Nr. 1 vom 22.12.2017

Nr. 1 vom 22.12.2017

Standpunkt

Hoffnung

Zu Rembrandts letzten großen Werken gehört das monumentale Gemälde, das die Heimkehr des verlorenen Sohnes zeigt. Die abweisende Haltung des zuhause gebliebenen Bruders kontrastiert die herzliche Freude des Vaters über die Rückkehr des Totgeglaubten. Das Gleichnis vom verlorenen Sohn handelt von Abkehr, Besinnung und der Möglichkeit, immer umdrehen zu können, von übererfüllter Hoffnung und freudiger Wiedervereinigung.

Natürlich ist der Text in erster Linie eine theologische Parabel. Doch er hat über die Jahrhunderte unzählige künstlerische Gestaltungen und Variationen erfahren, die über seine heilsgeschichtliche Dimension hinausreichen. Und da es legitim war, das Gleichnis sogar rechtshistorischen Überlegungen zugrunde zu legen, sollte es erlaubt sein, die Motive des Verlierens, des Wiederfindens, der Rückbesinnung und Heimkehr auch in anderer Richtung zu deuten. Zum Beispiel in einer, die Hugo von Hofmannsthal 1912 aufgeworfen hat:

„Unser Volk hat ein schlaffes Gedächtnis und eine träumende Seele, trotz allem; was es besitzt, verliert es immer wieder, aber es ruft sich nachts zurück, was es am Tage verloren hat. [Es …] ist fähig, seiner Krongüter zu vergessen, aber zuzeiten sehnt es sich nach sich selber, und niemals ist es reiner und stärker als in solchen Zeiten.“

In Verirrung und Orientierungslosigkeit kann nicht nur das Individuum, sondern eine ganze Gemeinschaft geraten. In ihrem wegen Zensurmaßnahmen ungedruckt gebliebenen Beitrag – „Der Grundwille des deutschen Volkes“ – zur Festschrift zur Wiedereröffnung der Schiller-Universität Jena am 15. Oktober 1945 meinte die Dichterin Ricarda Huch (1864–1947), dass Völker „im Unglück“ sich in ihre Geschichte versenken und sich das Gesetz vorhalten, „unter dem sie einig und groß geworden sind“, und so „ihren Bund mit Gott“ erneuern. „Das heißt, sie bekennen sich aufs Neue zu den Idealen, an die sie einst glaubten und denen sie nachfolgten.“

Gültige Richtlinien und Werte finden Völker laut Huch in ihrer Kultur. So hätten zum Beispiel die Italiener zur Zeit ihrer größten Zerrissenheit „Dante, den Schöpfer ihrer Sprache, als Symbol ihrer Einheit“ entdeckt. Die Geschichte sei der „Zauberspiegel, aus dem dem Volke in großen Gesichten und Verkörperungen sein tiefster Wille entgegentritt“. Sie stellt daher die Frage: „Welches aber ist der tiefste Grundwille des deutschen Volkes?“

Die Historikerin, die 1892 mit einer Arbeit über „Die Neutralität der Eidgenossenschaft während des spanischen Erbfolgekrieges“ an der Universität Zürich promoviert wurde, sieht die Freiheitsliebe als wesentlich für diesen Willen. „Die deutsche Freiheitsidee, die im Mittelalter einen staatlichen Körper ausbildete, bestand darin, dass aus dem Volke eine Fülle sich selbst verwaltender Glieder hervorging, die sich nach innewohnendem Gesetz und jeweiligen Bedürfnissen entfalteten und nebeneinander verbreiteten, nicht ohne sich gegenseitig zu stören und zu bekämpfen, aber doch ein bedeutendes, wirkungsfähiges Ganzes bildend. Freiheit in diesem Sinne ist der Gegensatz von Zentralisation.“

Das aus „diesem Grundwillen des deutschen Volkes hervorgegangene Reich“ räumte dem Einzelnen, Individuum wie Korporativem, fruchtbare Selbständigkeit ein: „Der Mensch, der sich in Kreisen bewegt, die er überblicken kann, wird weniger Irrtümer begehen, als der im Großstaat Verhältnisse regeln soll, die ihm fremd sind, an die er mit Zwang und oft Schaden stiftend herangehen muss, während der Benachbarte sie leicht gütlich ordnen könnte.“ Im Zuge von Absolutismus, Glaubensspaltung und dem Übergang zum progressiven Industriezeitalter seien die Deutschen von ihrer Geschichte abgetrennt worden, so Huch.

