkerung. Die wichtigste Aufgabe eines freiheitlichen Rechtsstaates besteht darin, für die Sicherheit seiner Bürger zu sorgen.“

Neben der – bis heute anhaltenden – Außeranwendungsetzung der asylgesetzlichen Regelung über die Verweigerung der Einreise über sichere Drittstaaten dürfte Merkels Willkommenspolitik Maaßen auch unter dem Gesichtspunkt empört haben, den er in dem Grundgesetzkommentar unter der Überschrift „Wegfall der Asylerkennung“ behandelt. Der Schutzanspruch aus dem Asylgrundrecht entfällt nämlich, wenn, wie Maaßen schreibt, „politische Verfolgung nicht oder nicht mehr droht“.

Loyalität

An Maaßens Äußerung zu Chemnitz wurde viel Stilkritik geübt. Aber was für ein Stil ist es, dass der Verfassungsschutzpräsident schon einen Tag vor der offiziellen Entscheidung, sein Amt neu zu besetzen, im Internet die Nachricht lesen musste: „Maaßen muss gehen“? Eine eigene Meinung und viel Kompetenz waren es, die im augenblicklichen Klima in der Bundesrepublik Deutschland ausreichten, um eine „Maaßen-Affäre“ auszulösen. Es war demnach nicht Maaßen, der „die Koalition in die Krise stürzte“, sondern ein hohes Maß an Intoleranz und eine geringe Bereitschaft, andere Ansichten zu akzeptieren. Der Riss, der seit 2015 durch die deutsche Gesellschaft geht, macht jedoch vor dem Behördenapparat nicht Halt. Maaßens Schuld ist das nicht – und ihn aus seinem bisherigen Amt zu werfen, löst das Problem nicht, sondern verschärft es.

Man muss Maaßen nicht an seine Loyalitätspflicht erinnern, wie dies Thomas de Maizière als Innenminister bei ihm und ebenso bei Bundespolizeipräsident Romann für angebracht hielt. Loyalität ist – laut dem in Artikel 56 GG formulierten Amtseid des Bundespräsidenten und der Mitglieder der Bundesregierung – im Staat des Grundgesetzes besonders dem deutschen Volk geschuldet, dessen Nutzen es zu mehren und von dem es Schaden abzuwenden gilt. Und der Beamte schwört seinen Eid nicht auf den Regierungschef, sondern darauf, das Grundgesetz und alle in der Bundesrepublik Deutschland geltenden Gesetze zu wahren und seine Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen. Anders als manchem Vorgänger an der Spitze der wiederholt von Skandalen heimgesuchten Bundesbehörde ist Maaßen das gelungen. Dass er seinen Posten trotzdem verlassen muss, ist kein gutes Zeichen.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 21. September 2018

GRENZSCHUTZ IST MÖGLICH

Der Politikwissenschaftler Professor Martin Wagener hat mit seinem Buch „Deutschlands unsichere Grenze“ einen Nerv getroffen. Nach Wageners Grenzschutzkonzept soll sich die Bundesrepublik „nicht abschotten, jedoch umfassende Kontrollinstanzen an Grenzübergangsstellen schaffen“.

BUNDESWEHR NACH SYRIEN?

Offenbar erwägt das Bundesverteidigungsministerium eine deutsche Beteiligung an der Kriegsallianz der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Syrien. Auch Kanzlerin Merkel schließt das nicht aus, die Bürger jedoch sind gegen einen solchen Einsatz, der laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestags gegen Völkerrecht und Grundgesetz verstieße.

BERLIN DROHT EIN CLAN-KRIEG

Vergangene Woche fanden sich in der deutschen Hauptstadt etwa 2.000 Trauergäste, vornehmlich Männer mit arabischen Wurzeln, auf der Beerdigung eines erschossenen Intensivtäters ein. Es ging auch um eine Machtdemonstration, die eine weitere Eskalation im Milieu krimineller Clans befürchten lässt.

DER GRABEN WIRD BREITER

Eine Zweidrittelmehrheit des EU-Parlaments hat den Europäischen Rat aufgefordert, gegen Ungarn ein Rechtsstaatsverfahren einzuleiten. Begründung: Gefährdung von EU-Grundwerten. Viktor Orbán sagt: Ungarn soll wegen seiner unbotmäßigen Migrationspolitik abgestraft werden.

„SIE VERSCHWEIGEN“

Tonangebende Medien haben in den zurückliegenden Wochen ihren Ruf nicht gerade verbessert. Der Medienwissenschaftler Professor Norbert Bolz übt scharfe Kritik: „Die Leute spüren, dass die fast einheitliche Pro-Merkel-Berichterstattung in den Leitmedien nicht mit ihrer eigenen Erfahrung übereinstimmt.“

„HIGHTECH-STRATEGIE 2025“

Das Bundeskabinett hat einen strategischen Leitfaden für die Forschungs- und Innovationsförderung der kommenden Jahre verabschiedet. Ob sich die Bundesrepublik Deutschland damit allerdings gegen die chinesische Konkurrenz behaupten kann, erscheint fraglich.

NETZ MIT FILTER

Am 12. September beschloss das EU-Parlament eine Reform des EU-Urheberrechts. Einer, der davor warnte, ist Wikipedia-Gründer Jimmy Wales, denn Internetriesen wie YouTube und Facebook würden, wenn sie für Verstöße haften, stärker regulieren, filtern und blocken. „Ihnen geht es nicht um Meinungsfreiheit, sondern um die Absicherung ihrer Profite.“

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