Nr. 28 vom 8.7.2016

Nr. 28 vom 8.7.2016

Standpunkt

Bezeichnende Verfassungsänderung

Nicht mehr lange bestimmt Artikel 53 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, dass die Mitglieder der Landesregierung beim Amtsantritt vor dem Landtag folgenden Amtseid leisten: ,,Ich schwöre, dass ich meine ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden, das mir übertragene Amt nach bestem Wissen und Können unparteiisch verwalten, Verfassung und Gesetz wahren und verteidigen, meine Pflichten gewissenhaft erfüllen und Gerechtigkeit gegen jedermann üben werde.“

Kein Grund mehr, auf das deutsche Volk
Bezug zu nehmen?

Der Text ist angelehnt an den Amtseid nach dem Grundgesetz („meine Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“). Das hinderte maßgebliche Kräfte in Nordrhein-Westfalen nicht daran, seit 2010 gegen die Formulierung zu agitieren.

Als im Juli 2013 der Landtag von Nordrhein-Westfalen eine Verfassungskommission einsetzte, die dem Landtag „Ergänzungs- und/oder Streichungsvorschläge für eine moderne, zukunftsfähige Verfassung“ unterbreiten sollte, wurde dieser Kommission auf Antrag der Fraktionen von SPD, CDU, „Grünen“, FDP und Piratenpartei auch eine „Überprüfung der Eidesformel, Art. 53 (‚…dem Wohle des deutschen Volkes…’)“ aufgegeben.

Im Abschlussbericht der Verfassungskommission vom 27. Juni 2016 schlug die Kommission nun mit Zweidrittelmehrheit vor, in einem „Gesetz zur Änderung der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen“ unter anderem zu bestimmen: „In Artikel 53 werden die Wörter ‚deutschen Volkes’ durch die Wörter ‚Landes Nordrhein-Westfalen’ ersetzt.“ Die Kommission argumentiert: „Der Hintergrund der Formulierung liegt vermutlich darin begründet, dass mit ihr ein Bekenntnis zum gesamten Deutschland bzw. der Wunsch nach einer Wiedervereinigung zum Ausdruck gebracht werden sollte. (…) Es besteht nunmehr kein Grund mehr dafür, bei der Ablegung des Eides eines Mitglieds der nordrhein-westfälischen Landesregierung das gesamte deutsche Volk in Bezug zu nehmen. Angemessen ist vielmehr eine Bezugnahme auf das Land Nordrhein-Westfalen.“

Die Rolle von CDU und FDP

In Wahrheit ist die Ersetzung des „deutschen Volkes“ im Amtseid der Regierungsmitglieder seit Jahren ein rot-grünes Anliegen. Man wollte dazu schon dem Wohle „aller Menschen“ oder auch dem „der nordrhein-westfälischen Bevölkerung“ dienen. Im Februar 2013 jedoch hatten CDU und FDP eine solche Änderung noch abgelehnt. In der Verfassungskommission besaßen diese beiden Parteien nun zusammen 7 (5 und 2) von 19 Stimmen, womit sich das Zustandekommen des Änderungsvorschlags hätte verhindern lassen.

Die geplante Änderung ist umso bedenklicher als die Verfassung Nordrhein-Westfalens am 18. Juni 1950 durch einen Volksentscheid bejaht worden ist. Es ist nun höchstwahrscheinlich, dass der Landtag dem Vorschlag der Verfassungskommission entsprechend das deutsche Volk aus dem Amtseid verbannen wird. Das ist bemerkenswert auch vor dem Hintergrund, dass die Abgeordneten zu Beginn der Wahlperiode selbst vor dem Landtag eine Verpflichtungserklärung abgegeben haben, „dass sie ihre ganze Kraft dem Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren, Schaden von ihm wenden“.

Die bevorstehende Änderung ist ein Schlag auch gegen das Grundgesetz. Entworfen wurde die nordrhein-westfälische Verfassung vom 28. Juni 1950 nämlich von einem prominenten Grundgesetzvater, dem Sozialdemokraten Dr. jur. Walter Menzel. Er war Stellvertreter Dr. Kurt Schumachers als Vorsitzender der SPD-Fraktion im Parlamentarischen Rat. Menzel hatte in seiner Eigenschaft als Landesinnenminister die seit 1947 laufenden nordrhein-westfälischen Verfassungsberatungen mit Blick auf die Entstehung des Grundgesetzes ausgesetzt und am 21. September 1949 einen neuen Verfassungsentwurf für Nordrhein-Westfalen vorgelegt, der sich am Grundgesetz orientierte.

