Nr. 13 vom 22.3.2019

Nr. 13 vom 22.3.2019

Standpunkt

Trautmann kam durch

„Trautmann“ – seit 14. März in den Kinos, Regisseur: Marcus H. Rosenmüller, Hauptdarsteller: David Kross – wurde in englischer Sprache gedreht. Das ist sachlich begründet, spielt doch der größte Teil der Handlung in England, wo Bernd („Bert“) Trautmann, 1923–2013, nach der Kriegsgefangenschaft blieb und als Torhüter von Manchester City Berühmtheit erlangte. Und die Schauspieler müssen eben so britisch sein, wie es nur Briten sind, darunter so bekannte Mimen wie Freya Mavor als Trautmanns Frau und John Henshaw als deren Vater.

Die mit Abstand schlechteste Kritik, die unfreiwillig fast schon komisch ist, erhielt der Film von dem Journalisten Kaspar Heinrich, Jahrgang 1983, auf „Spiegel Online“. Schon in der Einleitung kommt Heinrich zu dem vernichtenden Ergebnis: „Marcus H. Rosenmüller verkitscht in seinem Filmporträt die Geschichte von Torwartlegende Bert Trautmann und spielt dessen Nazivergangenheit herunter.“ Was eine Nazivergangenheit ist, sollte man beim „Spiegel“ eigentlich besser wissen, führten doch dort jahrzehntelang wirklich schlimme Typen wie die ehemaligen SS-Offiziere Georg Wolff (SD) und Horst Mahnke (RSHA) ein großes Wort.

Aber Trautmann eine besondere Schuld zu unterstellen – dafür gibt die maßgebliche, 2010 zunächst in englischer Sprache („Trautmann’s Journey“) erschienene, von Catrine Clay verfasste Biographie nichts her. Clays Buch ist recht präzise, was Trautmanns Lebensweg angeht, hat Schwächen eher bei der manchmal zudem etwas langatmigen Darstellung größerer Zusammenhänge. In die deutsche Ausgabe, „Trautmanns Weg“, haben sich bei der Übersetzung einige Fehler eingeschlichen.

Der spätere Star-Torhüter besuchte bis 1937 die Volksschule, nahm 1939 eine Lehre als Fahrzeugmechaniker bei Hanomag auf. Kurz nach seinem 17. Geburtstag meldet er sich im Oktober 1940 freiwillig zur Luftwaffe – die Eltern geben nur widerwillig ihr Einverständnis. Er wird, zunächst bei einem Luftnachrichten-Regiment, im Krieg gegen die Sowjetunion eingesetzt. Im Januar 1942 meldet sich Trautmann zu den Fallschirmjägern. Nach zweimonatiger Ausbildung in Berlin muss er im März 1942 wieder an die Ostfront. Im März 1943 erhält Trautmann Heimaturlaub, aber auch der ist alles andere als eine Erholung: „Mitten in einem Fliegeralarm fuhr der Zug in den Bremer Hauptbahnhof.“ Und als ihn der Vater fragt, wie es an der Front ist, deutet Trautmann auf seine erfrorenen Ohren: „Ziemlich kalt, wie du siehst.“ Ab Mai 1944 ist Trautmann im Westen eingesetzt, kämpft an der Invasionsfront und bei der Ardennenoffensive, ehe er im März 1945, 21 Jahre alt, in britische Kriegsgefangenschaft gerät. Dort dürfen die Gefangenen, mit der Unterstützung eines schottischen Majors, in der Freizeit Fußball spielen, bald auch gegen englische Amateurmannschaften aus der Region – und Trautmanns Ausnahmetalent fällt auf …

Ein Fußballfilm

Man nimmt es David Kross auch ohne detaillierte Kenntnis der in Clays Trautmann-Biografie geschilderten Kriegserlebnisse ab, wenn er zu seiner Margaret sagt, er hätte lieber mit ihr getanzt, als auf dem Schlachtfeld zu stehen. Trautmann gehörte einem Jahrgang an, von dem weit mehr als ein Drittel der Männer gefallen sind, ohne – auch das bringt der Film zum Ausdruck – wirklich eine Wahl gehabt zu haben.

Dass der Zelluloid-Trautmann eine Nuance unverbrauchter wirken mag als der echte nach vier Jahren im Fronteinsatz („Spiegel Online“-Vorwurf: „Der Krieg hinterlässt keine Spuren“), bei denen es an ein Wunder grenzt, dass er sie überlebt hat, hängt mit den Gesetzen des Kinos zusammen. Auch der Kunstgriff, mehrere Personen zu einer Filmfigur zu verschmelzen, weswegen Trautmanns erste englische Freundin, Marion, und beider gemeinsame Tochter Freda nicht vorkommen, ist keine cineastische Sünde.

Rosenmüller hat in erster Linie einen Fußballfilm gedreht – und in der Tat ist die Szene bezaubernd, in der Trautmann seiner Angebeteten auf dem Spielfeld beweist, warum Fußball auch eine Art Tanz ist.

