Nr. 26 vom 22.6.2018
Standpunkt
Merkels Signale
Ob Bundesinnenminister Seehofer seine Zusagen gegenüber den deutschen Bürgern einlösen kann oder ob am Ende eine nichtssagende Formel steht und eine echte Wende in der Asylpolitik unterbleibt, lässt sich noch nicht beurteilen. Fest steht bisher nur: Merkels hartnäckiges Nein zur Zurückweisung an der Grenze hat sie nicht nur in noch weiteren Kreisen der Bevölkerung Vertrauen gekostet und ihr einen völlig überflüssigen neuen Konflikt mit der ohnehin entfremdeten Schwesterpartei eingetragen, sondern bedeutet auch ein hohes zusätzliches Risiko für Deutschland. Der Chefredakteur des „Münchner Merkur“, Georg Anastasiadis, dürfte mit seinem Kommentar „Merkels Paukenschlag“ richtig liegen: „Wenn man so will, erneuert Angela Merkel mit ihrer demonstrativen Absage an Grenzkontrollen ihr Einladungssignal aus dem Jahr 2015. Schon damals hatten Schleuser in Afrika und anderswo ihre Worte zur Sicherbarkeit der Bundesgrenze als das verstanden, was es war: die Zusage, dass jeder, dem es gelingt, seinen Fuß irgendwo auf europäischen Boden zu setzen, es am Ende auch bis nach Deutschland schafft.“
Seehofer hat auch damit Recht, dass er die Zurückweisungen bereits in einem anderen EU-Staat als Asylgesuchsteller in Erscheinung getretener Migranten zu einem Zeitpunkt einführen will, in dem monatlich „nur“ zwischen 10.000 und 15.000 Personen erstmals als Asylsuchende in Deutschland registriert werden, und bevor die Zahlen wieder anschwellen, was sich schon abzeichnet. Denn so ließe sich die Maßnahme weitaus einfacher etablieren. Wenn die Einreise in die Bundesrepublik nicht mehr ohne weiteres möglich ist, wirkt sich dies auch auf die Zahl der Migranten aus – und zwar schon bei der Entscheidung, ob man Hab und Gut, Heimat und Familie hinter sich lassen soll oder nicht. Denn die seit 2015 für jedermann offene deutsche Bundesgrenze ist einer der stärksten „Pull-Faktoren“ – sie zieht Migranten förmlich an.
Merkels Unterfangen, eine europäische Lösung beim Migrationsthema zu finden, betrachtet „Spiegel Online“ als „aussichtslose Mission“. Das gilt freilich kaum für eine „Lösung“, bei der noch mehr Asylmigranten nach Deutschland kämen. Einen entsprechenden Vorschlag hat das EU-Parlament im November 2017 auf den Weg gebracht. Er sieht nicht nur einen umstrittenen Mechanismus zur Verteilung auf die EU-Staaten vor. Vor allem soll danach bereits die Geltendmachung prima facie ausreichender Anhaltspunkte für den Aufenthalt von Familienangehörigen in einem anderen Mitgliedstaat genügen, um einen neu in der EU ankommenden Asylmigranten in den betreffenden Staat zu überstellen. Käme es nur auf eine solche „Ankerperson“ an, die sich schon in Deutschland befindet, damit die Bundesrepublik für das Asylverfahren zuständig wird, würden sich die Folgen der Fehler der vergangenen Jahre noch potenzieren. Unter diesen Umständen kann es sich als glückliche Fügung erweisen, dass Österreich im Rat der Europäischen Union in der zweiten Hälfte dieses Jahres den Vorsitz führt.
Ulrich Wenck
Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 22. Juni 2018
ZURÜCKWEISEN IST KEINE HEXEREI
Zurückweisungen an der Grenze sind, wie Bundesinnenminister Seehofer auf seiner Pressekonferenz am 18. Juni ausführte, nicht nur geboten, sondern auch „ohne jede Schwierigkeit“ durchzuführen. Doch Kanzlerin Merkel macht auch jetzt noch aus einem ganz normalen Mittel jedes Staates ein Tabu.
MERKELS MIGRATIONSPOLITIK AM ENDE
Die Morde an Maria aus Freiburg, Mia aus Kandel und Mireille aus Flensburg sorgten schon für hitzige Debatten über die Folgen uneingeschränkt offener Grenzen. Nun drängen der Fall Susanna und weitere Gewalttaten sowie die Festnahme des Asylbewerbers, der in seiner Kölner Wohnung hochgiftiges Rizin hergestellt hat, die Jeder-kann-rein-Ideologie weiter in die Defensive.
VOLLGELD
Ist das Vollgeld ein radikales Experiment oder stellt es tatsächlich eine sinnvolle Alternative zu unserem krisenanfälligen Geldsystem dar?
SOZIALDEMOKRATISCHE FEHLERSUCHE
Die SPD taumelt schwierigen Zeiten entgegen. Das dämmert nach dem historisch schlechten Bundestagswahlergebnis und anhaltenden Umfragepleiten auch optimistischen Genossen. Doch die parteiinterne Ursachenforschung umgeht das Hauptproblem: die Entfremdung von der Kernwählerschaft.
HILFERUF DER HELFER
Folgt man Polizeimeldungen, Verbandsstellungnahmen und Regionalnachrichten, sind Rettungskräfte immer häufiger Gewalt ausgesetzt. Wie sehen die Täterprofile aus und was sagt es über den Zustand einer Gesellschaft aus, wenn diejenigen, die anderen helfen, zur Zielscheibe werden?
ANLAUFSCHWIERIGKEITEN
Das 0:1 gegen Mexiko zum Auftakt der Fußball-WM in Russland war für den DFB die erste WM-Pleite seit der 0:1-Halbfinalniederlage gegen Spanien am 7. Juli 2010 in Südafrika.
ZUKUNFTSCHANCE BIOÖKONOMIE
Der Wandel von einer vornehmlich auf Erdöl basierenden Ökonomie zu einer auf erneuerbaren Ressourcen beruhenden Wirtschaftsweise, die weniger auf fossile Rohstoffe setzt, stellt eine der großen Zukunftsherausforderungen für westliche Industriestaaten dar.
VERKLÄRER DER „WALDHEIMAT“
Peter Roseggers Schriften, sein Netzwerk und seine Gedankenwelt sind viel zu vielschichtig, als dass das oft belächelte Etikett „Heimatdichter“ sie erfassen könnte. Ein genauerer Blick auf Leben und Werk des Steirer Dichters lohnt sich allemal, erst recht zu seinem 100. Todestag.