Nr. 30 vom 22.7.2016

Nr. 30 vom 22.7.2016

Standpunkt

Ohne Rechtsstaat ist alles nichts

Als am Samstag, 16. Juli 2016, 2.600 Demonstranten vor das türkische Generalkonsulat in Hamburg zogen, wirkte alles wie in der Türkei – von den Erdoğan-Plakaten über türkische Flaggen bis hin zur Fahne der „Grauen Wölfe“. Schon in der Nacht hatten sich, ähnlich wie in anderen deutschen Städten, rund 1.500 Erdoğan-Anhänger vor dem Generalkonsulat versammelt. Das „Hamburger Abendblatt“ meldete: „Sie blockierten die Fahrbahn, riefen Parolen und schwenkten türkische Fahnen. Polizisten sicherten das Konsulat mit Absperrgittern und mehreren Zügen der Bereitschaftspolizei.“ Eine Woche später waren dann die Erdoğan-Gegner in der Hansestadt am Zug, die 800 Teilnehmer mobilisierten.

Solche Demonstrationen reihen sich ein in die vielen fremden Auseinandersetzungen, die mittlerweile in Deutschland ausgetragen werden und von denen nicht wenige in der Türkei wurzeln. Wenn etwa, wie im April 2016, „Friedensmärsche für die Türkei“ stattfinden und Kurden dagegen Sturm laufen oder wenn die Alevitische Gemeinde, wie erst Anfang Juli, auf dem Berliner Hermannplatz auf ihre Anatolien betreffenden Anliegen pocht.

Die Väter und Mütter des Grundgesetzes wollten ein solches Austragen ferner Konflikte in Deutschland offenbar nicht – sie räumten das Grundrecht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln, ausdrücklich nur Deutschen ein.

Dass es nicht immer friedlich bleibt, zeigte sich als erstes bei der Randale von 150 Erdoğan-Anhängern gegen einen angeblich der Gülen-Bewegung nahestehenden türkischen Jugendtreff in Gelsenkirchen. Der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Ansgar Heveling (CDU), warnt nun, „dass innertürkische Spannungen auch zu uns herüberzuschwappen drohen“. In Berlin aber regiert weiterhin eine CDU-Kanzlerin, die von Visumfreiheit für Türken träumt – daneben aktuell auch für Georgier und Ukrainer – und die für weiterhin sperrangelweit offene deutsche Staatsgrenzen sorgt, die dazu mit Erdoğan paktiert und in diesem Zusammenhang sogar die EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei wiederbelebt hat. Dass Erdoğan seit Jahren auch in Deutschland Wahlkampf macht, dass er hier bereits über eine zuverlässige „fünfte Kolonne“ verfügt, hält sie nicht zurück.

Soweit deutsche Politiker und Medien darauf verwiesen, dass das Scheitern des Putsches in der Türkei ein Sieg oder Erfolg der Demokratie sei, da Erdoğan ja demokratisch gewählt wurde, geht zudem leicht unter, dass der Vollzug des Willens der Mehrheit zwar wichtig, aber ohne Rechtsstaat wenig und manchmal auch nichts wert ist. Schon Jesus und Sokrates wurden durch Mehrheitsbeschluss dem Tode übergeben – bekanntlich zu Unrecht. Wenn die Minorität, wie jetzt in der Türkei, ganz rechtlos ist, keine Grund- und Freiheitsrechte besitzt, kann aber auch von Demokratie nicht die Rede sein.

B. Schreiber

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 22. Juli 2016

TERROR ZWINGT ZUM NACHDENKEN

Der islamistische Terrorismus erreicht eine neue Qualität, die Sicherheitsorganen schlaflose Nächte bereitet. Europa ist zum Nachdenken auch über Zwanderung und die Folgen gezwungen, selbst wenn Politiker wie Daniel Cohn-Bendit dies verhindern wollen.

SCHEITERN TTIP UND CETA?

Inzwischen ist der Widerstand in der deutschen Bevölkerung gegen die hinter verschlossenen Türen verhandelten Abkommen derart gewaltig, dass sich SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel veranlasst sieht, nach Möglichkeiten für einen Ausstieg aus den Verhandlungen zu suchen.

NEUE PROVOKATIONEN GEGEN RUSSLAND

Auf dem jüngsten NATO-Gipfel in Warschau haben die Mitgliedstaaten weitreichende Entscheidungen getroffen, die Russland in die Enge drängen sollen. Wird das Militärbündnis zur Gefahr für den Frieden in Europa?

KONSEQUENT BRITISCH

Die neue britische Premierministerin Theresa May als Junckers Gegenspielerin bei den Brexit-Verhandlungen.

LÖCHRIGES SCHUTZSCHILD

Die Klage des österreichischen Datenschutzexperten Maximilian Schrems brachte das Abkommen „Safe Harbor“ zwischen der EU und den USA zu Fall. Jetzt will der Aktivist auch das Folgeabkommen „Privacy Shield“ nicht hinnehmen, weil es ebenfalls keinen ausreichenden Datenschutz bietet.

DEUTSCHLANDS AUSWANDERER

Noch nie in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland war der „Wanderungsüberschuss“ so groß wie im Jahre 2015, was – wenig überraschend – vor allem am gewaltigen „Flüchtlingsstrom“ lag. Die Zahl der deutschen Auswanderer hingegen ist seit Jahren konstant, aber auch bedenklich, sind es doch häufig Hochkompetente, die der Bundesrepublik den Rücken kehren.

KERBER ALS NEUE TENNIS-GRÄFIN?

Angelique Kerber, geboren in Bremen, gehört zur Weltspitze der Tennisspielerinnen. Jetzt reist sie zum olympischen Turnier nach Rio de Janeiro. Die Goldmedaille ist ihr selbstgestecktes Ziel. Worauf es dabei ankommen wird.

Nach oben