Nr. 21 vom 18.5.2018
Standpunkt
Verbundenheit, die schützt
„Littering“: Der englische Begriff geht so harmlos leicht von den Lippen. Und doch verstecken sich dahinter Berge von Müll – Einweggrills, Verpackungsmaterial jeder Art, Zigarettenkippen, Becher für den Kaffee „to go“, eben alles, was in Parks, am Straßenrand oder auf Bürgersteigen ohne große Gewissensbisse nicht ordnungsgemäß entsorgt wird. „Wegwerfen“ ist die deutsche Übersetzung.
Bereits seit zehn Jahren erforschen Psychologen der Berliner Humboldt-Universität unter dem Schlagwort „Littering“ dieses Vermüllungsphänomen, das nicht nur in Metropolen auftaucht. Jüngst schlossen die Wissenschaftler die vierte von mehreren Stadtreinigungsunternehmen, darunter Berlin, Frankfurt/Main, Stuttgart, München, Bern und Wien, in Auftrag gegebene Studie zu „Wahrnehmung von Sauberkeit und Littering im öffentlichen Raum“ ab. Ziel des Projekts war es, Unterschiede zwischen einer ersten Studie von 2005/2006 herauszuarbeiten und den Kommunen Möglichkeiten vorzuschlagen, des Müllproblems Herr zu werden.
Zu den von den Berliner Forschern „favorisierten Anti-Littering-Maßnahmen“ gehören ganz praktische Dinge wie die häufige Leerung und geschickte Platzierung von Abfalleimern, aber auch die Sensibilisierung besonders gedankenloser Wegwerfer (vor allem Jugendliche und junge Erwachsene sind hier die Zielgruppe) sowie tiefgründigere Anregungen, nämlich Nutzung und Stärkung der „Verbundenheit zum (Wohn)ort“. In der „Süddeutschen Zeitung“ formulierte es am 30. April eine Reportage zum Thema so: „Wer sich mit seinem eigenen Wohnort weniger verbunden fühlt, schert sich auch nicht weiter um ihn.“
Andersherum gesagt: Wer sich seinem Wohnort verbunden fühlt, kümmert sich. Die drohende Frage an auf frischer Tat ertappte „Litterer“, ob sie zuhause den Müll auch einfach auf den Boden werfen würden, bezieht ihre Hoffnung auf pädagogischen Erfolg schließlich aus ebendieser Gewissheit: dass man sein eigenes Heim eher sauber halten, also schützen möchte als einen von Anonymität geprägten und damit der sozialen Kontrolle enthobenen Ort, für den man sich nicht verantwortlich fühlt.
Die Liebe zum Ort
Diese einleuchtende Erkenntnis lässt sich über den urbanen Kontext des „Litterings“ hinaus auf den Umweltschutz allgemein ausdehnen und gibt den Blick auf die bedeutendste Triebfeder für ein umweltbewusstes Verhalten frei: eine positive Identifikation mit der eigenen Lebensumgebung. Je mehr man sich mit ihr verbunden fühlt, je mehr man sie als Heimat begreift, desto größer ist die Bereitschaft, sie vor schädlichen Einwirkungen zu bewahren, desto eher ist man bereit, sein persönliches Handeln entsprechend anzupassen.
In der Umweltpsychologie hat sich der Begriff „Place attachment“ für die Bindung zwischen einer Person und einem Ort durchgesetzt. Darunter versteht man ein mehrdimensionales Konzept, das auch das individuelle Verhalten einschließt. Wichtig für diesen Ansatz ist es, dass Orte vor allem durch persönliche Erfahrung ihre Bedeutung für das Individuum entfalten. Es wird dabei davon ausgegangen, dass auch kollektive Erlebnisse und Erinnerungen zur Intensität der Bindung beitragen, „Place attachment“ also eine religiöse, historische und andere kulturelle Bedeutungen hat. Die Psychologen Leila Scannell und Robert Gifford zählen in einem Essay zu den Vorteilen dieser Ortsverbundenheit die Fähigkeit, Erinnerungen aufzubauen, indem sich der Einzelne über den gemeinsamen Ort mit der Vergangenheit seiner Vorfahren verbinden kann. Als Gewinn dieses Zugehörigkeitsgefühls werten sie auch „persönliches Wachstum“, da positive Emotionen als Ergebnis einer gesunden Beziehung der Person zum Ort Sicherheit und Freiheit fühlen lassen. In einem anderen Aufsatz aus dem Jahr 2010 hielt das Forscherduo fest, dass der Wunsch, die ökologischen oder auch architektonischen Besonderheiten eines Ortes zu erhalten, in direktem Zusammenhang mit der Ausprägung der Ortsbindung steht.
