Nr. 52 vom 20.12.2019

Liebe Leser, die Nr. 52/2019 war die letzte Ausgabe der National-Zeitung. Einen 70. Jahrgang wird es nicht geben. Der Medienwandel der letzten 15 Jahre und das damit einhergehende geänderte Nutzerverhalten machen diesen Schritt unumgänglich, aber auch verschmerzlich. Denn es ist Neues und gleichfalls Gutes herangewachsen, das – ebenso rechtstreu und verfassungstreu sowie am Wohl des deutschen Volkes orientiert – es auch verdient, gelesen und weitergegeben (oder „geteilt“) zu werden. Wir sind sicher, das eine oder andere bewirkt, manchen Gedanken auf den Weg gebracht zu haben. Verlag und Redaktion danken Ihnen für Ihre Beständigkeit, Ihre Kritik und Ihre Anregungen! Ihr DSZ-Verlag
 

Standpunkt

Generation Freiheit

Freiheit – darin erkannte der Dirigent Paul Bekker, einer der wichtigsten Musikkritiker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, Ziel und Botschaft von Beethovens Schaffen, und zwar „Freiheit in künstlerischer, politischer, persönlicher Hinsicht, Freiheit des Willens, des Handelns, des Glaubens, Freiheit des ganzen Individuums in all seinen Betätigungen äußerer und innerer Art“. Beethoven variiert den „Akkord, der in den Freiheitskriegen zum Sturm anschwillt, der zwei Jahrzehnte vorher den Orkan der Französischen Revolution durchbraust hatte“, in seinem Wirken hallen die „zündenden Stichworte seiner Epoche vom ‚Rechte, das mit uns geboren’, von ‚Freiheit und Menschenwürde’“ wider. Das verbindet Beethoven mit seinen herausragenden Zeitgenossen. Der Komponist teilt sich das Jubiläumsjahr 2020 mit zwei weiteren deutschen Geistesgrößen: Hölderlin und Hegel. Auch sie sind 1770 geboren.

Prägend für diese Generation waren die historischen Umwälzungen der Epoche, die Französische Revolution 1789 und ihre terroristischen Ausläufer, das Ende des alten Reiches, Napoleons Aufstieg und Hybris und die Befreiungskriege im Konkreten, im Übergeordneten die Bildung eines Nationalbewusstseins, das sich auch politische Geltung verschaffen will.

Der Philosoph der Freiheit

Alle Genannten setzten sich auf eigene Weise mit den epochalen Gedanken ihrer Zeit auseinander und wirkten selbstredend über die eigene Disziplin und Generation hinaus. Als Kronzeuge dafür sei etwa Johann Georg August Wirth (1798–1848) aufgerufen. Der Protagonist des wegweisenden Hambacher Fests sagte, Hegel habe in ihm „den unsterblichen Funken der Freiheit“ entzündet. In der 2019 erschienenen Hegel-Biografie des Philosophieprofessors Klaus Vieweg, der Wirth dahingehend zitiert, ist Hegel indes nichts weniger als „Der Philosoph der Freiheit“.

„Jeder einzelne ist der Sohn seines Volkes und zugleich, insofern sein Staat in Entwicklung begriffen ist, der Sohn seiner Zeit; keiner bleibt hinter derselben zurück, noch überspringt er dieselbe; dies geistige Wesen ist das seinige, er ist ein Repräsentant desselben, es ist das, woraus er hervorgeht und worin er steht.“ In diesen Sätzen aus Hegels Einleitung zu den Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte findet sich auch das Schlagwort, an dem man bei ihm nicht vorbei kommt: „Staat“. Der Staat soll laut Hegel die Verwirklichung der sittlichen Idee sein. In den „Grundlinien der Philosophie des Rechts“ (1820) heißt es: „Darin, dass es Bürger eines guten Staates ist, kommt erst das Individuum zu seinem Recht.“

Auch hier darf man in ihm einen Philosophen der Freiheit erkennen – nämlich, wenn er sich als Kind seiner Zeit die Freiheit nimmt, anders zu denken, neu zu denken, so wie Hölderlin und Beethoven ihr Recht in Anspruch nahmen, anders und neu zu dichten und zu komponieren.