Was in dem Streifen recht genau zum Ausdruck kommt, ist die Trautmann eigene Renitenz. Er handelt auch im Film oft nicht, wie ihm geheißen. Im echten Leben ging das so weit, dass er im März 1946 den „Screener“, der deutsche Kriegsgefangene überprüfte und dem er als Fahrer zugeteilt war, im Regen stehen ließ und davonfuhr, nachdem ihn der Mann beleidigt hatte. Trautmann trug das 14 Tage Arrest ein, aber auch die Anerkennung des Lagerkommandanten: „An Ihrer Stelle hätte ich genauso gehandelt.“

Conrad Ahlers

Als letzter Trumpf dient Kaspar Heinrich auf „Spiegel Online“ der Hinweis, dass Trautmann „im Kriegsgefangenenlager zur Kategorie ‚schwarz‘ zählte“. Und das sei die Kategorie „für überzeugte Nationalsozialisten“ gewesen. Clay hat aber in ihrer Biografie schlüssig dargelegt, warum Trautmann als Unteroffizier der Fallschirmjäger praktisch keine Chance hatte, dieser Einstufung zu entgehen.

Im Oktober 1968 stand man beim „Spiegel“ zu Leuten dieser Truppe übrigens vollkommen anders. Damals las man in dem Magazin: „Conrad Ahlers, Jahrgang 1922, war bei den Fallschirmjägern, freiwillig und mit vollem Einsatz – Monte Cassino eingeschlossen. Vom Geist dieser Truppe, den er ‚heroisches Rabaukentum‘ nennt, hat er mehr verspürt als nur einen Hauch. […] Was ihn dazu brachte, sich 1941 freiwillig zu den Fallschirmjägern zu melden, war einmal seine Neigung zu ‚besonders sportlichen‘ Daseinsformen und zweitens seine leichtherzige Weigerung, aus Gründen der Vernunft oder gar der Vorsicht irgendwelche Umschweife zu machen.“

Das ist ein vielleicht wirklich etwas burlesker Tonfall, von dem sich „Trautmann“ aber fernhält. Der Sozialdemokrat Conrad Ahlers, ab 1962 stellvertretender „Spiegel“-Chefredakteur und ab 1969 unter Willy Brandt Regierungssprecher, war im Krieg Fallschirmjäger-Leutnant gewesen – stand also militärisch eine Etage über Bernd Trautmann, der einfach immer und letztlich mit Erfolg versuchte, das Beste aus den oft widrigen Lagen zu machen, in die ihn das Leben brachte.

S. Torico

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 22. März 2019

DEAL ODER NICHT-DEAL?

Die Vorgabe, nur mit einem „Deal“ mit Brüssel die EU zu verlassen, hat Großbritanniens Verhandlungsposition verschlechtert. Nicht nur in den Augen des britischen Generalstaatsanwalts Geoffrey Cox sind die rechtlichen Risiken, im „Backstop“ weit über das Austrittsdatum hinaus gefangen zu bleiben, nicht ausgeräumt.

HISTORISCHE WEICHENSTELLUNG

Die Denkfabrik European Council on Foreign Relations gibt etablierten „Internationalists“ Tipps für den Wahlkampf gegen eine stärker werdende „populistische“ Opposition aus Befürwortern eines Europas der Vaterländer. Sicher ist: Die Europawahlen im Mai bedeuten eine Weichenstellung für den Kontinent.

WAGENKNECHTS RÜCKZUG

Die Linkspartei steht vor einer Zäsur, deren langfristige Auswirkungen noch nicht abschätzbar sind. Mit Sahra Wagenknecht verliert sie nämlich nicht nur eine einflussreiche Galionsfigur, sondern ihre letzte prominente Fürsprecherin der Nationalstaatlichkeit.

UNABSEHBARE FOLGEN

Das neuseeländische Christchurch hat es nicht verdient, ins Bewusstsein der Weltöffentlichkeit ausgerechnet durch die massenmörderische Untat eines 28-jährigen Australiers zu gelangen, der aus einer Mischung aus Geisteskrankheit, Hass und Herostratentum 50 Menschen an den beiden Moscheen der Stadt tötete. Das Verbrechen richtet sich selbst. Welche Schäden es über das Leid der unmittelbar Betroffenen hinaus nach sich zieht, lässt sich noch nicht absehen.

HÖHENFLUG EINES KOMIKERS

Im ukrainischen Präsidentschaftswahlkampf hat sich der Fernsehstar Wolodymyr Selenskyj an die Spitze der Meinungsumfragen gesetzt, noch vor der langjährigen Ministerpräsidentin Julija Tymoschenko. Am 31. März wird gewählt. Schafft der Komiker tatsächlich den Einzug in den Kiewer Marienpalast?

VERTUSCHUNG VON STRAFTATEN?

Unter der Überschrift „Kriminalität bleibt Geheimsache“ berichtet die Lokalpresse, dass die Polizei innerhalb von drei Monaten in der Landesunterkunft für Flüchtlinge (LUK) in Boostedt (Kreis Segeberg in Schleswig-Holstein) weit über 100 Straftaten registriert habe. Keiner dieser Fälle aber wurde von offizieller Seite bekannt gemacht. Warum?

ZUKUNFT DES STROMSYSTEMS

Eine neue Studie hat sich der Frage gewidmet, ob die Bundesrepublik Deutschland ihren Stromverbrauch auch vollständig mit Erneuerbaren Energien decken könnte. Die Antwort fällt positiv aus. Der Preis dafür: Etwa 2,3 Prozent der bundesdeutschen Landesfläche.

DAS VERMÄCHTNIS DES LETZTEN
RITTERS

Am 12. Januar rundete sich der Todestag Kaiser Maximilians I. zum 500. Mal. Zahlreiche Ausstellungen beleuchten das ganze Jahr über den Herrscher, dessen Regierungszeit am Beginn der Neuzeit steht. Nicht nur Innsbruck in Tirol, das Maximilian als „Herz und Schild“ seines Reiches nannte, widmet sich ausgiebig dem Kaiser.

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