Nr. 14 vom 30.3.2018

Nr. 14 vom 30.3.2018

Standpunkt

Verantwortungslos

Schlagersänger Heino schenkt der nordrheinwestfälischen Heimatministerin Ina Scharrenbach (CDU) eine Schallplatte und löst damit einen Skandal aus. Die SPD fordert mittels einer Kleinen Anfrage (22. März) von der schwarz-gelben Landesregierung eine Stellungnahme unter anderem dazu, warum „auf der Internetpräsenz des MHKG das Foto, […] auf welchem Frau Ministerin Scharrenbach für Fotografen das Plattencover des kritisierten Doppelalbums ‚Die schönsten deutschen Heimat- und Vaterlandslieder’ von Heino in den Händen hält, immer noch nicht entfernt worden“ sei. Außerdem will sie wissen: „Wie beurteilt die Landesregierung die Textinhalte der übergebenen Schallplatte im Hinblick auf den von ihr definierten Heimatbegriff?“

Gesinnungsungeprüfte Geschenke

Die CDU springt über das Stöckchen, das ihr die Opposition hinhält. Aus dem Ministerium hieß es, kaum dass der „Skandal“ ruchbar war, Heinos Geschenke seien „bei der Übergabe nicht unter dem Aspekt der politischen Korrektheit überprüft worden“.

Dass das Präsent die Ansprüche der „politischen Korrektheit“ nicht erfüllt, will Extremismusforscher Alexander Häusler bezeugen. Der WDR zitiert ihn mit den Worten, Lieder, die im SS-Liederbuch stehen, seien „alles andere als unbedenklich“.

Doch in dieser mehr als sieben Jahrzehnte alten Sammlung befinden sich neben hauptsächlich zur Debatte gestellten, auf der LP intonierten Lied „Wenn alle untreu werden“ auch der Kanon „Froh zu sein bedarf es wenig“, Walter Scheels „One-Hit-Wonder“ „Hoch auf dem gelben Wagen“ oder die Jahrhunderte alten Volkslieder „Innsbruck, ich muss dich lassen“ und „Es dunkelt schon in der Heide“.

Immerhin über 200 Jahre alt sind auch die Gedichte von Max von Schenkendorf und Ernst Moritz Arndt („Der Gott, der Eisen wachsen ließ“). Doch Alter schützt vor Verleumdung nicht, und so wittert die „Huffington Post“ einen „Nazi-Eklat“, spricht „Spiegel online“ von „Liedern mit SS-Vergangenheit“, die FAZ von „Lieblingsliedern der SS“, während die „Bild“-Zeitung unerbittlich vom „SS-Lied“ schreibt.

Hier zeigt sich eine kulturelle Verantwortungslosigkeit des politischen und medialen Betriebs, die der Skandalisierung den Vorzug vor der Darstellung der spannenden Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte gibt. Historische Lieder werden lieber in Acht und Bann geschlagen. Denn das produziert mehr Klicks und schrillere Schlagzeilen.

Schenkendorf und Novalis

Schließlich lässt sich nur halb so dramatisch berichten, dass „Wenn alle untreu werden“ stets in verschiedensten Liedersammlungen zu finden war, in Liederbüchern für Turner und Studenten ebenso selbstverständlich wie in solchen für „deutsche Philologen und Schulmänner“ und den „Verband deutscher Post- und Telegraphen-Assistenten“. Auch das „Imker-Liederbuch“ von 1926 wollte auf das Stück nicht verzichten.

Selbst das NS-Regime konnte der vielfältigen Verbreitung nicht den Boden entziehen. Während des Dritten Reichs wurde „Wenn alle untreu werden“ vielmehr, zum Beispiel in katholischen Jugendgruppen oder wie von Heinrich Böll berichtet, auch als Bekenntnislied in Opposition zum Regime verstanden und gesungen.

Die Verantwortungslosigkeit beinhaltet auch, dass mit dem ahistorischen SS-Etikett ein Lied, das einen wichtigen Teil der neueren deutschen Geschichte widerspiegelt und nahezu einhundertfünfzig Jahre lang zum Repertoire unterschiedlichster Sänger gehörte, tabuisiert und der Allgemeinheit entzogen wird. Sozusagen als Kollateralschaden wird billigend in Kauf genommen, dass die intendierte Kontamination auch Novalis (1772–1801) erfasst, wenn man nämlich alarmiert und eingeschüchtert jede Anthologie zur Seite legt, die das 1802 erstmals gedruckte geistliche Lied des Romantikers mit dem identischen Anfangsvers „Wenn alle untreu werden“ enthält. Von Novalis’ Gedicht ließ sich 1814 Max von Schenkendorf (1783–1817) für seinen „Erneuten Schwur“ inspirieren.

