Nr. 18 vom 27.4.2018

Nr. 18 vom 27.4.2018

Standpunkt

Sind mehr Polizei und viele Kameras
die Lösung?

Auf viele rätselhafte Meldungen über eine Massenschlägerei am Tanzbrunnen in Köln stieß, wer am Wochenende des 21./22. April im Internet Nachrichten abrief. Lag es nur am schönen Wetter und am Alkohol, wie interessierten Anrufern – ob Journalist oder Bürger – vom Polizeipräsidium Köln nahegelegt wurde? Dann hätte es auch bei der Veranstaltung scheppern müssen, auf der sich im September 1971 am selben Ort Rut Brandt, die Ehefrau des Bundeskanzlers, und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Heinz Kühn, ein Kölsch genehmigten. Aber die Eskalation hat viel eher mit der totalen Missachtung der Warnungen zu tun, die der Sozialdemokrat Kühn (1912–1992), der 1933 vor Hitler hatte fliehen müssen, vor mehr als 35 Jahren aussprach.

Während der Kölner Stadtanzeiger von „rund 40 Jugendlichen“ schrieb, die in der Nacht zum Samstag, 21. April, laut Polizei am Tanzbrunnen in Köln in eine Prügelei verwickelt gewesen seien, und von „bis zu 200 Menschen“, die sich zeitweise dort versammelt hätten, hatten sich laut der Rheinischen Post „30 bis 40 Personen“ geprügelt. Beide Zeitungen berichteten dann noch unter Berufung auf Polizeiangaben, immer mehr „Menschen drumherum“ bzw. „Leute im Park“ hätten sich mit den Streitparteien solidarisiert, weswegen sich die Anzahl immer weiter vergrößert habe.

Wer waren die „Personen“ und „Leute“?

Wer diesen Ablauf so nicht nachvollziehbar fand und bei der Kölner Polizei anrief, hörte etwas von den warmen Temperaturen – nachts um 1 Uhr? – und von Alkohol; es habe sich um männliche Personen „sämtlicher Couleur“ gehandelt. Alles also ganz normal?

Immerhin kamen die Beamten laut Kölner Stadtanzeiger „mit einem Großaufgebot“ und beruhigten die Situation; bei der Rheinischen Post hieß es: „Die Polizei rückte mit starken Kräften an, weil die Stimmung im Park sehr aggressiv gewesen sei.“

Aus dem Rahmen fiel nur die WDR-Nachrichtensendung „Aktuelle Stunde“, in der es am 22. April hieß:

„Schlägereien am Kölner Tanzbrunnen in der Nacht
Nach einer Massenschlägerei am Kölner Rheinufer hat die Polizei in der vergangenen Nacht weitere Zusammenstöße zwischen hauptsächlich türkisch-stämmigen Männern verhindert. 20 aggressiv Auffälligen wurde der Aufenthalt in dem Stadtteil verboten, einer wegen Körperverletzung festgenommen. Das Rheinufer rund um den Tanzbrunnen hat sich zum Treffpunkt von Fahrern PS-starker Autos entwickelt. Dabei kommt es immer wieder zu Auseinandersetzungen.“

Übrigens gab es am selben Wochenende allein im Zuständigkeitsbereich der Kölner Polizei noch zwei „ähnliche Fälle“ (Rheinische Post), nämlich am Freitagabend in Leverkusen mit „aggressiven jungen Leuten“ („Da die Polizisten deutlich in der Unterzahl waren, forderten sie Verstärkung an.“) und am Samstagabend am Fühlinger See im Kölner Norden.

Demokratieverlust und Entfriedung drohen

Man muss nicht die Vorlesung, die Bundespräsident a. D. Joachim Gauck am 18. April an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gehalten hat, gehört haben, um zu wissen: „Wir befinden uns mitten in einem tief greifenden Veränderungsprozess. Deutschland, das ethnisch weitgehend homogen war, verwandelt sich in ein multiethnisches und multikulturelles Land – mit weitreichenden Folgen für Politik und Gesellschaft.“

Dass das Land nicht „sich“ verwandelt, sondern politisch aktiv verwandelt wird, geht bei Gauck zwar unter. Aber in der Tat, die Folgen betreffen nichts Nebensächliches, sondern den Kern: Die Bundesrepublik, im Grundgesetz angelegt als Staat des deutschen Volkes, riskiert zum einen die Funktionsfähigkeit ihrer Demokratie. Kein Geringerer als der sozialdemokratische Verfassungsrechtler und frühere Bundesverfassungsrichter Professor Ernst-Wolfgang Böckenförde bezeichnete in seinem Beitrag „Demokratie als Verfassungsprinzip“ im „Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland“ (Band 2, 2004) „das Bestehen vorrechtlicher Gleichartigkeit und relativer Homogenität“ als „die Voraussetzung der Demokratie in einem Volk“.

