Nr. 31 vom 27.7.2018
Standpunkt
Wer spaltet? Wer rückt?
Ob (und gegebenenfalls von wem) Bayern verhetzt wird, ist Ansichtssache. Fest steht aber, dass Bayern – wie Deutschland allgemein – tief gespalten ist. Und diese Spaltung hat bekanntlich nicht die CSU herbeigeführt, sondern eine Frau, deren Name und deren Politik seit nunmehr drei Jahren Familienkräche auslösen und in vielen Ehen um des lieben Friedens willen ausgeklammert werden. Die gegen die CSU gerichtete Demonstration „#ausgehetzt – Gemeinsam gegen die Politik der Angst“ am 22. Juli 2018 in München steht für die in Bayern eher kleine Fraktion der Merkelianer, die allerdings mächtigen medialen Rückhalt findet. Die Teilnehmer der Demonstration sahen sich beim Marsch zur Schlusskundgebung auf dem Königsplatz mit CSU-Plakaten konfrontiert, auf denen der Spieß umgedreht wird: Die bayerische Regierungspartei nimmt für sich den politischen Anstand in Anspruch, den ihr ihre Gegner neuerdings stereotyp absprechen, und kehrt den Verhetzungsvorwurf gegen die „#ausgehetzt“-Veranstalter.
In dem Demonstrationsaufruf wurden nicht nur (neben durchaus konsensfähigen Formeln gegen Überwachungsstaat und Einschränkung unserer Freiheit) „Seehofer, Söder, Dobrindt und Co.“ für eine „verantwortungslose Politik der Spaltung“ verantwortlich gemacht. Man wolle vielmehr auch „ein Zeichen gegen den massiven Rechtsruck in der Gesellschaft“ setzen.
Faktencheck
Aber hält die Behauptung vom „Rechtsruck“ einer Nachprüfung stand? Hat sich der deutsche Bürger wirklich „nach rechts“ bewegt? Hat nicht eher die herrschende Politik in den letzten 25 Jahren einen Großteil dessen aufgegeben, was Konsens war?
Deutlich wird das gerade bei dem Asylthema. Die Regelung, die Seehofer (wie auch die AfD) wieder angewendet wissen will, § 18 Abs. 2 Nr. 1 des Asylgesetzes, wurde 1993 im Zuge des sogenannten Asylkompromisses von SPD, FDP und C-Parteien gemeinsam verabschiedet. Danach ist einem Asylgesuchsteller an der Bundesgrenze die Einreise zu verweigern, wenn er über einen sicheren Drittstaat anreist. Die alles andere als menschenfeindliche Logik der Bestimmung ist, dass der Betreffende in dem Drittstaat schon in Sicherheit ist und weitere Personen nicht dazu verleitet werden sollen, dass sie (oder ihre stärksten Familienmitglieder) den gefährlichen Weg nach Deutschland antreten.
Diese Regelung ist nicht nur ethisch besser begründbar als die herrschende Praxis, die (ohne Rücksicht auf die „Verwerfungen“ für Migranten und Bürger) eine fortgesetzte Völkerwanderung bedeutet, sie ist auch nach wie vor geltendes Recht – wenn auch seit dem September 2015 auf Merkels Geheiß außer Anwendung gesetzt. Wie der frühere Bundesverfassungsgerichtspräsident Hans-Jürgen Papier jüngst überzeugend in dem Rechtsgutachten für die FDP-Bundestagsfraktion darlegte, kollidiert sie nicht mit der Dublin-III-Verordnung, sondern steht mit ihr im Einklang. Wie aber kann, wer die Wiederanwendung einer vom Deutschen Bundestag mit breiter Mehrheit beschlossenen Regelung verlangt, der „Hetze“ und des „Rechtsdriftens“ verdächtigt werden?
Niedriges Vokabular
Die Demonstration richte sich auch gegen das „niedrige Vokabular“, dessen sich der politische Diskurs immer mehr bediene, zitiert die „Süddeutsche“ in ihrer „Ausgehetzt“-Reportage den Schriftsteller und Teilnehmer Friedrich Ani. „Achtsam mit Sprache umzugehen, ist keine Bagatelle, sondern (politisch) entscheidend“, hatte auch Kabarettist Claus von Wagner, Unterstützer des Protestzugs, verkündet.
