Nr. 16 vom 13.4.2018
Standpunkt
Eigenwilliger Umgang mit Fakten
Flüchtigkeitsfehler basieren meist auf Zeitmangel oder Unkonzentriertheit. So wird kaum ein Leser Anstoß daran nehmen, dass es die Einleitung zum Doppelinterview mit dem Philosophen Robert Pfaller (Universität Linz) und der Genderprofessorin Paula-Irene Villa (LMU München) in der aktuellen Ausgabe des „Philosophie Magazins“ mit der grammatikalischen Kongruenz nicht genau nimmt: „die Stadt [ist] ebenso für sein Grantlertum bekannt“. Es geht um Wien.
Stutzen lässt hingehen ein Fehler, der nicht einfach mit Flüchtigkeit zu erklären ist: „Und während die Metropole als Bastion der Linken gilt, sitzen in der Hofburg nun die Rechtspopulisten.“ Was will Nils Markwardt, Jahrgang 1986, studierter Literatur- und Sozialwissenschaftler und leitender Redakteur des „Philosophie Magazins“, damit sagen?
In der Hofburg sitzt von Amts wegen der österreichische Bundespräsident. Und das ist seit dem 26. Januar 2017 der Ex-„Grüne“ Alexander Van der Bellen, der sich in einem ereignisreichen Wahlkampf letztlich gegen den FPÖ-Kandidaten Norbert Hofer durchsetzen konnte. Die Hofburg beherbergt außerdem unter anderem die Österreichische Nationalbibliothek, das Bundesdenkmalamt, die weltberühmte Albertina und die Spanische Hofreitschule. Selbst auf den von der FPÖ organisierten „Akademikerball“ kann sich Markwardts Satz nicht beziehen. Auf der Nachfolgeveranstaltung des Wiener Korporations-Balls wird nämlich getanzt, nicht gesessen, und das nicht erst „nun“, sondern seit 2013.
Die FPÖ ist seit letztem Winter an der österreichischen Regierung beteiligt. Daran mag Markwardt gedacht haben. Aber weil „Hofburg“ besser klingt als die Aufzählung der Amtssitze der der Strache-Partei zugefallenen Ministerien, schienen ihm Fakten nicht so wichtig. Lieber verließ er sich auf den Klang, um ein suggestives Bild zu erzeugen. Diese Methode unterhöhlt allerdings den ersehnten erhabenen Standpunkt, von dem aus er sich immer wieder auch in anderen Blättern belehrend an das Publikum wendet. „Wer als Demokrat mit den Provokationen der AfD umgehen will, darf die Partei nicht nur kritisch beschweigen. Es kommt jedoch auf die Qualität der Empörung an“, lautet die Zusammenfassung eines seiner Artikel in der „Zeit“. Oder: „Das Gefährliche an Rechtspopulisten ist nicht bloß ihr eigenwilliger Umgang mit Fakten.“ Wenn man sie daran erkennt, dann sitzen sie inzwischen wirklich an vielen Stellen, an denen man sie nicht vermutet hätte. Und breiten sich auch in Redaktionen aus …
AW
Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 13. April 2018
UNGARN WILL BLEIBEN, WIE ES IST
Viktor Orbáns Partei hat die Parlamentswahl souverän gewonnen – zur Überraschung vieler hiesiger Mainstream-Medien. Sie können sich anscheinend nicht in die ungarischen Wähler hineinversetzen und nicht nachvollziehen, was Ungarns Minister für Humanressourcen, Zoltán Balog, so formuliert: „Wenn ein Land sagt, wir wollen uns nicht verändern, wir wollen das, was kulturell-historisch da ist, nicht anders haben als bis jetzt, ist das unser Recht oder nicht?“
TRUMPS NEUER FALKE
Ausgerechnet inmitten einer höchst angespannten weltpolitischen Situation wird der als „Falke“ bekannte John R. Bolton Donald Trumps neuer Sicherheitsberater. Bolton war einer der Architekten des Irakkriegs und tritt seit Jahren als entschiedener Gegner des Iran auf. Was ist von dem neokonservativen Scharfmacher zu erwarten?
NUR EIN „KAMPFBEGRIFF“?
Für den „Spiegel“-Journalisten Nils Minkmar ist der „große Austausch“ ein „rechter Kampfbegriff“. Doch so mühelos, wie das Magazin die Leser glauben machen will, lässt sich das vom französischen Schriftsteller Renaud Camus beschriebene „Grand Remplacement“ nicht als bloßes Gerücht abtun. Ein Faktencheck.
BUNDESWEHR IN NAHOST
Trotz massiver Ausrüstungsprobleme hat der Bundestag die Bundeswehrmissionen in Syrien und im Irak wieder ausgedehnt. Welche, auch politischen, Risiken bergen diese Auslandseinsätze in Nahost?
NEUES VON BOTHO STRAUSS
In seinem gerade erschienenen Buch „Der Fortführer“ zeigt sich der Schriftsteller und Dramatiker Botho Strauß als anspruchsvoller Sprachvirtuose mit herausragenden prognostischen Fähigkeiten. Viele seiner hier festgehaltenen Aphorismen und Notate fordern eine politische Interpretation heraus.
KUNDENVERFÜHRUNG
Wer seinen Wagen durch den Supermarkt schiebt, registriert nur selten bewusst die raffinierten „Fallen“, die den Kunden zu größeren und teureren Einkäufen verführen sollen. Schnäppchen, Warenpräsentation, Düfte und Temperatur: Zwei, drei Tricks, die man kennen sollte.
DAIMLERS CHINESISCHES GESICHT
Der Chinese Li Shufu zählt zu den innovativsten und erfolgreichsten Unternehmern seines Landes. Bei Daimler ist „Chinas Henry Ford“ mittlerweile der größte Einzelaktionär. Daraus ergeben sich für die wichtigste Automarke der Welt auch lukrative Chancen.
GEWÄSSERSCHUTZ
Es sind alarmierende Einschätzungen aus dem Bundesumweltministerium: Deutschlands Fließgewässer sind in einem schlechten Zustand, nur wenige Flüsse und Bäche ökologisch intakt. Der Bund für Umwelt und Naturschutz spricht mit Blick auf die jahrelange Tatenlosigkeit der Bundesregierung von einem Armutszeugnis.
SO VIEL DIFFERENZIERUNG MUSS SEIN
Anknüpfend an die von Thomas Hobbes begründete Theorie des „Gesellschaftsvertrags“ hört man nun zuweilen, ein Staat, der seine Bürger nicht mehr hinreichend schütze, habe den Anspruch auf Loyalität verspielt. Diese Schlussfolgerung ist aber in einer Demokratie falsch. Stattdessen gilt es, das Staatsschiff mit dem demokratischen Mittel der allmählichen Ersetzung solcher Politiker, die ihrer – auch grundgesetzlichen – Pflichten nicht eingedenk sind, durch andere, ihrerseits loyalere wieder auf Kurs zu bringen