Nr. 33 vom 12.8.2016

Nr. 33 vom 12.8.2016

Standpunkt

Der wunderliche Maler

Es ist jetzt 500 Jahre her, dass sie am 9. August 1516 in ‘s-Hertogenbosch in Nordbrabant in der Kirche Sint-Jans die feierliche Begräbnismesse für Joen van Aken lasen. Niemand würde sich heute dieses Ereignisses erinnern, hätte Besagter nicht das Bildprogramm der abendländischen Kunst um jene fantastischen Grotesken bereichert, die er mit dem Namen Jheronimus Bosch signierte. Den niederländischen Vornamen hatte er lateinisiert, den Nachnamen, der auf die Herkunft der Vorfahren aus Aachen deutete, gegen seinen eigenen Geburtsort, ‘s-Hertogenbosch, auch Den Bosch genannt, getauscht. Wann Hieronymus Bosch dort zur Welt kam, weiß man nicht; die Forschung verortet seinen Geburtstag um das Jahr 1450. Er stammte aus einer Malerdynastie. Heute gelten 25 Tafelbilder und Triptychen sowie fast ebenso viele Zeichnungen als eigenhändige Werke Boschs. Der größte Teil seines Œuvres ist verloren gegangen, darunter auch Bilder mit volkstümlichem Inhalt, auf die sich später Pieter Bruegel bezogen hat. Der Thieme-Becker von 1910 schreibt, nicht seine religiösen Kompositionen seien vorherrschend in Boschs Werk. „Sie sind die aufschlussreichsten für seine Anfänge, aber die Zeitgenossen sahen in ihm wie noch heute die meisten seiner Bewunderer den ‚Teufels-Bosch’.“

Der deutsche Philosoph und Kunsthistoriker Carl Justi (1832–1912) war es, der Ende des 19. Jahrhunderts den Künstler der akademischen Vergessenheit entriss. 1888 schrieb er in einem Brief: „Morgen soll ich bei dem Jahresfest des Alterthumsvereins eine Rede halten, ich habe den wunderlichen Maler Hieronymus Bosch gewählt.“ Der 1889 gedruckte Aufsatz begründete eine Neubewertung des Malers. Obwohl schon Justi die Modernität andeutet, wenn er schreibt, Boschs Hölle sei „schwarz und zugleich grell beleuchtet, ungemütlich wie eine Kohlenzeche oder ein Laboratorium“, entfaltete sich die ganze Aktualität erst nach dem Ersten Weltkrieg. Justis Aufsatz hatte geendet: „Man möchte die Träume des Boschs ein Album des Teufels nennen.“ Diesem Album fügten die Jahre 1914 bis 1918 Kapitel hinzu, die die Kunstwelt aus den Fugen bringen sollten. Die spätmittelalterlichen Schreckensszenarien standen nun jenseits ihres eschatologischen Kontexts vor dem Erfahrungshorizont der Mechanisierung des massenhaften Sterbens. In den 20er-Jahren erschienen folgerichtig mehrere Monographien über Hieronymus Bosch. Kurt Pfister verfasste 1922 eine von ihnen, weil er fand: „Es ist an der Zeit für eine Gegenwart, deren chaotische Entwurzelung in ein selbstverneinendes und alles zersetzendes Nichts treibt, […] das Bild dieses Mannes zu erneuern, der mit klaren Augen das Schicksal einer zusammenbrechenden Welt, die seine Welt und sein Tag war, sah.“

Über die Bosch-Rezeption nach dem Ersten Weltkrieg gibt Bernhard Maaz, im Ausstellungsjahr 2015 noch Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister und des Kupferstichkabinetts Dresden, im Katalog „Hieronymus Boschs Erben“ Auskunft. Er nimmt Dichter und Schriftsteller in den Blick, die sich der Faszination der skurrilen Gestalten nicht entziehen konnten. Reinhold Schneider zum Beispiel fand im Weltgerichtstriptychon, das er in der Akademie der Künste in Wien sah, noch 1958, Jahrzehnte nach seiner ersten Begegnung mit Bosch, „das grandiose Bild der Seele um 1500“ und eine fast quälende Überzeitlichkeit.

Maaz’ Zeugenaufgebot lässt sich noch erweitern. Zum Beispiel durch Ernst Jünger, der immer wieder auf Bosch zu sprechen kommt, so auch in einem Brief an Carl Schmitt 1941: „Überall lernt der Mensch Arten und Formen der Bedrohung kennen, die ihm früher unbekannt gewesen sind oder unbekannt wenigstens den Generationen, auf die wir zurückblicken. Man muss da schon auf Bosch und Cranach zurückgreifen. Ihre kleinen Maschinchen haben viel Ähnlichkeit mit den unseren.“

Zuvor hatten natürlich schon die Surrealisten die Pfade zu Ende beschritten, die Bosch ihnen geebnet hatte. Der französische Surrealist Yves Tanguy zählte ihn neben Cranach und Ucello zu seinen Lieblingsmalern, und sowohl Max Ernst als auch Salvador Dalí interpretierten wie Bosch die „Versuchung des heiligen Antonius“.

AW

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 12. August 2016

WAHLKAMPFSPLITTER

Malik Obama, Halbbruder des US-Präsidenten Barack Obama, ist nicht der einzige, von dem man nicht unbedingt annahm, dass er Donald Trump Hillary Clinton vorzieht. Anders geartete, ebenfalls interessante Stellungnahmen gibt es auch von Michael Moore und Dennis Kucinich.

ANGEKOMMEN IM MAINSTREAM

Es ist erstaunlich, wie ausgewiesene Antideutsche sich mittlerweile im etablierten Medienapparat bewegen und auf der Karriereleiter nach oben kommen.

GEWALT GEGEN POLIZEI

Durchschnittlich mehr als 50 Fälle von einfacher oder schwerer Körperverletzung gegen Polizeivollzugsbeamte ereignen sich Tag für Tag in der Bundesrepublik. Lassen Politik und Medien die Beamten gegenüber Angriffen und Aggressionen im Stich?

MÄRTYRER FÜR FRANKREICH?

Rouen ist ein französischer Symbolort. Hier wurde 1431 Jeanne d’Arc als Ketzerin verbrannt. Am 2. August 2016 läuteten in der Hauptstadt der Normandie die Glocken zur Beerdigung des Père Jacques Hamel. Frankreichs Nationalheilige und der ermordete Priester.

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Während die Abschaltung der bundesdeutschen Kernkraftwerke bislang planmäßig verläuft, holpert es bei der Energiewende. Experten bezweifeln vor allen Dingen, dass es in absehbarer Zeit zu einer spürbaren Senkung der Strompreise kommen wird. Woran liegt das?

DER SCHATTEN VON KÖLN

Die Arbeit des Untersuchungsausschusses zu den Übergriffen in der Kölner Silvesternacht macht einen Kontrollverlust der Sicherheitsorgane deutlich. Handelten sie auch deshalb wie paralysiert, weil sie glaubten, politischen Vorgaben genügen zu müssen?

FASZINATION OLYMPISCHE SPIELE

Man weiß um die Kommerzialisierung der Spiele, um Rücksichtslosigkeit, mit der das Spektakel durchgezogen wird und um den zweifelhaften Ruf des Internationalen Olympischen Komitees. Trotzdem greift der olympische Gedanke über Kriege, Boykotte und Krisen hinweg.

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