Nr. 23 vom 1.6.2018

Nr. 23 vom 1.6.2018

Standpunkt

Ein BAMF-Untersuchungsausschuss
genügt nicht

In der BAMF-Affäre ist die Verantwortung von Bundeskanzlerin Merkel und ihrem „Flüchtlingskoordinator“, dem jetzigen Wirtschaftsminister Peter Altmaier, stärker in den Mittelpunkt gerückt. Die Vorgänge um falsche, von mehreren Außenstellen des „Bundesamts für Migration und Flüchtlinge“ ausgestellte Asylbescheide haben sich zu einer Staatsaffäre ausgewachsen und verweisen auf die größeren Linien in der Migrationskrise, die ihr Ausmaß erst durch die für jedermann offene deutsche Staatsgrenze erhielt. Dieser starke „Pull-Faktor“ wirkte – und wirkt weiterhin – wie ein Magnet.

Als sich auf der Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages am 29. Mai Bundesinnenminister Horst Seehofer einer Befragung der Abgeordneten stellen musste, versprach er einmal mehr, die Affäre schonungslos aufzuklären und dort, wo es nötig ist, Konsequenzen zu ergreifen. Nach der nichtöffentlichen Sitzung des Innenausschusses entschuldigte sich Seehofer bei den Bürgern für den „handfesten Skandal“ und versprach „totale Transparenz“. Aber wie soll Seehofer Zustände, die er zu Zeiten, in denen er noch bayerischer Ministerpräsident war, als „Herrschaft des Unrechts“ gegeißelt hatte, aufklären, ohne dass seine Regierungschefin Schaden nimmt?

Der Skandal um das BAMF ist ja nur ein kleiner Teilaspekt der Asylpolitik der Regierung Merkel, die Kriminalität, Terrorgefahr und Wohnungsnot steigen lässt. Als der Spitzenbeamte Frank-Jürgen Weise Mitte September 2015 auf ausdrücklichen Wunsch Angela Merkels zum neuen Leiter des BAMF avancierte, war er der „Supermann der Kanzlerin“ (Berliner Morgenpost). Im Gegensatz zu seinem Vorgänger Manfred Schmidt, der in regierungsnahen Kreisen als „Totalausfall“ tituliert worden sein soll, machte Weise, was die politische Klasse erwartete und betonte die angeblichen Chancen der Massenzuwanderung für den Arbeitsmarkt, während sich in seiner Behörde das Chaos ausbreitete.

Eine weitere Schlüsselfigur, aber nicht die Hauptfigur des Skandals ist der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière. Laut Robin Alexander („Die Getriebenen“) kam es am 12. September zu einer Telefonrunde, in der die Kanzlerin mit den Spitzen von CSU und SPD (damals Horst Seehofer und Sigmar Gabriel), dem Innenminister und ihrem Kanzleramtschef Altmaier zusammengeschaltet wurde. De Maizière machte den Vorschlag einer temporären Einführung von Grenzkontrollen sowie der Abweisung aller Asylbewerber ohne Grenzübertrittspapiere und erhielt dafür die Zustimmung der anderen Teilnehmer der Runde. Einen Tag später machte er das Fass in einer Runde mit Spitzenbeamten seines Ministeriums wieder auf, obwohl alle betroffenen Migranten sich über sichere Drittstaaten auf den Weg nach Deutschland gemacht hatten, wo sie also auch ihr Asylgesuch stellen konnten. De Maizière wollte sich in mehreren Telefonaten mit Angela Merkel deren nochmalige Rückendeckung in der eigentlich schon entschiedenen Frage holen, die er aber nicht bekam. Daher wurde der von Bundespolizeipräsident Romann verfasste Einsatzbefehl an die Bundespolizei in der Weise geändert, dass nun jeder, der an der bayerisch-österreichischen Grenze ankam, hereingelassen wurde. § 18 Absatz 2 Nr. 1 des Asylgesetzes, der die Verweigerung der Einreise von über sichere Drittstaaten anreisenden Asylmigranten vorschreibt, wurde also mit der Wiedereinführung von „Grenzkontrollen“ außer Anwendung gesetzt. Die Merkelhörigkeit Thomas de Maizières hatte damit erheblichen Anteil an dem Kontrollverlust über die nationalen Grenzen, der seit dem Jahr 2015 anhält – denn die Weisungslage ist unverändert.

Die Bundesregierung will sich nicht einmal festlegen, was sie als Rechtsgrundlage der pauschalen und massenhaften Einreisegestattung betrachtet, wie eine Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste vom 24. Mai 2017 („Einreiseverweigerung und Einreisegestattung nach § 18 Asylgesetz“, Aktenzeichen WD 3 – 3000 – 109/17) unterstreicht.