Und Deutschland erlebt schon jetzt eine Entfriedung, die – wenn nicht rasch entschieden gegengesteuert wird – noch stark zunehmen wird. Und mit Gegensteuern ist nicht in erster Linie das Konzept gemeint, auf das Gauck in seiner Vorlesung verwies, eine „Law-and-Order-Politik“ als „emanzipatorische Politikvariante in Situationen, in denen das Recht zunehmend missachtet wird und die Sicherheit der Bürger bedroht ist“. Mehr Polizei und viele Kameras können nur Symptome lindern. Gaucks Prognose für einen günstigen Verlauf klingt denn auch immer noch wenig optimistisch: „Dann kann das multiethnische und multikulturelle Zusammenleben gelingen – in dem großen Raum einer doppelten Beheimatung, in dem Alt- und Neu-Bürger gleichermaßen ihr Zuhause behalten und finden können.“

Weiß Merkel es besser als Heinz Kühn?

Der oben erwähnte Heinz Kühn, langjähriger SPD-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und bis 1980 erster Ausländerbeauftragter der (damals sozialdemokratisch geführten) Bundesregierung, hatte 1980 und 1981 in zahlreichen Interviews erklärt, dass die Grenze unserer Aufnahmefähigkeit erreicht sei, und er sprach auch wiederholt das Thema Rückwanderung, damals von türkischen Familien, an.

Es ist heute müßig zu fragen, warum eine verantwortungsbewusste Ausländer- und Asylpolitik, wie Kühn sie skizziert hatte, schon in der Vergangenheit meist nicht betrieben wurde. Entscheidend ist, dass die „Fehler“ jetzt viel krasser sind, als ein Heinz Kühn sich das überhaupt vorstellen konnte. Oder würde Angela Merkel sonst – trotz der bereits bestehenden Situation und der nach ihrem Willen für jedermann, der Interesse an Schutz oder Asyl in der Bundesrepublik zeigt, offenen Bundesgrenze – zugesagt haben, im Rahmen eines EU-Umsiedlungsprogramms zusätzlich mehr als 10.000 Migranten aus Nordafrika und dem Nahen Osten zu übernehmen?

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 27. April 2018

INSTRUMENTALISIERTER
FACEBOOK-SKANDAL?

Facebook-Kritiker thematisieren den missbräuchlich Umgang mit den Daten der Nutzer, der die Betroffenen in der Vergangenheit allerdings nicht sonderlich interessiert hat. Ein Teil der Empörung gegen das Netzwerk bis hin zu Forderungen nach einer vorübergehenden Stilllegung hat damit zu tun, dass es einen Raum für Gegenöffentlichkeit bietet.

EIN BRIEF AN ANGELA MERKEL

Yascha Mounk, jener Harvard-Politologe, der daran glaubt, dass das „historisch einzigartige Experiment“, eine „monoethnische und monokulturelle Demokratie“ in eine „multiethnische“ zu verwandeln, glücken kann, hat sich an die Kanzlerin gewandt. Es geht um Antisemitismus – in Ungarn.

UNDEMOKRATISCH UND TEUER

Emmanuel Macron hat seine außenpolitischen Visionen mit großem Pathos am 17. April vor dem Europäischen Parlament in Straßburg vorgetragen. Der französische Präsident baut bei seinen Plänen auf die Bundeskanzlerin – und wird am Ende vermutlich nicht enttäuscht.

PFLEGEFALL PFLEGE

Schlechte Bezahlung, unzureichende Personalschlüssel, frustrierende Arbeitsbedingungen, Arbeit für drei, von der Politik völlig im Stich gelassen: Die professionelle Pflege in der Bundesrepublik Deutschland befindet sich trotz anderslautender Versprechen am Limit.

FRAGMENTIERUNG DER
PARTEIENLANDSCHAFT

In den Niederlanden und in Belgien gewinnen islamische Parteien immer mehr Mandate und machen nicht selten durch radikale Positionen auf sich aufmerksam. Wer sind die entscheidenden Köpfe? Wird sich die Entwicklung auch auf die Bundesrepublik Deutschland und die Republik Österreich erstrecken?

ALARMIERENDE BILDUNGSDEFIZITE

Eine neue Studie des Familienunternehmerverbandes deckt auf: Um die ökonomische Bildung an Deutschlands Schulen steht es schlecht. Den Schülern werde kaum Basiswissen vermittelt. Eine Erklärung, warum selbst Ludwig Erhard und das Modell der Sozialen Marktwirtschaft oft ahnungsloses Schulterzucken hervorrufen?

UNERWÜNSCHTE PERSON

Am 3. Mai läuft in deutschen Kinos der Film „HERRliche Zeiten“ an; eine Gesellschaftssatire, in Szene gesetzt von Regisseur Oskar Roehler. Bei dem Streifen handelt es sich um eine Verfilmung des 2011 erschienenen Romans „Subs“. Dessen Autor Thor Kunkel eckt nicht nur wegen seiner Sympathien für die AfD.

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