Heimat
Dazu fügt sich, was der britische Philosoph Roger Scruton in seinem Buch „Grüne Philosophie. Ein konservativer Denkansatz“ (auf Deutsch 2013 erschienen) festhielt – dass nämlich vor allem ein starkes „Heimatgefühl“ die Basis für einen effektiven Natur- und Umweltschutz ist. „Das Zugehörigkeitsgefühl zu einem bestimmten Territorium und der Wunsch, dieses vor Zerstörung und Verschwendung zu schützen, stellen machtvolle Triebkräfte dar, auf die die Politik regelmäßig zurückgreift, wenn es heißt, die Gürtel müssten enger geschnallt und Opfer gebracht werden. Denn diese Beweggründe haben eine starke Wurzel, nämlich die Liebe jedes Menschen zu seiner Heimat.“
Amelie Winther
Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 18. Mai 2018
GRÜNES LICHT FÜR DEN FLÄCHENBRAND?
Die einseitige Aufkündigung des Atomabkommens mit dem Iran durch Washington und die Eröffnung der amerikanischen Botschaft in Jerusalem haben eine Situation entstehen lassen, die fürchterliche Gefahren der politischen, militärischen und wirtschaftlichen Eskalation birgt.
UMWELTSCHUTZ UND HEIMAT
Warum Umweltpolitik keine Aussicht auf Erfolg hat, wenn der Migration keine Schranken auferlegt werden.
KRIEGSSPIELE IM DODEKANES
Nicht nur wegen Zypern sind die Beziehungen zwischen Ankara und Athen angespannt. Es geht auch um Besitzansprüche in der Ostägäis, die im schlimmsten Fall zu einem Krieg zwischen der Türkei und Griechenland führen könnten.
WDR MIT PEINLICHER AFFÄRE
Die unappetitliche Affäre und die entsprechende Debatte um sexuelle Belästigungen beim WDR erschüttern den gebührenfinanzierten Sender. Gleichzeitig verengt sich aber der Fokus – und von anderen Arten der Frauenfeindlichkeit wird abgelenkt.
ZWISCHEN DEPRESSION
UND HOFFNUNG
Billigkonkurrenz aus China hat die Solarzellenproduktion in der Bundesrepublik Deutschland zerstört. Warum dennoch Teile der Photovoltaikbranche wieder zuversichtlich in die Zukunft sehen. Über die Hintergründe ansteigender Umsätze, neuer Arbeitsplätze und die Lage im „Solar Valley“ …
UNGEREIMTHEITEN
Mitte April erstach ein Asylmigrant aus dem Niger in Hamburg seine kleine Tochter und deren Mutter. Der Fall rüttelte bundesweit auf. Doch ist die Öffentlichkeit hinreichend über die Tat informiert worden?
MARX, TRIER, DIE SPD
Seit dem Godesberger Programm von 1959 hatte sich die SPD von Marx zunehmend distanziert – zuletzt mit dem Ruhenlassen der Mitgliedschaft in der auf Karl Marx zurückgehenden „Sozialistischen Internationale“. Nun beteiligte sie sich an der Huldigung des umstrittenen Sohnes der Moselstadt.
FAIRNESS UND REALITÄTSSINN
Am 8. Mai fand im Wiener Bundeskanzleramt ein „Festakt zum Gedenken an die Befreiung vom Nationalsozialismus und an die Beendigung des Zweiten Weltkrieges in Europa“ statt. Dichter und Sänger Arik Brauer hielt dort vor Bundeskanzler und Bundespräsident eine eindrucksvolle Rede.