Die Freiheit zum Aufbruch

Die unantastbare individuelle Freiheit drückt vielleicht kein Vers in Hölderlins anspruchsvoller Lyrik besser aus als der Schlusssatz seiner vierstrophigen Ode „Lebenslauf“ (1800), der als Aphorismus gerne so zusammengefasst wird: „Alles prüfe der Mensch und verstehe die Freiheit, aufzubrechen, wohin er will.“ Die bedingungslose Bejahung dessen, was „die Himmlischen“ schicken und auferlegen, Gutes wie Schlechtes, „aufwärts oder hinab“, gewährt dem Menschen diese Freiheit, so Hölderlins Credo.

Hegel und Hölderlin verband in ihrer gemeinsamen Zeit am Tübinger Stift eine enge Freundschaft. (Der fünf Jahre jüngere Schelling war in ihrem Bunde der dritte.) Entsprechend ist es nur gerechtfertigt, in der Poesie des einen die Philosophie des anderen zu suchen und umgekehrt. Etwa Hegels Gedanken zum wechselseitigen Verhältnis von Einzelnem und Gemeinschaft, die der Philosoph Prof. Ludwig Siep so charakterisiert: „Die ‚Existenz’ des Individuums als Glied eines Volkes, in dem die Rechte der Personen garantiert sind, aber zugleich der Einsatz für die Verteidigung des Gemeinwesens verlangt werden kann, ist für Hegel nicht mehr eine natürliche, vom Streben nach Selbsterhaltung und Bedürfnisbefriedigung her verständliche, sondern eine ‚geistige’ Existenz.“

Rüdiger Safranski schreibt in seiner dieses Jahr erschienenen Hölderlin-Biografie „Komm! ins Offene, Freund!“, Hölderlins Vaterland war zunächst „der landsmannschaftliche Verbund, der Stamm, von dem man herstammt und dessen Schicksal man nicht nur teilen, sondern auch mitbestimmen möchte“. Daraus ergäben sich politische Konsequenzen, wie sie in seinem Gedicht „Der Tod fürs Vaterland“ 1799 zum Ausdruck kamen. Das Vaterland, „für das es sich zu kämpfen und sogar zu sterben lohnt“, ist für Hölderlin nun „das republikanische“. Safranski erklärt: „Diese Ode entstand zu einer Zeit, als Hölderlin vom jakobinischen Terror ebenso abgestoßen war wie von der französischen Kriegsführung, die inzwischen zum imperialen Eroberungskrieg übergegangen war.“ Die Opferbereitschaft gelte einem Vaterland, „das nicht das gegenwärtige, sondern das erst noch zu erkämpfende ist“.

Die Grundlage dieses zukünftigen Vaterlandes ist, wie Safranski anhand der Ode „Gesang des Deutschen“ (1799/1800) dann darlegt, die „deutsche Kulturnation, die noch ohne politische Form ist, doch im Stillen und in der Tiefe einer Zukunft entgegenwächst, die im Zeichen des Friedens und der Musen stehen wird“.

Ode an die Freiheit

Beethoven brachte seinen politischen Freiheitswillen auch ganz gegenständlich zum Ausdruck: In Wien vertonte er 1797 das „Kriegslied der Österreicher“ mit dem Eingangsvers „Ein großes deutsches Volk sind wir“ – ein Bekenntnis absoluter Verteidigungsbereitschaft gegenüber den Franzosen. Nach der Niederlage Preußens gegen Napoleon sprach er 1809 davon, dass nunmehr Österreich „das noch einzige deutsche Vaterland“ sei. „Europens Befreiungsstunde“, „Germania, wie stehst du jetzt im Glanze da“, „Der glorreiche Augenblick“, „Wellingtons Sieg“ oder der „Chor der verbündeten Fürsten“ sowie seine Stücke zu Ehren der als Lützower Jäger gefallenen Eleonore Prochaska sind eine musikalische Ehrerbietung für die Helden der Befreiungskriege. Die Veteranen, die sich bei der Uraufführung seiner 7. Sinfonie am 8. Dezember 1813 in Wien im Publikum befanden, begrüßte er so: „Uns alle erfüllte nichts als das reine Gefühl der Vaterlandsliebe und des freudigen Opfers unserer Kräfte für diejenigen, die uns so viel geopfert haben.“

Seine 9. Sinfonie mit Schillers Hymne „An die Freude“ – unter deren Klängen Richard Wagner 1849 auf die Barrikaden des Dresdner Maiaufstands ging und die im Dezember 1989 in Berlin als „Ode an die Freiheit“ ertönte – widmete Beethoven „in höchster Ehrfurcht“ Preußens König Friedrich Wilhelm III. Der hatte in den Befreiungskriegen mit seinem Aufruf „An mein Volk“ die Einheit von Krone, Armee und Volk beschworen. Auch er war Jahrgang 1770.