Stoßrichtung gegen das Grundgesetz

Die Stoßrichtung gegen das Grundgesetz wird noch deutlicher, wenn Stefan Engstfeld, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der „Grünen“ im nordrhein-westfälischen Landtag, nun „die Einführung einer diskriminierungsfreien Eidesformel“ als „notwendige Novellierung“ und Markstein „für die Modernisierung unserer Verfassung“ bejubelt. Mit diesem „Argument“ würden er und Gleichgesinnte das deutsche Volk gerne auch aus dem Amtseid der Bundesregierung und des Bundespräsidenten streichen. Doch bringt das Grundgesetz an mehreren Stellen zum Ausdruck, dass die Bundesrepublik als Staat des deutschen Volkes verfasst ist. Daher schreibt der Freiburger Staatsrechtsprofessor Dietrich Murswiek in dem kürzlich erschienenen Sammelband „Der Staat in der Flüchtlingskrise – Zwischen gutem Willen und geltendem Recht“: „Es ist nicht irgendein beliebiges Volk, von dem in Deutschland die Staatsgewalt ausgeht, sondern es ist das deutsche Volk. Dieses ist nach dem Grundgesetz Subjekt der verfassunggebenden Gewalt; dieses ist Subjekt der demokratischen Legitimation staatlicher Herrschaft.“ Die Verpflichtung auf das Wohl des deutschen Volkes ist vor diesem Hintergrund keine Diskriminierung, sondern eine gebotene Differenzierung.

B. Schreiber

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 8. Juli 2016

SIEG DES RECHTSSTAATS

Nach dem Spruch des Verfassungsgerichtshofs ist FPÖ-Politiker Norbert Hofer als Kandidat für das Amt des Bundespräsidenten wieder im Rennen. Als Dritter Nationalratspräsident obliegen ihm bereits Aufgaben eines Staatsoberhauptes.

BREXIT: DIE DÜMMSTEN REAKTIONEN

Weniger Demokratie, mehr Macht für Brüssel, absurde Vorstellungen von einer Kongruenz zwischen EU und Europa und merkwürdiger Liebeswahn: Der Brexit hat allerhand Reaktionen ausgelöst.

FÜR BUNDESWEITE VOLKSABSTIMMUNGEN

Das Referendum in Großbritannien, bei dem sich 52 Prozent der Wähler für einen Austritt aus der Europäischen Union aussprachen, hat auch in der Bundesrepublik Deutschland den Befürwortern von Volksentscheiden auf Bundesebene Auftrieb gegeben.

FOLGE DER CRYSTAL-SEUCHE

Die Zahl der drogengeschädigten Neugeborenen hat drastisch zugenommen. Die Folgen sind verheerend. In Dresden nimmt der Kinder- und Jugendnotdienst mittlerweile alle vier Tage ein Baby einer abhängigen Mutter in Obhut. Einblicke und Hintergründe.

ZENTRALASIEN IM FOKUS

Die USA verstärken Bemühungen, die geostrategisch und wirtschaftlich wichtige Region um Kasaschstan unter Kontrolle zu bekommen. Zentralasien erfordere eine „viel größere Priorität in der Strategie Amerikas“, heißt es in der Studie einer Denkfabrik. Dr. Bernhard Tomaschitz beleuchtet die Motive und zeigt, welches Engagement Washington bereits jetzt an den Tag legt.

„DAS BOOT“ KEHRT ZURÜCK

Filmmythos „Das Boot“: 35 Jahre nach der deutschen Erstaufführung will der Bezahlsender Sky gemeinsam mit den Münchner Bavaria-Studios, in denen schon das Original entstand, eine Fortsetzung drehen, die im Jahr 2018 als achtteilige Serie in verschiedenen europäischen Ländern ausgestrahlt werden soll.

ALLE LIEBEN ISLAND

Die Fußballer von der Insel am Polarkreis haben Europa verzückt. Seit ihrem überraschend guten Abschneiden bei der EM findet man überall erstaunliche und kuriose Informationen über Island. Und auch so mancher Politiker könnte sich eine Scheibe von den „Wikingern“ abschneiden …

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