Nr. 13 vom 23.3.2018
Standpunkt
Unbeantwortete Fragen
Der Giftanschlag auf den früheren Doppelagenten Sergej Skripal im englischen Salisbury führt zu gefährlichen politischen Kettenreaktionen, ohne dass die unterstellte Urheberschaft Wladimir Putins auch nur annähernd bewiesen wäre. Die These ist auch nicht sonderlich plausibel.
Der „Fall Skripal“ vergrößert die ohnehin schon bestehenden Spannungen zwischen westlichen Staaten und Russland noch und verfestigt den Kalten Krieg – ob dieser nun neu ist oder von einer Seite nie beendet wurde. Als die Vorwürfe gegen Moskau am 12. März Form annahmen, waren es nur noch sechs Tage bis zur russischen Präsidentenwahl. Auch wenn Putin der Sieg sicher war, mussten ihm Giftmordvorwürfe nun maximal ungelegen kommen.
„Giftmord“ – kein Wahlkampfschlager
Zumal gerade eine solche heimtückische Vorgehensweise das Bild konterkariert, das der Kremlherrscher von sich entwirft, wenn er sich etwa furchtlos mit wilden Tieren zeigt. Dem „Giftmörder“ werden, wenn man darüber aus kriminologischer Sicht auch streiten kann, bis heute Eigenschaften wie Schwäche, Feigheit, Verlogenheit, Verruchtheit und Hinterlist zugeschrieben. Die Vergiftung des früheren russischen Doppelagenten und seiner Tochter im südenglischen Salisbury am 4. März 2018 hat aber auch zu einer regelrechten Welle neuer Sanktionsdrohungen gegen Russland geführt, ganz abgesehen von der wechselseitigen Ausweisung von Diplomaten.
Dabei ist der Fall so mysteriös, dass er manchen Agententhriller übertrifft. Sergej Skripal, 1951 in Königsberg geboren, soll schon in den achtziger Jahren vom sowjetischen Militärgeheimdienst GRU als Agent eingesetzt worden sein. Mitte der neunziger Jahre soll er nicht nur vom britischen Auslandsgeheimdienst MI6, sondern auch vom spanischen Geheimdienst angeworben worden sein.
Im Jahr 2004 flog Skripal auf. Obwohl er viele seiner Kollegen ans Messer geliefert hatte, fiel die Strafe relativ milde aus. 2006 verurteilte ein Militärgericht Skripal wegen Hochverrats zu einer Haftstrafe von 13 Jahren, die er in einem Arbeitslager in der russischen Republik Mordwinien absitzen sollte. Schon nach vier Jahren kam er aber im Rahmen eines Agentenaustauschs, der im Juli 2010 auf dem Flughafen Wien-Schwechat durchgeführt wurde, frei. Das war eigentlich ein sicheres Indiz dafür, dass er als Informant für andere Geheimdienste zu diesem Zeitpunkt schon wertlos war.
Ruhiges Leben in Salisbury
2011 ließ er sich in Salisbury nieder, einer pittoresken Stadt, die für ihre große mittelalterliche Kathedrale berühmt ist und nur 13 Kilometer von dem jungsteinzeitlichen Megalith-Bauwerk Stonehenge entfernt liegt. Hier lebte er ein denkbar ruhiges Leben. Auf eine Verschleierung seiner Identität legte er keinen Wert und meldete sich beispielsweise im örtlichen Eisenbahnclub unter seinem Klarnamen an.
Das Entsetzen im Vereinigten Königreich war groß, als britische Ermittler drei Tage nach dem Anschlag bekannt gaben, dass die Skripals sowie der Polizist Nick Bailey, der als Erster an der Parkbank war und Hilfe leisten wollte, mit einem extrem seltenen Nervenkampfstoff vergiftet worden waren. Es handelt sich um ein Gift aus der sogenannten „Nowitschok“-Reihe, das in der Sowjetunion in den siebziger und achtziger Jahren hergestellt wurde und das zu den gefährlichsten chemischen Waffen der Welt gehört. Die russische Bezeichnung für den Kampfstoff bedeutet übersetzt „Neuling“ und Chemiewaffen dieses Typs sollen angeblich nur in Schichany produziert worden sein. Aber was besagt das, bedenkt man, wie sich russisches Know-how (nicht nur nukleares) oft mit den Entwicklern nach dem Untergang der Sowjetunion in die unterschiedlichsten Richtungen verbreitete?
Der wolgatatarische Wissenschaftler Wil Mirsajanow, der an der Entwicklung der Nowitschok-Kampfstoffe beteiligt war und nach dem scheinbaren Ende des Kalten Krieges nach New Jersey in den Vereinigten Staaten emigrierte, ist jedenfalls der Auffassung, dass das Gift in jeder Fabrik für Düngemittel oder Pestizide hergestellt werden könne; man müsse nur sein Buch über das sowjetische Chemiewaffenprogramm als Anleitung nehmen.
