Nr. 44 vom 28.10.2016

Nr. 44 vom 28.10.2016

Standpunkt

Policiers en colère

Für Premierminister Manuel Valls gibt es keine „rechtsfreien Räume“ in Frankreich. Das sagte Valls am 10. Oktober selbst noch in Viry-Châtillon, der südlich von Paris gelegenen Stadt, in der zwei Tage zuvor vier Polizisten am helllichten Tag von rund 20 Vermummten zum Teil lebensbedrohlich verletzt worden waren.

Bei dem Angriff wurden zwei Polizeiwagen mit Molotow-Cocktails attackiert. Während die Insassen des einen Fahrzeugs herausklettern konnten, hinderten die Täter die des anderen brennenden Wagens gewaltsam am Aussteigen. Ganz in der Nähe liegt La Grande Borne. In der Sozialsiedlung lebte der Terrorist Amédy Coulibaly, der im Januar 2015 in Paris eine Polizistin und in einem jüdischen Supermarkt vier Männer erschoss. In diesem Milieu werden auch die Täter der neuen brutalen Attacke auf Polizeibeamte vermutet. Der Tatort ist berüchtigt als Umschlagplatz für Drogen und Treffpunkt allerlei Krimineller. Die installierte Videoüberwachung war mehrfach Zerstörungsversuchen ausgesetzt, weshalb die Polizei dort vermehrt physische Präsenz zeigt, „um Gebiet zurückzuerobern“, wie Frédéric De Oliveira von der Polizeigewerkschaft der Region Île-de-France erklärt.

Dem vorausgeplanten Angriff auf die Polizisten folgten zunächst Gedenkminuten vor den Polizeirevieren der Umgebung. Doch der Protest blieb nicht lange still. Immer noch gehen landesweit „Policiers en colère“ – Polizisten in Wut – auf die Straße, manchmal die Marseillaise auf den Lippen, die Trikolore in der Hand. Frankreichs Polizei ist unterbesetzt und hoffnungslos überlastet, der Notstand ist nach dem Terroranschlag von Nizza im Juli um weitere sechs Monate verlängert worden und gilt nun bis zum 27. Januar 2017, die Angriffe auf die Ordnungshüter haben schon im Jahr 2015 deutlich zugenommen. Diese Tendenz bestätigen die Statistiken auch schon für das erste Halbjahr 2016. Die Polizisten klagen, sie könnten sich wegen ihrer schlechten Ausrüstung nicht einmal selbst verteidigen und die Strafverfolgung arbeite zu langsam.

Auch in Calais, wo ab dem 24. Oktober das als „Dschungel“ berüchtigte „Flüchtlingslager“ geräumt wurde, waren die „Flics“ wieder Angriffen ausgesetzt, wurden mit Wurfgeschossen attackiert. Der Situation in Calais war von der Politik lange tatenlos zugesehen worden. Anders als nun beispielsweise „Die Zeit“ behauptet, symbolisierte der „Dschungel von Calais“ allerdings nicht „die Unfähigkeit der EU, Flüchtlinge schnell und sicher zu versorgen und auf die einzelnen Mitgliedsländer aufzuteilen“, sondern die mangelnde Bereitschaft vieler Migranten anzuerkennen, dass auch für echte Flüchtlinge die Genfer Flüchtlingskonvention kein Recht statuiert, sich das genehme Zufluchtsland auszusuchen.

P. Tournier

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 28. Oktober 2016

NOCH SCHÄRFER GEGEN RUSSLAND?

Beim Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs hatte Kanzlerin Angela Merkel ihre Kollegen auf einen harten Kurs gegen Moskau einschwören wollen. Aber der konfrontative Kurs gegenüber Russland findet innerhalb der EU offenbar immer weniger Befürworter.

„500 ABGEORDNETE SIND GENUG“

Der Bundestag könnte nach den nächsten Wahlen auf 750 Sitze anwachsen. Das wären über 100 Abgeordnete mehr als derzeit, jeweils mit Büro und Mitarbeiterstab. Die Kosten sind enorm, der Bund der Steuerzahler protestiert.

US-WAHL UND DIE AUSSICHTSLOSEN

Weder Gary Johnson, der als Kandidat der Libertarian Partei bei der US-Präsidentschaftswahl antritt, noch Jill Stein, die für die Grünen auf dem Stimmzettel steht, hat Chancen auf das Weiße Haus. Dennoch sollte die Rolle der „dritten Kandidaten“ nicht unterschätzt werden. Stein zum Beispiel könnte Hillary Clinton wichtige Stimmen kosten.

SCHICKSALSJAHR FÜR THAILAND

Nach dem Tod des beliebten Königs Bhumibol Aduljadeh, der am 13. Oktober nach 70-jähriger Regentschaft starb, stehen Thailand schwierige politische Zeiten bevor. Unterdessen ist Washington bemüht, Bangkok wieder stärker an sich zu binden. Ein Hintergrundbericht von Dr. Bernhard Tomaschitz.

TIERSCHUTZ GEHT ANDERS

Die bundesweite Vereinigung „Ärzte gegen Tierversuche“ hat zum Welttierschutztag neue Daten vorgelegt. Danach steigen die Tierversuche in der Bundesrepublik Deutschland immer weiter an. Wie kommen diese Zahlen zustande? Dazu der Kommentar „Quer gedacht“.

REFORMATIONSJAHR 2017

Im kommenden Jahr, am 31. Oktober, wird die Christenheit in aller Welt des Thesenanschlags Martin Luthers gedenken, mit dem die Reformation vor 500 Jahren ihren Anfang nahm. Gespannt blickt man auch nach Rom: Wie wird sich der Papst äußern? Wird der gebannte Luther rehabilitiert?

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