Aber keineswegs alle schafften es an diesem Tag, selbst diese Veränderung zu verkörpern, die sie anzustreben vorgaben. Ein Transparent zum Beispiel beschwor ein „Viertes Reich“ herauf und verpasste dessen vermeintlichen Protagonisten Seehofer und Söder anstatt eines lateinischen Anfangsbuchstabens eine S-Rune. Man muss nicht der geschmähten Partei nahestehen, um Losungen abzulehnen, wie sie der CSU-Landtagsabgeordnete Florian Herrmann nach der Demo sarkastisch zusammenfasste: „Mit Parolen wie ‚FickDichCSU’, ‚CSUrensöhne’, ‚CSU Faschistenpack’, ‚Du mieser Haufen CSU’ gegen die Verrohung der Sprache demonstrieren … Genau mein Humor.“ Sein Parteikollege Markus Blume ergänzte gegenüber dem „Spiegel“: „Dass nebenbei auch noch bei der Demo erklärt wird ‚Ganz München hasst die Polizei’, spricht Bände über den Kreis der Unterstützer auch aus dem linksradikalen Umfeld.“
Die Hetze nahm kein Ende
„Ausgehetzt“ hatte es sich nach der Demonstration auch in einer Münchner U-Bahn noch nicht. Als der „Fahrgastfernseher“ einen vollbesetzten Zug darüber informierte, dass im rund 100 Kilometer von der bayerischen Landeshauptstadt entfernten Kaufbeuren an diesem Sonntag in einem Bürgerentscheid über den Bau einer Ditib-Moschee abgestimmt werde (siehe auch Seite 2), meinte ein bunt gekleideter Mann mittleren Alters mit Nasenring, im Brustton der Verachtung zu einer Tirade ansetzen zu müssen. Seine Mitreisenden, ob sie wollten oder nicht, vernahmen also, dass das Allgäu ein „einziges braunes Loch“ sei. Der Mann pauschalisierte und diffamierte, kurz: er hetzte hier gegen eine ganze Region und zwar aufgrund eines direktdemokratischen Vorgangs. Das Ergebnis des Votums stand zum Zeitpunkt, da die Nachricht über die Bildschirme in der U-Bahn flimmerte, noch gar nicht fest.
Der „Blick in die Seele des Südens“ ist sehr eingeschränkt, wenn man wie die „Süddeutsche“ nur die nach Polizeischätzung 25.000 Demonstrationsteilnehmer auf dem Münchner Königsplatz (die teilweise sogar aus dem Schwarzwald angereist waren) betrachtet und Positionen außen vor lässt, die sich in den jüngsten Umfragen zur Migrationspolitik und nicht zuletzt im Kaufbeurer Bürgerentscheid widerspiegeln. Die haben nämlich nichts mit Hetze zu tun, sondern Anrecht auf einen Platz im demokratischen Entscheidungsprozess.
D. Sammer
Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 27. Juli 2018
JUNCKERS FEHLTRITTTE
Während Fernsehsender unspektakuläre Bilder vom Treffen der Staats- und Regierungschefs beim NATO-Gipfel am 11. Juli in Brüssel verbreiteten, sorgten Aufnahmen im Internet für Aufsehen, die einen schwankenden EU-Kommissionspräsidenten zeigten. Junckers Antwort auf die daraufhin entstandenen Spekulationen geriet zum unfreiwilligen Lalula. Ja, Morgenstern spielt dabei auch eine Rolle.
LEHREN AUS DEM FALL SAMI A.
Das Beispiel des 1976 geborenen tunesischen Staatsangehörigen, der als früherer Leibwächter Osama bin Ladens gilt und 1997 in die Bundesrepublik gekommen war, zeigt, wie schwierig es ist, selbst abgelehnte Asylbewerber mit Gefährderpotenzial zurückzuführen.
TRUMP SPIELT KRIEG GEGEN CHINA
Bis zum 2. August noch findet zwischen Hawaii und Kalifornien das RIMPAC-Seemanöver statt. Muss die Großübung, an der neben den USA 25 weitere Staaten teilnehmen, als Zeichen für eine zunehmend aggressive Außenpolitik Washingtons gegenüber China gewertet werden?
REPUBLIK EUROPA
Die Politologin Ulrike Guérot will am 9. November die Europäische Republik ausrufen lassen. Damit Guérots hybride Vision den Weg von der Theaterbühne in die politische Realität findet, muss der Nationalstaat abgeschafft werden.
HILFE, MEINUNGSVIELFALT!
Im Bundestag treten CDU, CSU, SPD, FDP, Grüne und Linke geschlossen gegen die AfD-Fraktion auf. Tonangebende Medien liefern die Begleitmusik. Doch die Einseitigkeit schreckt ab. Und die Umfrageergebnisse für die AfD werden stabiler.
TATORT SCHULE
Beleidigungen, Drohungen, Gewalt: Die Kriminalität an Schulen in der Bundesrepublik Deutschland hat in den vergangenen Jahren in zehn Bundesländern teilweise drastisch zugenommen. Die Entwicklung hat mit der Politik von Kanzlerin Merkel zu tun.
DEUTSCH INS GRUNDGESETZ?
Derzeit und noch bis zum 24. August läuft die Wahl zum „Sprachpanscher des Jahres“, die man zum Anlass nehmen kann, die Schutzwürdigkeit der deutschen Sprache zu thematisieren. Wer ist aus welchen Gründen dagegen, sie im Grundgesetz zu verankern?