Nr. 19 vom 3.5.2019

Nr. 19 vom 3.5.2019

Standpunkt

Emil Nolde – die neue Legende

In den meisten Beiträgen, die aus Anlass der bis zum 15. September 2019 in Berlin zu sehenden Ausstellung „Emil Nolde. Eine deutsche Legende.“ erschienen sind, ist der Vorwurf der Legendenbildung, die der Künstler betrieben habe, ein zentraler Punkt. Diese Nolde-Ausstellung bedeute den „Abschied vom ‚Malverbot’ und den ‚Ungemalten Bildern’“, schreibt die Süddeutsche Zeitung.

Unerwünschte Ambivalenzen

Auch in dem die Ausstellung begleitenden Essay- und Bildband prangert dessen Hauptautor, der Historiker Bernhard Fulda, die „Legendenbildung“ mit dem Ziel, Nolde (1867–1956) „von einem NS-Parteigänger zu einem Opfer umzuschreiben“, an. Doch offenbart sich da ein merkwürdiger Totalitätsanspruch: Nolde könnte demnach nur entweder Parteigänger oder Opfer gewesen sein, Graustufen oder Ambivalenzen sind nicht vorgesehen. Und so spricht Fulda von einem „angeblichen ‚Malverbot’“.

Aber wie soll man jemanden nennen, der vom Präsidenten der damaligen „Reichskammer der bildenden Künste“ im August 1941 folgende Verfügung erhielt? „Anlässlich der […] Ausmerzung der Werke entarteter Kunst in den Museen mussten von Ihnen allein 1052 Werke beschlagnahmt werden.“ Nolde und seine Werke entsprächen „nach wie vor nicht den Voraussetzungen, die für Ihre künstlerische Tätigkeit im Reich“ erforderlich seien. Und so schließe man ihn „wegen mangelnder Zuverlässigkeit aus der Reichskammer der bildenden Künste“ aus und untersage ihm „mit sofortiger Wirkung jede berufliche – auch nebenberufliche – Betätigung auf den Gebieten der bildenden Künste“.

Malverbot, Schreibverbot …

Ist ein Maler, ganz gleich welcher politischen Auffassung, dem solches angetan wird, insoweit nicht fraglos Opfer? Und ist das etwa kein Malverbot? Der Duden definiert als „Schreibverbot“: „Ein Verbot, sich als Journalist, Schriftsteller o. Ä. zu betätigen, zu publizieren.“ Die Möglichkeit, privat vor sich hinzuschreiben, steht der Annahme eines Schreibverbots also nicht entgegen. Warum soll es sich bei einem Malverbot anders verhalten? Dies zumal in einem Fall wie dem Noldes, der im November 1941 ein weiteres Einschreiben vom Präsidenten der „Reichskammer der bildenden Künste“ erhielt, mit dem die Sicherstellung von Werken Noldes „durch die zuständige Polizeibehörde“ mitgeteilt und zudem angeordnet wurde, „alle Ihre Erzeugnisse, bevor Sie sie der Öffentlichkeit übermitteln“, zukünftig dem „Ausschuss zur Begutachtung minderwertiger Kunsterzeugnisse“ vorzulegen.

Und was die „Ungemalten Bilder“ angeht: Auch wenn ein Teil der von Nolde so betitelten kleinformatigen Bilder schon vor dem „Dritten Reich“ entstanden ist, ändert das doch nichts daran, dass die gegen den Maler verhängten drastischen Maßnahmen – in Verbindung mit der Aussicht auf mögliche noch weitergehende Schritte – die Ausarbeitung vieler seiner Motive vereitelt haben dürften.

Was steht einem Historiker an?

Wenn man Emil Nolde nun abspricht, auch NS-Opfer gewesen zu sein, wenn man das Malverbot pauschal in Abrede stellt, indem man den Begriff entgegen dem üblichen Sprachgebrauch reduziert auf ein Verbot, sogar noch ganz privat den Pinsel zu führen, wenn man bestreitet, dass solche Repression, soweit sie nicht bereits dazu führt, dass die Einfälle versiegen, deren Ausführung beeinträchtigt und etwa die Entwicklung eines Aquarells zu einem Ölgemälde weitgehend sinnlos macht, wodurch ungemalte Bilder eine Tatsache sind, strickt man mindestens ebenso sehr an einer Legende, wie Nolde dies im Rahmen der einem Künstler eher als einem Historiker angemessenen Stilisierung selbst tat.

S. Torico

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 3. Mai 2019

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ZEIT FÜR MEHR TEILHABE

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IMPFEN VERPFLICHTEN?

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