Auf die Anfrage des CSU-Bundestagsabgeordneten Stephan Stracke, mit welchem Wortlaut das Bundesministerium des Innern angeordnet habe, von der Einreiseverweigerung gegenüber Asylsuchenden nach § 18 AsylG abzusehen, hatte die Bundesregierung am 5. Februar 2016 ausweichend geantwortet: „Maßnahmen der Zurückweisung an der Grenze mit Bezug auf um Schutz nachsuchende Drittstaatsangehörige kommen derzeit nicht zur Anwendung (§ 18 Absatz 2, 4 AsylG). […]. Zurückweisungen an der Grenze sind im Rechtsrahmen der Dublin-III-Verordnung und des § 18 AsylG zulässig. […] Die Entscheidung, den betreffenden Personenkreis nicht zurückzuweisen, wurde im Zusammenhang mit der vorübergehenden Wiedereinführung von Grenzkontrollen an den deutschen Binnengrenzen im Rahmen der bestehenden Zuständigkeiten innerhalb der Bundesregierung getroffen.“ Das Vorliegen einer Anordnung des Bundesministeriums des Innern wird hier also nicht bestritten.

Auf eine auf das Informationsfreiheitsgesetz gestützte Anfrage zur „Aufhebung, Aussetzung oder Unwirksammachung“ der Bestimmung, die Einreise aus einem sicheren Drittstaat zu verweigern, hat das Bundesinnenministerium am 16. Februar 2016 nur das Vorliegen einer schriftlichen Anordnung de Maizières verneint.

Dass eine Anweisung de Maizières existiert, legte auch ein Bericht der „Bild“-Zeitung vom 17. September 2015 konkret nahe, wonach der Bundesinnenminister in einer „vertraulichen Ministeranordnung an die Bundespolizei“ § 18 Absatz 2 Nr. 1 Asylgesetz „außer Kraft“ gesetzt habe. Diese Art von „Vertraulichkeit“ in einer für die Zukunft des Staatsvolkes so wesentlichen Frage verdient es in einer Demokratie, vom Parlament ausgeleuchtet zu werden. Deshalb ist ein Untersuchungsausschuss mit einem Mandat erforderlich, das weit über die BAMF-Missstände hinausgeht.

WK

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 1. Juni 2018

SEIN ODER NICHTSEIN?

Am 27. Mai, dem Jahrestag des Hambacher Festes, rief die AfD zu einer Demonstration in Berlin auf. Das Motto „Zukunft für Deutschland“ ist eine Entgegnung auf die sich in letzter Zeit häufenden Verlautbarungen, wonach Deutschland „in ein multiethnisches und multikulturelles Land“ verwandelt werde – „mit weitreichenden Folgen für Politik und Gesellschaft“.

DIE KARRIERE DER „ERKLÄRUNG 2018“

Petition 79822: Die „Erklärung 2018“, die am 15. März von 34 Erstunterzeichnern veröffentlicht wurde, ist an den Petitionsausschuss des Bundestages übergeben worden und steht auf dessen Internetseite zur Mitzeichnung. Initiatorin Vera Lengsfeld spricht von einem „wichtigen Etappensieg in der politischen Auseinandersetzung um den Stopp der unkontrollierten Migration“.

QUO VADIS, LINKSPARTEI?

Die Fraktionschefin der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, will im September mit einer neuen Sammlungsbewegung an die Öffentlichkeit gehen. Damit gerät sie in Konflikt mit der Parteiführung. Eine scharfe Auseinandersetzung auf dem anstehenden Bundesparteitag in Leipzig wird erwartet.

DER ALTE UND DER NEUE PRÄSIDENT

Venezuelas Präsident Nicolas Maduro ist für seine zweite Amtszeit vereidigt worden. Opposition und Teile des Westens erkennen seine Wahl nicht an. Was sind die Gründe und wie neutral ist die Berichterstattung westlicher Medien?

VOM GOTTESKRIEGER ZUM
REALPOLITIKER

Werdegang, Einfluss und Agenda des irakischen Wahlsiegers Muktada al-Sadr.

VOR DEM „PERFEKTEN STURM“?

Am deutschen Konjunkturhorizont sind dunkle Wolken aufgezogen. Sorgen machen unter anderem der steigende Ölpreis und der Handelsstreit mit den USA.

BURSCHENTAG IN EISENACH

Burschentag der Deutschen Burschenschaft: Auf dem Festkommers zum Abschluss trat der „Spiegel“-Redakteur Jan Fleischhauer auf. Was er zu sagen hatte.

EIN TOR FÜR DIE EWIGKEIT

Mit seinem Siegtreffer zum 1:0 für die damalige DDR gegen die DFB-Auswahl um Maier, Beckenbauer, Müller hat der Stürmer Jürgen Sparwasser 1974 Sportgeschichte geschrieben. Nun wird er 70.

ALTERNATIVEN ZUM EINWEGBECHER

Laut einer Untersuchung der Deutschen Umwelthilfe werden in der Bundesrepublik Deutschland stündlich 320.000 Einwegbecher weggeworfen. Die Folgen sind verheerender, als man glaubt. Wie man nicht nur der Umwelt, sondern auch sich persönlich etwas Gutes tun kann.

Nach oben