Nr. 27 vom 1.7.2016
Standpunkt
Antieuropäische Juncker-Doktrin
Großbritannien bleibt Großbritannien und EU-Funktionäre bleiben EU-Funktionäre. Jean-Claude Juncker hatte schon vor der Brexit-Abstimmung gedroht: „Zu den Konsequenzen eines Brexit habe ich gesagt, dass der Deserteur nicht mit offenen Armen empfangen wird.“ Was der Kommissionspräsident verkennt: Anders als ein „Deserteur“ verhält sich Großbritannien vollständig rechtmäßig.
Und wenn Juncker „sofort“ den „Scheidungsbrief“ verlangt, übergeht er, dass Großbritannien noch nicht in den verfassungsrechtlich vorgeschriebenen Formen beschlossen hat, aus der EU auszutreten – weswegen es auch noch nicht nach Artikel 50 des EU-Vertrags verpflichtet ist, dem Europäischen Rat eine entsprechende Absicht mitzuteilen. Das Referendum war rechtlich gesehen nämlich nur „beratend”, so dass die Einleitung des Austrittsverfahrens erst vom britischen Parlament beschlossen werden muss.
Das, wie auch die Frage, inwieweit dieser Schritt der Zustimmung des schottischen Parlaments bedarf, sind alles innerstaatliche Angelegenheiten, die die Herren Juncker und Schulz einfach zu respektieren haben. Selbst wenn aus dem Referendum ein „neverendum“ würde, was Premierminister Cameron vor der Abstimmung zu Recht ausgeschlossen hatte, was aber einige Kreise mit einer neuen Abstimmung anstreben, ist das nicht die Sache Brüssels.
In einer gemeinsamen Erklärung, die Jean-Claude Juncker in grauenhaftem Englisch vortrug, schreckten er und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (sowie Donald Tusk und Mark Rutte) nicht einmal vor der Ankündigung von Schmerzen zurück: „Wir erwarten nun von der Regierung des Vereinigten Königreichs, dass sie die Entscheidung des britischen Volkes so schnell wie möglich umsetzt, so schmerzhaft der Prozess auch sein mag.“
Der „Spiegel“ zeigt sich geistesverwandt. Die EU könne „kein Interesse daran haben, dass Großbritannien der Ausstieg so leicht gemacht wird“. Es dürfe nicht der Anschein entstehen, die britische Wirtschaft könne den Abschied „weitgehend unbeschadet überstehen“. Daher müssten „Europas Politiker“ nun „nach der Devise handeln, die Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble so formuliert hat: ‚Drinnen ist drinnen, und draußen ist draußen.’“ Die Briten müssten nun „auch die Konsequenzen tragen“. Warum eigentlich? Warum sollen die künftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU nicht in einem europäischen Sinne gestaltet werden, mit dem freien Zugang zum Binnenmarkt?
Versteht sich die EU wirklich als Sowjetunion light, als Zwangsgemeinschaft, die niemand unbeschädigt und ohne Schmerzen verlassen kann? Für die Vertreter eines angeblichen „Friedensprojekts“ ist dieses Auftreten gegenüber einem europäischen Staat nicht nur besonders beschämend. Es wird auch in zahlreichen Ländern politische Strömungen an Stärke gewinnen lassen, die sich einen Austritt aus der EU auf die Fahnen geschrieben haben.
KK
Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 1. Juli 2016
BREXIT: MERKELS WERK
Eigentlich hätte am 24. Juni Angela Merkel ihren Rücktritt verkünden müssen, nicht David Cameron, der mustergültig demokratisch gehandelt hat. Denn die bundesdeutsche Kanzlerin gilt mit ihrer Zuwanderungspolitik vielen Beobachtern als „Mutter des Brexit“.
„ANTÄNZER“ UND „ABDECKER“
Vor allem in Berlin steigt die Zahl der Taschendiebe rapide. Nicht selten sind die Täter Kinder, die von Eltern und Clanchefs aus dem Ausland angeleitet werden. „Enkeltrick“, „Abdecker“ und „Antänzer“ heißen die Stichworte. Wie kann man sich davor schützen?
MAMMONISMUS
Kalt, elitär, arrogant: So wirkt Hillary Clinton in den Augen vieler US-amerikanischer Wähler. Jetzt könnten ihr die undurchsichtigen Verbindungen ihrer Familie zu mächtigen Geldgebern zum Verhängnis werden.
ASOZIALE NETZWERKE
Die Kombination von „Smartphone“ und mobilem Internet bedeutet nicht nur eine Gefahr im Straßenverkehr, sondern fordert auch einen hohen gesellschaftlichen Preis, besonders für Kinder und Jugendliche. Beobachtungen an einem Gymnasium.
DER MACHTPROBE AUSGEWICHEN
Das Bundesverfassungsgericht hat – unter Verweis auf einige begrenzende Maßnahmen – das Anleihekaufprogramm OMT der Europäischen Zentralbank für vereinbar mit dem Grundgesetz erklärt. Inwiefern die Folgen letztlich jeden Bürger angehen und warum.
VIELGERÜHMTES ÖSTERREICH
270 Minuten lang hat Österreich bei der Europameisterschaft Fußball gespielt und dabei ein Tor geschossen. Zu wenig, um in die Fußstapfen des legendären „Wunderteams“ zu treten, das vor einigen Jahrzehnten in aller Welt für Aufsehen und Bewunderung sorgte.
„ICH BIN EIN FREIER MENSCH“
Götz George nahm früh das künstlerische Erbe seiner Eltern an. Seiner Mutter, der Schauspielerin Berta Drews, verdankte er viel in seiner beeindruckenden Karriere, doch sein Vater, der Jahrhundertschauspieler Heinrich George, blieb für ihn das Maß aller Dinge. Bewundernswert loyal bemühte sich Götz George bis zuletzt, das Andenken des großen Vaters vor Verleumdungen zu schützen.