Nr. 35 vom 23.8.2019
Standpunkt
Amazonas-Zerstörung und
EU-Freihandelspolitik
Laut der am 13. August veröffentlichten Studie „Below The Canopy“ („Unter dem Blätterdach“) des World Wide Fund For Nature sind die weltweiten Tierbestände in Wäldern seit 1970 im Durchschnitt um mehr als die Hälfte zurückgegangen. 2020 ist aus Sicht der Naturschutzorganisation das entscheidende Jahr zur Einleitung wirksamer Maßnahmen zum Wald-, Arten- und Klimaschutz.
Ein besonders dramatisches Bild zeichnet die Studie von den Tropen, darunter dem Amazonas-Regenwald. Umso bedenklicher ist dessen noch zunehmende Beseitigung zugunsten landwirtschaftlicher Nutzflächen. Nach Auswertung von Satellitendaten meldete das brasilianische Weltrauminstitut Instituto Nacional de Pesquisas Espaciais (INPE) eine massive Zunahme der Rodungsaktivitäten. Allein im Juli dieses Jahres sollen 2.254 Quadratkilometer Regenwald vernichtet worden sein. Im Vorjahresmonat waren es knapp 597 Quadratkilometer, was einem Anstieg von 278 Prozent entspricht.
Der Regenwald am Amazonas gilt als „Lunge der Welt“, weil er jedes Jahr über zwei Milliarden Tonnen Kohlendioxid verarbeitet und ein Fünftel des gesamten Sauerstoffs auf der Welt erzeugt. Rund 60 Prozent des Regenwaldes liegen auf brasilianischem Territorium, was ihn zur Verfügungsmasse des agrarindustriefreundlichen Präsidenten Jair Bolsonaro macht. Dieser unterstützt die Entwaldungsmaßnahmen der heimischen Agrarkonzerne. Weil deren Exportschlager Rindfleisch und Soja sind, werden die abgeholzten Flächen zuerst als Weideland und dann für den Sojaanbau genutzt. Gerd Angelkorte von der Universität von Rio de Janeiro stellt deshalb fest: „Brasilianisches Rindfleisch beeinträchtigt die Umwelt stark.“
Das EU-Mercosur-Abkommen
Die Europäische Union opfert jenseits wohlfeiler Konferenzreden den Schutz des Regenwaldes, wenn es um ihr Dogma des Freihandels geht. Ende Juni 2019 einigten sich die Vertreter der EU und des südamerikanischen Wirtschaftsbundes Mercosur, zu dem neben Argentinien, Paraguay, Uruguay auch Brasilien gehört, auf ein umfassendes Handelsabkommen. Entstehen soll, in den Worten der EU, „ein Markt mit 780 Millionen Menschen“, die größte Freihandelszone der Welt.
Wenn das Abkommen in Kraft tritt, wird der damit verbundene Zollabbau die Exportgeschäfte der Soja- und Rindfleischproduzenten Brasiliens noch befeuern – und damit die Zerstörung des Kohlendioxid neutralisierenden Amazonaswaldes zwecks Gewinnung neuer Nutzflächen. Auch wird die stark wachsende Palmölproduktion Brasiliens dadurch angekurbelt, was ebenfalls große Waldflächen im Regenwald Amazoniens fordern wird.
Übrigens fällt der Gran Chaco, die zweitgrößte Waldregion in Südamerika, ebenfalls immer mehr der Abholzung für die landwirtschaftlichen Zwecke zum Opfer, die durch das EU-Mercosur-Abkommen noch lukrativer werden sollen. Der Gran Chaco liegt auf dem Gebiet der Mercosur-Mitglieder Argentinien und Paraguay sowie in Bolivien, das dem südamerikanischen Handelsblock bereits assoziiert ist und demnächst Vollmitglied werden soll. Gut ein Fünftel des Gran-Chaco-Waldes wurde seit 1985 zu Farm- oder Weideland gemacht.
Kein Wunder, dass – neben europäischen Landwirten und Verfechtern der Rechte der indigenen Bevölkerung – Umweltaktivisten gegen das von der EU mit Mercosur ausgehandelte Freihandelsabkommen protestieren. Denn selten ging Handelspolitik so offen zulasten des Weltklimas und der Artenvielfalt.
Rudolf Fischer
Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 23. August 2019
AKK: NEUES EIGENTOR
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Am 1. September endet die Bewerbungsfrist für alle Sozialdemokraten, die sich zur Führung ihrer Partei berufen fühlen. Die Resonanz hätte besser ausfallen können. Außer Olaf Scholz gibt es keinen Bewerber aus der ersten Reihe. Der Bundesfinanzminister begründet seine Kandidatur: „Es tut der SPD nicht gut, wenn es so rüberkommt, als ob sich keiner traut.“
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Boris Johnson hat sich festgelegt: Er will, dass Großbritannien am 31. Oktober die EU verlässt. Die Möglichkeiten der „Remain“-Fraktion, dies zu verhindern, sind in der kurzen verbliebenen Zeitspanne äußerst begrenzt. Wie der neue Premier die Opposition ins Leere laufen lässt.
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VIEL ZU TUN IN DER PFLEGE
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Die Hamburger Kunsthalle feiert ihren 150. Geburtstag. Durch ihre Gründungsgeschichte hebt sie sich ab von „Fürstensammlungen“ wie den Münchner Pinakotheken, der Dresdner Galerie Alte Meister oder dem Wiener Kunsthistorischen Museum. Denn in der Hansestadt war es bürgerliches Engagement, das dem Volk die Kunst zugänglich machte.