Instrumentalisierung

Zur Verantwortungslosigkeit gehört darüber hinaus, dass die Skandalisierung von Heinos Geschenk auch dazu dient, Argwohn und Ablehnung gegenüber dem allmählich zur politischen Normalität avancierenden Begriff Heimat zu artikulieren. So twitterte Katja Müller, Linken-Stadträtin aus Halle, unter dem „Hashtag“ „Heino“: „In NRW werden die grauenvollstes [sic] Klischees eines Heimatministeriums Realität.“

Und Heino? Der nutzte die Gelegenheit, in der „Bild“-Zeitung seine Sicht der Dinge darzulegen. Man kann es sich lebhaft vorstellen: Der bald 80-jährige Sänger wollte als „NRW-Heimatbotschafter“ auf dem ersten Heimatkongress des nordrheinwestfälischen Ministeriums für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung nicht ohne Gastgeschenk auftauchen. Also war er froh, als Ehefrau Hannelore eine perfekt zum Anlass passende, „echte Rarität“ präsentierte. Dieser Kellerfund ist die besagte LP aus dem Jahr 1980, produziert vom promovierten Juristen und Jazzmusiker Karl-Heinz Schwab alias Ralf Bendix. „Die Lieder können doch nichts dafür, wenn sie instrumentalisiert worden sind“, stellt Heino in der „Bild“ fest. Und das scheint damals wie heute zu gelten.

Amelie Winther

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 30. März 2018

„DEUTSCHLAND, DAS SIND WIR ALLE“

Angela Merkel hat in ihrer Regierungserklärung ihre im Widerspruch zum Grundgesetz stehende Äußerung, wonach jeder, der hier lebt, zum Volk gehöre, in eine neue Form gebracht. Indessen gilt „das freundliche Gesicht“ nicht allen – insbesondere nicht der stärksten Oppositionskraft im Bundestag, die die Kanzlerin „kleiner machen“ und aus dem Parlament wieder „rausbekommen“ will

EIN BREITES BÜNDNIS

In der „Erklärung 2018“ solidarisieren sich hunderte Kulturschaffende und Akademiker mit denjenigen, die sich friedlich für die Wiederherstellung der rechtstaatlichen Ordnung an den deutschen Grenzen einsetzen. Die Beteiligten können den Begriff Zivilcourage für sich in Anspruch nehmen.

WEG IN DIE TRANSFERUNION?

Warum der Widerstand gegen die finanzpolitischen Vorhaben der EU-Kommission wächst und was Bundesbankpräsident Jens Weidmann verhindern will. Eine Prognose.

RAUE PFADE, ABER WELCHE STERNE?

Im Weißen Haus hätten die Kriegstreiber gesiegt, kommentierte die französische „Le Monde“ Rex Tillersons Ablösung. Mit Außenminister Mike Pompeo und der neuen CIA-Chefin Gina Haspel ist Washington jedenfalls noch unberechenbarer geworden.

ALARMIERT DURCH SPRENGSTOFF

Im Thüringer Landtag ist der Fund erheblicher Mengen an Sprengstoff im Raum Saalfeld-Rudolstadt thematisiert worden. Eine der festgenommenen Personen ist in Antifa-Kreisen vernetzt und trat in der Vergangenheit als Sprecher des Bündnisses „Zivilcourage und Menschenrechte“ auf.

POKER DER ENERGIERIESEN

E.ON und RWE einigten sich zuletzt auf eine weitreichende Kooperation. Das entstehende Bündnis unter dem Codename „Helena“ könnte die Branche auf Jahre hinaus verändern. Die getroffenen Vereinbarungen haben allerdings auch ihre Schattenseiten.

DIE SIEBEN CHRISTUSWORTE AM KREUZ

Das Kreuz, Symbol des Christentums und Sinnbild unseres Kulturkreises, begegnet uns in Kirchen und Kapellen, auf Feldwegen und Berggipfeln, in Schulzimmern und Gerichtssälen. Eine Passionsbetrachtung aus der Feder von Pfarrer Paul Fischer.

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