Nr. 35 vom 24.8.2018

Nr. 35 vom 24.8.2018

Standpunkt

Benettons Brückenproblem

Nicht nur auf Twitter – mit einer Unzahl anklagender Montagen wie der auf dem Titelbild dokumentierten –, sondern auch in Demonstrationen vor Benetton-Läden wie jenem in Palermo entlädt sich derzeit in Italien Empörung und Wut auf die Familie Benetton, die über ihre Konzernstrukturen einen beherrschenden Einfluss auf die Gesellschaft „Autostrade per l’Italia” ausübt. Letztere betreibt 3.000 Kilometer Autobahnen, darunter die A10 von Genua nach Savona, an der am 14. August der Polcevera-Viadukt einstürzte.

43 Tote, 15 Verletzte und mehr als 600 Evakuierte – das ist die schreckliche Bilanz des Zusammenbruchs der Autobahnbrücke über den Polcevera, der durch Genua fließt. Es wäre nun sicher bequem, den 1989 hochbetagt verstorbenen Ingenieur Riccardo Morandi oder die Bauarbeiter, die damals vielleicht den Beton nicht richtig gemischt haben könnten, verantwortlich zu machen. Aber jede technische Infrastruktureinrichtung hat ihre – bauartbedingt unterschiedliche – Lebensdauer, bedarf der Instandsetzung oder Erneuerung. Und je größer die zu befürchtenden Schäden sind, desto schärfere Anforderungen gebietet das Vorsorgeprinzip.

Warnungen verhallten

Und da lässt sich feststellen, dass die Betreibergesellschaft zwar die Gewinne aus dem (gegenüber den ersten drei Jahrzehnten seit der Eröffnung im Jahr 1967 mehr als vervierfachten) Verkehr über die Genueser „Morandi-Brücke“ einstrich, aber offenbar die Warnungen missachtete, dass das gestiegene Verkehrsaufkommen, insbesondere zu den Stoßzeiten, die Struktur der Brücke einer viel stärkeren Belastung als geplant aussetze und den Verfall beschleunige. Zwar steigerte man die Unterhaltungsaufwendungen, aber die Forderung, die Brücke durch eine neue zu ersetzen, was bereits seit längerem von Fachleuten als unausweichlich angesehen wurde, verhallte. Zu denken gibt auch, dass von libyschen Behörden ein anderes, in derselben Spannbetonbauweise erstelltes Werk Morandis, die Brücke über das Wadi al-Kuf, im Oktober 2017 für den Auto- und für den Fußgängerverkehr geschlossen wurde.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Betreiber der Autostrada A10 die Autobahn an der betreffenden Stelle weder für den Verkehr sperrten noch die Brücke rechtzeitig durch eine neue ersetzten. Erst im Mai hatte die Betreibergesellschaft Arbeiten mit einem Volumen von 20,16 Millionen Euro zur Renovierung der nun eingestürzten Brücke ausgeschrieben. Wie bei so vielen Verkehrskatastrophen der Geschichte drängt sich damit der Eindruck auf, dass an einer Stelle gespart wurde, an der nicht hätte gespart werden dürfen.

„Betreibergesellschaften kassieren Milliarden”

Italiens Transportminister Danilo Toninelli von der Fünf-Sterne-Bewegung formuliert schärfer: „Den Gesellschaften, die unsere Autobahnen betreiben, legen wir die höchsten Mauten Europas hin, während sie für die Konzessionen schandbar geringe Preise zahlen. Sie kassieren Milliarden, entrichten wenige Millionen Steuern und sorgen nicht einmal für die Instandhaltung, die für die Brücken und verschiedene Verkehrsachsen notwendig wäre. Als erstes müssen die Spitzen von ‚Autostrade per l’Italia‘ zurücktreten. Angesichts schwerwiegender Unterlassungen haben wir Verfahren zum möglichen Widerruf der Konzessionen und zur Verhängung von Bußgeldern bis zu 150 Millionen Euro eingeleitet. Wenn sie nicht fähig sind, unsere Autobahnen zu betreiben, wird es der Staat tun.“

Lehren

Aus dem Vorgang kann man zweierlei ersehen: Erstens, wohin die Übergabe wichtiger Infrastruktureinrichtungen in die Hände von Gesellschaften in Privatbesitz führt. Zweitens, dass das multikulturelle Werbeidyll der „United Colors of Benetton“ trügerisch ist, dass es auch mit dem zur Schau gestellten, reichlich oberflächlichen Philantropismus der Milliardärsfamilie möglicherweise nicht allzu weit her ist. Um PR-Aufmerksamkeit zu erzielen, benutzte das Modeunternehmen „Benetton“ erst im Juni 2018 Bilder von Migranten, die von einem „NGO-Schiff“ an Bord genommen worden waren. Wirklich lebensrettende Maßnahmen im eigenen Verantwortungsbereich aber scheinen in dem Konzern keine Priorität genossen zu haben.

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 24. August 2018

NAHLES-VORSCHLAG ZUR
ERDOGAN-RETTUNG

Am 19. August forderte die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles, deutsche Finanzhilfen für die Türkei zu prüfen. Dabei würde eine deutsche „Türkei-Rettung“ einen hohen zweistelligen Milliardenbeitrag kosten. Zudem hätte Deutschland keine Möglichkeit, die Verwendung der Gelder zu prüfen. Und es gibt auch rechtliche Einwände.

UNZUREICHENDER MIGRATIONSPAKT

Das „Flüchtlingsabkommen“ der Bundesrepublik mit Spanien soll den Deutschen suggerieren, Angela Merkel sei willens, die Sekundärmigration innerhalb Europas einzudämmen. In Wahrheit ist das am 11. August in Kraft getretene Abkommen wirkungslos.

DANIEL GÜNTHERS EIGENTOR

Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Daniel Günther, ein treuer Merkelianer, hat laut darüber nachgedacht, mit Blick auf möglicherweise bald anstehende schwierige Regierungsbildungen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg Koalitionen mit der Linkspartei nicht auszuschließen. Die Reaktionen.

SCHWERE SCHLAPPE FÜR MONSANTO

Der Verdacht, dass Glyphosat Krebs erregt, verdichtet sich. Das bringt den Chemieriesen Bayer AG zunehmend in Bedrängnis. Denn am Ende könnte sich die Monsanto-Übernahme für die Leverkusener als gewaltige Fehlinvestition entpuppen.

ZUGPFERD „MADE IN GERMANY“

Haben Dieselskandale und das Baudesaster des Berliner Flughafens nachhaltig am Image deutscher Wertarbeit gekratzt? Dazu liegt nun eine interessante Untersuchung vor. Die gute Nachricht vorab: „Made in Germany“ schreibt weiterhin an der eigenen Erfolgsgeschichte.

WESTFÄLISCHER WIRBELWIND

Die bundesdeutsche Leichtathletik hat spätestens nach den erfolgreichen Europameisterschaften von Berlin mit der Ausnahmesprinterin Gina Lückenkemper wieder ein prominentes Gesicht. Die 21-Jährige sorgt nicht allein durch ihre sportlichen Erfolge für großes Aufsehen.

EIN TIROL

Was das „Projekt Reschenbahn“ zur Landeseinheit beitragen könnte. Die im Bozener Landtag vertretene Süd-Tiroler Freiheit setzt auf eine bestmögliche Vernetzung der Tiroler Landesteile und hat das Thema in den Südtiroler Landtagswahlkampf eingebracht.

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