Victor Hugo glaubte: „Der deutsche Geist ist wie eine unermessliche Geisteswolke, durch welche Sterne glänzen. Der höchste Ausdruck Deutschlands aber kann vielleicht nur durch die Musik gegeben werden.“ Hegel und Hölderlin sind nicht die leichteste Kost. Allein an den vielen und unterschiedlichen Auslegungen, die beide erfahren, sieht man das. Beethoven macht es uns einfacher. Er bewegt sich jenseits von Worten, und damit bewegt er uns. Seine Ideen werden nicht zu komplexen Gedankengebäuden, sondern ewige Musik, die eine Ahnung und ein Gefühl von Schicksal, Würde und Freiheit vermitteln. Das ist der Grund, warum sein 250. Geburtstag im nächsten Jahr die der anderen überstrahlen wird.

Einige der Themen in der Ausgabe vom 20. Dezember 2019

JOHNSONS MEISTERSTÜCK

Das eindeutige Ergebnis der britischen Unterhauswahlen straft hiesige Medien, die oft und gerne davon schrieben, die Briten wollten den Austritt aus der EU mehrheitlich nicht, Lügen: Die Tories unter Boris Johnson errangen die absolute Mehrheit und haben damit das Mandat, den Brexit durchzuziehen. Am Ende setzte sich also der durch, der den Willen des Volkes nicht missachtete.

AUSBLICK 2020

Wie lange hält die GroKo, wenn sich die SPD bei der Hamburger Bürgerschaftswahl erneut blamiert? Unter wie großen Druck wird Salvini mit seinem Bündnis die Regierung in Rom bei den anstehenden Regionalwahlen setzen? Kommt es im Herbst zur Wiederwahl Donald Trumps? Welche Wahlen und Ereignisse 2020 wichtig sind.

GIPFELDIPLOMATIE

Wolodymir Selenski setzte sich bei Gesprächen im „Normandie-Format“, an denen auch Frankreich und Deutschland beteiligt sind, mit Russlands Staatsoberhaupt Putin an einen Tisch. Die persönliche Begegnung scheint zu halten, was das Konzept der Konferenz-Diplomatie, entwickelt 1920 von dem britischen Politiker und Idealisten Lord Maurice Hankey, verspricht. Es gibt Hoffnung, dass der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine ein Ende findet.

SOZIALDEMOKRAT UND PATRIOT

Der Staatsrechtler Hermann Heller, der als „Vater der Politikwissenschaft“ gilt, findet in der heutigen SPD zwar zuweilen Erwähnung, wird aber nur ungern zitiert. Sein 1925 erschienenes, nun neu aufgelegtes Buch „Sozialismus und Nation“ entwirft eine Sozialdemokratie im Geiste Ferdinand Lassalles, von der sich die Genossen längst verabschiedet haben.

DER GROSSE KNALL DROHT

Elf Jahre nach der großen Krise – Stichwort Lehman Brothers – droht den Finanzmärkten global erneut eine hochgefährliche Situation. Schuld daran sind lasche Regulierungen in Kombination mit niedrigen Zinsen und einer hohen Verschuldung. Wovor Experten nun warnen.

ÜBERFÄLLIG

Das Tabakwerbeverbot kommt. Die Unionsfraktion gibt ihren Widerstand auf und tritt nun für die stufenweise Untersagung der Reklame ab 2021 ein.

ARABISCHER FRÜHLING 2.0?

Im Irak und im Libanon sind nach anhaltenden Protesten die Regierungschefs zurückgetreten. Doch der Unmut auf der Straße dürfte sich damit nicht beruhigen, sondern weitergehen. Denn Reformen, wie sie in den Ländern nötig wären, sind nicht in Sicht. Das neue Jahrzehnt wird in der ganzen Region sehr unruhig beginnen.

STERN VON BETHLEHEM

Mitte des 15. Jahrhunderts schuf der flämische Maler Rogier van der Weyden den Columba-Altar, dessen „Vollkommenheit“ Hegel als unüberbietbar empfand. Die „Anbetung der Könige“ auf der Mitteltafel verzichtet nicht auf ein Detail, das seit Jahrhunderten Theologen, Astronomen und Künstler wie Gläubige fasziniert: den Stern, der den Weisen aus dem Morgenland den Weg zum neugeborenen Heiland wies.

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