Nr. 8 vom 17.2.2017

Nr. 8 vom 18.2.2017

Standpunkt

Wenn Musiker „Nebenwirkungen“ fürchten

Folgt man der „Süddeutschen Zeitung“, war der 12. Februar mit der Bundespräsidentenwahl in Berlin ein „Festtag für die Demokratie“. Das wirkt übertrieben. Zunächst einmal, weil die Entscheidung für Steinmeier keine Entscheidung des Demos, des Volkes, war, sondern zwischen den Parteiführungen ausgehandelt und von der Bundesversammlung lediglich abgesegnet wurde. Der Demokratie – durch das ihr wesensgemäße Aufkommen neuer Strömungen nicht bedroht, sondern erfrischt – stünde heute (1949 mag es anders ausgesehen haben) eine Volkswahl des Staatsoberhaupts wie in Österreich und Frankreich gut zu Gesicht.

Der Bundespräsidentenkandidat der Freien Wähler, Alexander Hold, brachte anschließend eine verbreitete Stimmung zum Ausdruck: „Niemand kann mir erzählen, dass der Wille des Volkes durch diese Promis in der Bundesversammlung richtig wiedergegeben ist.“ Er wünsche sich, „dass wir unseren nächsten Bundespräsidenten selbst wählen dürfen“.

Auch ließ die Sitzungsleitung in der Bundesversammlung die gebotene Neutralität und Unparteilichkeit vermissen, da Bundestagspräsident Lammert über Abschottung und Weltoffenheit, Freihandel und Protektionismus, die „Werte des Westens“ und „rückwärtsgewandte Zeitgenossen“ räsonierte, die „unabhängig von anderen die eigenen Angelegenheiten selbstständig regeln“ wollten.

Damit redete Lammert genau jener „Entgrenzung“ das Wort, der nach den Erkenntnissen des Politikwissenschaftlers Peter Graf Kielmannsegg eine „Schlüsselbedeutung für die gegenwärtige Populismus-Konjunktur“ zukommt. Den „Aufstand gegen Entgrenzung“ erklärt Graf Kielmannsegg damit, „dass das Bedürfnis nach Grenzen anthropologisch tief verwurzelt ist“.

Dieses Bedürfnis vor der geschlossenen Gesellschaft der Bundesversammlung – nach allem, was in den letzten zwei Jahren geschehen ist – erneut mit Geringschätzung zu bedenken, ohne dass ihm jemand entgegnen konnte, war eine Fehlleistung Lammerts. Die AfD quittierte sie damit, nicht zu applaudieren.

Apropos: Just an jenem „Festtag für die Demokratie“ wurde ruchbar, dass die Musiker, die am Politischen Aschermittwoch der AfD in Osterhofen hätten aufspielen sollen, ihren Auftritt unter Druck absagten. Der musikalische Leiter der Kapelle, Ludwig Mayer, machte klar, dass es „nicht um die persönliche Einstellung der Musiker“ gehe, sondern um das „explosive“ gesellschaftliche und politische Umfeld. Die Rede war von „Nebenwirkungen“ eines solchen Auftritts für die Mitglieder der Kapelle, darunter Selbständige und Staatsbedienstete. Solange es solche Nebenwirkungen gibt, ist zu Festtagsstimmung wenig Anlass.

B. Schreiber

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 17. Februar 2017

UMDEUTUNG UND RELATIVIERUNG

Dresden 2017: Aktionskunst wie das vor der Frauenkirche errichtete „Monument“ verlangt immer auch eine Reaktion. Also ist es falsch, Gegner vorschnell der inhaltslosen Pöbelei zu bezichtigen. Kunst aber überschreitet dann die Grenzen der Pietät, wenn sie Trauernden die Erinnerung an die Opfer verbaut. Zumal die Ikonographie der drei aufgerichteten Busse auf Dschihadisten in Syrien zurückgeht.

VW ALS RISIKO FÜR DEN SPD-WAHLKAMPF?

„Gerechtigkeit“ soll das Hauptthema der SPD und ihres Kanzlerkandidaten Schulz im anstehenden Bundestagswahlkampf werden. Ist das glaubwürdig? Im Aufsichtsrat des VW-Konzerns gaben Sozialdemokraten immer wieder grünes Licht für absurd hohe Abfindungen.

ALLES ZURÜCK AUF START

Der Aufstieg Macrons, der Fall Fillons und der mögliche Sieg Marine Le Pens – Frankreichs außergewöhnlicher Präsidentschaftswahlkampf.

ZUWANDERUNG ALS ZUKUNFTSLÖSUNG?

Am 16. März findet der „Demografiegipfel“ der Bundesregierung statt. Der Bevölkerungswissenschaftler Herwig Birg ist aber der Meinung, dass die deutsche Demografiepolitik den Namen nicht verdient. Von demografischer Stabilität und Generationengerechtigkeit ist nichts zu spüren. Warum Einwanderung Deutschlands demografisches Problem nicht löst.

STREIT UM ABTREIBUNGEN

Weil er sich als Christ an das Nichttötungsgebot gebunden fühlt und daher keine Schwangerschaftsabbrüche vornehmen will, ist ein Gynäkologe ins Visier von Abtreibungspropagandisten geraten. Die jüngsten Vorgänge im niedersächsischen Dannenberg machen sprachlos.

VERLUST DES ÖFFENTLICHEN RAUMES

Fast jeder dritte Bundesbürger fühlt sich heute weniger sicher als noch vor zwei Jahren. Das geht aus einer neuen Umfrage hervor. Ein Großteil der Frauen meidet grundsätzlich öffentliche Plätze, Straßen oder Verkehrsmittel. Die Folgen sind drastisch.

GRUND ZUM FEIERN?

25 Jahre nach Unterzeichnung des Vertrages von Maastricht steckt die Europäische Union in einer tiefen Krise. Weder ist sie in der Lage, ihre Außengrenzen zu schützen, noch hat sie ein Konzept zur Lösung der Euro-Misere. Zudem fühlen sich immer mehr Bürger von der übermächtigen EU-Kommission entmündigt.

GUT REGIERT?

Seit bald vier Jahren wird Italien vom Partito Democratico geführt. Es begann mit dem Ministerpräsidenten Letta, auf diesen folgte Renzi und dann Gentiloni. Was ist das Ergebnis? Ein Beitrag von Dott. Angelo Fedeli.

MITTELALTER MODERN

Das „Palästinalied“ gehörte schon zu Lebzeiten zu den bekanntesten Werken Walthers von der Vogelweide. Es ist auch das einzige seiner Lieder, das mit Melodie überliefert wurde. Das jahrhundertealte Stück ist heute so lebendig wie nie, was vor allem daran liegt, dass verschiedene Mittelaltermusikgruppen es für sich entdeckt und neu vertont haben.

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