Nr. 27 vom 29.6.2018

Nr. 27 vom 29.6.2018

Standpunkt

Professor Papiers Gutachten

Dass es bei dem Thema Zurückweisung an der Grenze keineswegs um eine „Pipifax-Frage“ geht, wie manche Medien suggerieren, machte soeben der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Professor Hans-Jürgen Papier, deutlich. Die FDP-Bundestagsfraktion hatte ihn, wie es in der Einleitung seines auf den 26. Juni 2018 datierten, 14 Seiten umfassenden Gutachtens heißt, „um eine rechtsgutachtliche Stellungnahme zu der Frage gebeten, ob es nach geltendem Recht zulässig ist, Ausländern unter bestimmten Voraussetzungen die Einreise nach Deutschland zu verweigern, wenn sie aus einem angrenzenden Mitgliedsstaat der Europäischen Union einreisen“.

Einreiseverweigerung verstößt nicht
gegen Dublin-III-Verordnung

Dabei berücksichtigte der renommierte Jurist sowohl die deutsche Rechtslage als auch das EU-Recht, soweit dieses „zum deutschen Recht in Widerspruch stehen und daher dessen Anwendung ausschließen könnte“. Als Ausgangspunkt dient Papier § 18 Absatz 2 Nummer 1 Asylgesetz, wonach einem Ausländer, der bei einer mit der polizeilichen Kontrolle des grenzüberschreitenden Verkehrs beauftragten Behörde um Asyl nachsucht, die Einreise zu verweigern ist, wenn er aus einem sicheren Drittstaat einreist: „Da die Bundesrepublik Deutschland ausschließlich an solche ‚sicheren Drittstaaten‘ grenzt, fällt die Einreise in die Bundesrepublik Deutschland auf dem Landwege zweifelsohne unter die Regelung des § 18 Abs. 2 Nr. 1 Asylgesetz.“ Bei dieser Bestimmung handele es sich um zwingendes Gesetzesrecht.

Hinsichtlich der Möglichkeit des Bundesinnenministeriums, aus humanitären Gründen anzuordnen, von der Einreiseverweigerung abzusehen, bemerkt Papier, eine solche „Ausnahmeanordnung“ dürfe nicht dazu genutzt werden, „dauerhaft die faktische Außerkraftsetzung der Regelverpflichtung aus § 18 Abs. 2 Asylgesetz zu bewirken“. Und auch soweit EU-rechtlich ein deutscher „Selbsteintritt“ zulässig wäre, durch den die Bundesrepublik zum für ein Asylverfahren zuständigen Mitgliedstaat wird, „darf dies aus Gründen der Rechtsbindung an zwingendes nationales Recht nicht so weit gehen, dass § 18 Abs. 2 Asylgesetz letztlich durch administrative Entscheidungen weitgehend obsolet wird“.
Deutlich tritt Papier der Auffassung entgegen, die im deutschen Recht vorgesehene Einreiseverweigerung verletze die Regeln der Dublin-III-Verordnung. Diese EU-Verordnung begründe nicht eine Pflicht eines jeden Mitgliedstaates, jeden Antrag eines jeden Antragstellers zu prüfen und deshalb auch die Einreise und den Aufenthalt in jedem Fall zu gestatten, selbst wenn man „ersichtlich für das Asylverfahren – eigentlich – nicht zuständig ist oder ein Asylantrag schon in einem anderen Mitgliedstaat gestellt oder dort oder im Inland bereits abgelehnt worden war“. Eine solche Auslegung könne „nur bei einer sehr oberflächlichen Norminterpretation in Erwägung gezogen werden; die gebotene systematisch-teleologische ebenso wie die historische Interpretation widerstreiten einem solchen Normverständnis eindeutig“. Papier untermauert in diesem Zusammenhang, was seine vier Professorenkollegen Alexander Peukert, Christian Hillgruber, Ulrich Foerste und Holm Putzke in ihrem schon 2016 in der „Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik“ (ZAR) erschienenen Beitrag „Einreisen lassen oder zurückweisen? Was gebietet das Recht in der Flüchtlingskrise an der deutschen Staatsgrenze?“ mit seines Erachtens „überzeugender Argumentation dargelegt“ haben.