Mit Blick auf den Anlass ihrer Ausführungen schrieb Ricarda Huch: „Zwischen den Überbleibseln unserer Kultur, an die wir uns klammern wie Schiffbrüchige an rettende Planken, und neuen Plänen, die Heilung aller Übel verheißen, stehen wir zweifelnd. Der Anweisung bedürftig, denken wir an unsere Universitäten, die neben den Kirchen zu Hütern unserer Heiligtümer und unserer Kultur berufen sind. Ihre Aufgabe ist es, das Alte, das sich als echt und fruchtbar bewährt hat, zu bewahren und gleichzeitig die neuen Gedanken zu sammeln, zu prüfen und zu fördern. Sie haben sich einen Teil der mittelalterlichen Unabhängigkeit sichern können und die Würde, nicht nach dem Willen irgendeines Menschen, sondern zur Ehre Gottes, das heißt im Dienste der Wahrheit, zu forschen und zu wirken.“

Da scheint es wie ein Hoffnungsschimmer, dass die trotzige Rückbesinnung auf den Namenspatron der Greifswalder Universität, Ernst Moritz Arndt, dieser Tage Ricarda Huchs rhetorische Frage „Möchten wir den kostbaren Vorrat unserer alten Kultur aufgeben?“ deutlich verneint.

Amelie Winther

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 22. Dezember 2017

KURZ UND GUT

Es war ein ambitioniertes Ziel von ÖVP-Chef Sebastian Kurz und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, das sie sich Anfang Dezember gesetzt hatten, nämlich spätestens in der Woche vor Weihnachten der Öffentlichkeit die neue österreichische Bundesregierung zu präsentieren. Das Ergebnis.

DURCH DEUTSCHLANDS GRÜNES HERZ

Am 10. Dezember wurde das „Verkehrsprojekt Deutsche Einheit Nr. 8“ in Betrieb genommen, also die ICE-Schnellbahnstrecke zwischen München und Berlin über Nürnberg, Erfurt, Halle und Berlin-Südkreuz. Der Zug verändert den Verkehr im ganzen Land.

AUSTRAGUNGSORT INTERNATIONALER KONFLIKTE

Besonders betroffen, aber frei von jeder Selbstkritik geben sich nun jene, die durch die Förderung unkontrollierter Masseneinwanderung Deutschland zu einem Austragungsort internationaler Konflikte – auch des Nahostkonflikts – gemacht haben.

NEGATIVZINSEN FÜR KLEINSPARER?

Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, will die Zinsen im Euroraum noch bis ins Jahr 2019 niedrig halten. Das hat er sich vom EZB-Rat absegnen lassen. Derzeit liegt der Leitzins, zu dem sich die Geldinstitute bei der Notenbank Geld leihen können, auf dem Allzeittief von null Prozent. Die Folgen sind dramatisch.

BITTE NICHT GRAPSCHEN!

Silvester rückt näher und damit auch die bange Frage: Wie wird es zum Jahreswechsel in unseren Großstädten zugehen? In Köln setzen Stadtverwaltung und Polizei in erster Linie auf Aufrüstung und Absperrung.

EIN NEUES KATALONIEN?

Bei den Regionalwahlen in Korsika konnte „Pè a Corsica“ („Für Korsika“) mit 56,5 Prozent einen regelrechten Erdrutschsieg erringen. Ein Meilenstein auf dem Weg in die eigene Unabhängigkeit? Was der Sieg des aus der Autonomiebewegung hervorgegangenen Bündnisses bedeutet.

MAN SIEHT NUR MIT DEM HERZEN GUT

Das Schaezlerpalais, der wohl schönste Stadtpalast Augsburgs, beherbergt die bedeutende Deutsche Barockgalerie. Dafür wurde das Bauwerk der Stadt vor fast 60 Jahren vom Ehepaar Wolfgang und Hilda von Schaezler überlassen, im Gedenken an seine beiden im Zweiten Weltkrieg gefallenen Söhne.

VOTUM FÜR ARNDT

Bei der universitätsinternen Umfrage haben sich 48,66 Prozent der Teilnehmer für den Namen „Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald“ und nur 34,38 Prozent für den Namen „Universität Greifswald“ ausgesprochen. 15,47 Prozent halten beide Namen für gleichermaßen akzeptabel. Studenten und Mitarbeiter überstimmten Professoren.

„GOTT IST BARMHERZIG“

Jesu Gleichnisse aus der Warte des Theologen. Ein Blick ins Lukasevangelium – von Pfarrer Paul Fischer.

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