Wenn Wladimir Putin dieses Attentat tatsächlich in Auftrag gegeben hat, warum ließ er dann einen Kampfstoff verwenden, der so auffällig ist und den Verdacht sofort auf Russland lenkt? Wer schon mit kleinsten Mengen des Gifts in Berührung kommt, muss mit irreversiblen Schädigungen des Nervensystems rechnen. Warum hätte Putin die Verletzung zahlreicher britischer Staatsangehöriger billigend in Kauf nehmen sollen, von denen 21 infolge der Vergiftung behandelt wurden, obwohl ihm bewusst sein musste, dass ein solches Attentat unweigerlich zu einer dramatischen Verschlechterung der Beziehungen nicht nur zu einem der wichtigsten NATO-Staaten, sondern zur NATO überhaupt führt? Wenn ihm die Rache an einem mittlerweile bedeutungslosen Ex-Agenten tatsächlich so wichtig war, stellt sich auch die Frage, warum dieser nach nur vierjähriger Lagerhaft ausgetauscht wurde. Racheaktionen an ausgetauschten Agenten sind in Geheimdienstkreisen üblicherweise tabu, um künftige Austauschaktionen nicht zu gefährden.
Wer hat ein Motiv?
Schon seit Jahren bemüht sich der russische Staatspräsident um eine Verbesserung der Beziehungen zu den westlichen Staaten, worauf auch der frühere Außenminister Sigmar Gabriel am 15. März vor dem Deutsch-Russischen Forum im Berliner Hotel Adlon hinwies.
Warum sollte Putin ausgerechnet im Vorfeld der Fußball-Weltmeisterschaften im eigenen Land, die auch aus seiner Sicht zu den Höhepunkten seiner Amtszeit zählen dürfte, seine Geheimdienste derartig aggressiv in einem einflussreichen ausländischen Staat agieren lassen?
Solche Fragen werden von einem Großteil der deutschen Medien leider ausgeblendet. Eine Ausnahme bildete die Kommentatorin Sabine Stöhr, die im „Deutschlandfunk“ am 14. März 2018 darauf hinwies, dass Russland einmal mehr vom Westen „ohne belastbare Beweise“ verdächtigt werde. Vor allem aber seien die Motive, die Wladimir Putin für den angeblichen Attentatsauftrag unterstellt würden, nicht glaubwürdig. Er suche nämlich „international nach Anerkennung“ und wisse genau, dass ein weiterer Konflikt ihn „noch mehr isolieren“ würde.
Im „Focus“ vom 17. März 2018 stellte die Journalistin Gudrun Dometeit in einem Artikel die wichtige Frage, wem der Tod Skripals überhaupt etwas nütze und kam zu dem Schluss, dass es sehr wenig wahrscheinlich sei, dass der Kreml kurz vor der Fußball-WM eine neue Krise und einen „gewaltigen Imageschaden“ riskieren wolle.
Selbst ein Gegner des russischen Staatspräsidenten wie der ehemalige KGB-Generalmajor Alexej Kondaurow äußerte zu den Vorgängen in Salisbury: „Mir scheint die ganze Geschichte absolut irrational zu sein. Ich bin zwar kein Anhänger von Putin, aber ich denke nicht, dass er plötzlich verrückt wurde.“
Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 23. März 2018
ERKLÄRUNG 2018
Die „Gemeinsame Erklärung“ heller und prominenter Köpfe sorgt für Aufsehen: „Mit wachsendem Befremden beobachten wir, wie Deutschland durch die illegale Masseneinwanderung beschädigt wird.“ Zugleich solidarisieren sich die Unterzeichner mit friedlichen Demonstranten.
MAAS NIMMT KURS
Seit dem 14. März ist Heiko Maas Bundesminister des Auswärtigen. Vor allem in der Beziehung zu Russland schlägt er einen anderen, unversöhnlicheren Kurs ein als sein Vorgänger Sigmar Gabriel. Darauf wiesen bereits die ersten Tage seiner Amtszeit hin.
UNKONTROLLIERTE VIERTE GEWALT
Der Politologe Prof. Thomas Meyer kritisiert, „wie politische Journalisten mitregieren“. Mit Sorge betrachtet er die hiesige Qualitätspresselandschaft, in der, bildlich gesprochen, keine Krähe der anderen ein Auge aushackt. So entsteht ein Kontrollvakuum, das „Alphajournalisten“ Macht und Einflussnahme garantiert.
GRENZFRAGEN
Wenn die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag im Einklang mit Art. 16a GG und § 18 Asylgesetz die Sicherung unserer Grenzen fordert, damit unberechtigte Grenzübertritte verhindert werden, lehnen Abgeordnete etablierter Parteien dies geschlossen ab. Dabei haben CDU, CSU, SPD und FDP selbst 1993 den Asylkompromiss verabschiedet, wonach über sichere Drittstaaten anreisenden Asylmigranten die Einreise ins Bundesgebiet zu verweigern ist.
KUNDIN DARF AUCH KUNDE HEISSEN
Eine Frau aus dem Saarland fühlte sich diskriminiert, weil in den Formularen ihrer Sparkasse ausschließlich grammatisch männliche Personenbezeichnungen wie „Kunde“ oder „Sparer“ verwendet werden. Der Bundesgerichtshof verneint eine Benachteiligung.
EXPERTE AUSSER DIENSTEN?
Die Zeiten, da Prof. Bassam Tibi als gefragter Experte in Mainstream-Medien zu Wort kam, scheinen vorbei. Der Politologe klärt auch abseits der etablierten Bühne auf. Zuletzt referierte er bei der Freiheitlichen Akademie in Wien, wo er das Recht auf Identität betonte.
BLEIBT ABTREIBUNGSWERBUNG VERBOTEN?
Grüne, Linke und SPD wollen Paragraph 219a des Strafgesetzbuches, der Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft verbietet, ersatzlos abschaffen. Nicht nur Jens Spahn, den neuen Gesundheitsminister, „wundern die Maßstäbe“.