„Erschütterung des Vertrauens der Bürger“

Der ehemalige Verfassungsgerichtspräsident verweist auf konkrete Bestimmungen der Dublin-III-Verordnung (etwa deren Art. 3 Abs. 1 Satz 2 und deren Art. 20 Abs. 4) und kommt zu dem Ergebnis: „Nach dem Regelungssystem der Dublin-III-VO sollen gerade nicht mehrere Mitgliedstaaten eine Prüfungspflicht haben, überdies soll auch vermieden werden, dass Drittstaatsangehörige letztlich das Asylland und ihren Aufenthaltsstaat frei wählen dürfen. Es ist gerade das vorrangige Ziel des EU-Asylverfahrensrechts, eine ‚irreguläre Weiterreise‘ und damit eine sogenannte Sekundärmigration weitestgehend zu verhindern.“ Eine Interpretation, „die auf eine nahezu unbegrenzte Einreise- beziehungsweise Weiterreiseberechtigung von Asylbewerbern hinausläuft, widerstreitet also in eklatanter Weise dem primären Regelungsziel der Dublin-III-Verordnung“. Dem lasse sich auch nicht die Möglichkeit von Überstellungen an den an sich zuständigen Mitgliedstaat entgegenhalten, die vielfach aus rechtlichen und/oder faktischen Gründen scheiterten.

Papier konstatiert, dass es nach wie vor um „illegale Migration größeren Stils“ geht, warnt vor einer „Erschütterung des Vertrauens der Bürgerinnen und Bürger in den Bestand und in die Effektivität des Rechtsstaats“ und sieht keine Rechtfertigung, das „geltende Recht dauerhaft unbeachtet zu lassen“.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 29. Juni 2018

DAS GÜNDOĞAN-GEFÜHL

Mit Autokorsos, wehenden Fahnen und Jubelchören wurde in Deutschland Erdoğans Sieg bei den türkischen Präsidentschaftswahlen zelebriert. Die große Zustimmung, die vielen als Zeichen einer gescheiterten Integration gilt, hat schlicht damit zu tun, dass die Identität nicht so einfach wie Wohnort oder Pass gewechselt wird.

PARTEISTIFTUNGEN GREIFEN
WEITER ZU

Mit ihrem Vorstoß zur Eindämmung der Geldflüsse an parteinahe Stiftungen biss die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag auf Granit. Der Bund der Steuerzahler hatte die „Finanzierung im rechtsfreien Raum“ zuvor wiederholt gerügt.

VOLK OHNE NAMEN?

Auch in ihrer Rede beim Integrationsgipfel sprach die Kanzlerin nicht von den Deutschen, sondern – diesmal – von denen, „deren Familien schon seit Jahrhunderten in Deutschland leben“. Angela Merkels immer wieder zutage tretende Scheu, das deutsche Volk beim Namen zu nennen – ist sie nur etwas Nebensächliches?

ZURÜCKWEISUNGEN RETTEN LEBEN

Maria aus Freiburg, Mia aus Kandel, Mireille aus Flensburg und Susanna aus Mainz stehen für Opfer, die hätten vermieden werden können, wenn über sichere Drittstaaten anreisenden Asylmigranten gemäß § 18 Absatz 2 Nr. 1 Asylgesetz die Einreise verweigert worden wäre, wofür 2015 kein Geringerer als Bundespolizeichef Dieter Romann eintrat.

GLEICHBERECHTIGUNG IM PARTEIENSPEKTRUM?

Wie manche Pädagogen, Behörden, Parteien und Medien gegen die AfD mobil machen, ist nicht nur Geschmacksache, sondern rechtlich bedenklich. Der Grundgesetzauftrag ist eindeutig: „Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit.“

REGIMEWECHSEL IN NICARAGUA?

Einiges spricht dafür, dass die heftigen Proteste gegen Nicaraguas Präsidenten Daniel Ortega nicht allein innenpolitische Ursachen haben. Denn das Land durchkreuzt seit einigen Jahren Washingtons Hegemonialansprüche in Mittelamerika.

HOFFNUNG FÜR DIE „SANFTEN RIESEN“

Die Zahl der in Ostafrika freilebenden Berggorillas ist erstmals seit Jahrzehnten wieder vierstellig. Das ist ein großer Erfolg für den Artenschutz, der unter widrigen Bedingungen in einer von Bürgerkrieg und Bevölkerungsexplosion betroffenen Region erzielt wurde.

„LORBEEREN FÜR SCHADOW“

Dieser Tage jährt sich die „Inthronisierung“ der Viktoria mit der Quadriga auf dem Brandenburger Tor zum 225. Male. In Berlin würdigt eine Ausstellung nun den Bildhauer Johann Gottfried Schadow, der mit seiner Gestaltung der Figurengruppe und des Attikareliefs das Bauwerk zum unverwechselbaren National- und Friedenssymbol machte.

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