Nr. 31 vom 28.7.2017

Nr. 31 vom 28.7.2017

Standpunkt

Die auf den Hund gekommene
Weltbürgeridee

Letzte Woche begeisterte sich der Münchner Merkur („Aus Honolulu in den Alten Wirt“) für eine junge Frau aus Oberbayern, die auf Hawaii lebt und regelmäßig in die Heimat fliegt, wo sie dann unter anderem einen Biergarten besucht und eine Maß Bier genießt. Knapp 25.000 Kilometer Flug, hin und zurück zusammengerechnet, sind natürlich kein Argument gegen diese gefeierte Lebensgestaltung, sondern machen sie erst richtig interessant. Bravo, bravo! Dass an die 3.000 Liter Kerosin pro Person verbrannt werden müssen (was zum Ausstoß von über 9.000 Kilogramm Kohlendioxid führt), ehe der Liter Bier getrunken werden kann – sei’s drum. Denn wir leben im Zeitalter des, wie Peter Sloterdijk formulierte, „Tandems aus aktivistischem Konsumismus oder konsumistischem Aktivismus“, das zu einem sich täglich intensivierenden „Weltverbrauch“ führe. Dass jedes Wort über Umweltschutz und gegen eine dritte, vierte oder fünfte Startbahn aus dem Munde der Anhänger dieser Lebensform nur Geschwätz ist, sollte klar sein.

Voraussetzungslos

Die Wahl und ebenso die Akzeptanz des „Lebensstils“, für den die Hawaii-Bayerin nur ein extremes Beispiel ist, bedarf natürlich einer Grundlage in den Köpfen. Als solche lässt sich eine aus dem Ruder gelaufene Form, ja eine Karikatur des „Weltbürgertums“ ausmachen. War damit früher eine Art von Bildung und Gewandtheit gemeint, die es einigen Ausnahmepersönlichkeiten vom Schlage eines – zum Beispiel – Harry Graf Kessler erlaubte, sich auch auf fremdem Terrain „wie zuhause“ zu bewegen, ist der „Kosmopolit“ von heute überzeugt, voraussetzungslos überall einfallen und dort mit dem gleichen Recht unterwegs sein zu können wie ein Einheimischer. Die Arzthelferin, die bei jedem Termin und von Mal zu Mal verbrannter von einer anderen Südamerikareise erzählt, ist selbstverständlich empört über den Vorschlag, vor dem nächsten Einfall doch erst einmal Spanisch zu lernen. Überall ahnungslos herumzustapfen – das erscheint als der Gipfel der, durch kein Verantwortungsgefühl gebundenen, Freiheit.

Illusionen wie bei der Landflucht

Eine andere Seite der auf den Hund gekommenen Weltbürgeridee ist der Migrantismus: Weltweit sind Medien voll von vermeintlichen Heldengeschichten von Leuten, die ihre Heimat verlassen und dabei allerlei Risiken auf sich nehmen. Besonderen Respekt scheint zu verdienen, wer mitten im Asylverfahren wieder heimfährt, um es sich dann wieder anders zu überlegen und ein zweites Mal per Schlepperboot übers Mittelmeer zu kommen. Oder wer, wie die zwei Ghanaer, die gerade in der New York Times („Nach einem Alptraum im Schnee Zuflucht in Kanada“) fast eine Seite füllten, frostbedingt alle bzw. fast alle Finger verliert, weil er meint, in Kanada bessere Chancen auf Asyl zu haben als in den USA – und deshalb im tiefsten Winter versucht, illegal und unbemerkt die US-kanadische Grenze zu überschreiten. Wobei in dem New-York-Times-Beitrag immerhin eine Bemerkung auftaucht, die zu denken geben könnte: „Andere sagen, dass die Geschichte von Mr. Iyal und Mr. Mohammed eher ein Beispiel für Beschränktheit gemischt mit Opportunismus sei, und betonen, dass keiner der beiden ihr Land wegen Verfolgung verließ.“

Das fehlende Stoppsignal

Mangelnde Kenntnisse gemischt mit Opportunismus sind gewiss keine Voraussetzung, um von einem sicheren Staat zum nächsten zu ziehen, aber begünstigen doch viele solche Entscheidungen – einschließlich der nicht seltenen, das Haus, die Werkstatt oder das Taxi der Familie in die Auswanderung eines als besonders durchsetzungsstark geltenden jungen, in der Regel männlichen Familienmitglieds zu investieren. Denn dahinter stecken ähnliche „Wo ich nicht bin, da ist das Glück“-Illusionen, wie sie vielfach für die Landflucht ausschlaggebend sind, die dann in Slums wie den brasilianischen Favelas endet.

Weil bei der Asylmigration auch noch eine riesige Lobby, mit den das Paradies verheißenden Schlepperbanden in der vordersten Linie, tätig ist, wäre es umso wichtiger, in den Heimatländern die Botschaft zu verbreiten, die Orbán 2015 aussprach: Kommt nicht, das ist besser für euch und eure Kinder! Die Hauptzielländer müssten dies ergänzen mit einem im Ergebnis Leben rettenden „No Way“ nach australischem Vorbild. Die Bundesregierung hat dazu die Mittel, rechtlich und tatsächlich, wie Bundespolizeipräsident Dieter Romann im September 2015 – bis heute vergeblich – darlegte. Rasch würde die Nachfrage nach den gefährlichen Bootsüberfahrten sinken, die Preise würden fallen und das Geschäft der Schlepper würde einen entscheidenden Schlag erleiden.

B. Schreiber

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 28. Juli 2017

EIN SOZIALSTAAT
MIT OFFENEN GRENZEN …

… für alle ist auf Dauer nicht finanzierbar. Trotzdem bringt es zahlreiche unter „grüner“ Flagge segelnde Funktionäre zur Verzweiflung, wenn ihr Parteifreund Boris Palmer, Tübingens Oberbürgermeister, mit Blick auf die Asylpolitik sagt: „Wir können nicht grenzenlos Hilfe leisten.“ Tatsächlich könnte man freilich, auf andere Weise, viel mehr und effektiver helfen.

EIN GLAUBWÜRDIGES ANGEBOT
AN DEN WÄHLER?

Horst Seehofer vermag es nicht, die Kanzlerin dazu zu bewegen, bei der Aufnahme von Asylmigranten eine jährliche Obergrenze festzulegen. Doch statt seine frühere Ankündigung, die CSU werde nach den Wahlen nur in eine Koalition eintreten, wenn die Obergrenze in den Koalitionsvertrag aufgenommen werde, zu bekräftigen, stimmt Seehofer nun eine Lobeshymne auf Merkel an.

IST DAS VERMUMMUNGSVERBOT SCHULD?

Beibehalten, lockern oder ganz abschaffen? Nach den Ausschreitungen beim G20-Gipfel in Hamburg ist eine Diskussion darüber entstanden, wie es mit dem derzeit gültigen Vermummungsverbot weitergehen soll. Wer Rechtsbrechern in die Karten spielen möchte.

UNANGEPASSTER PROVOKATEUR

Wegen seiner Arbeit für die AfD steht der Schriftsteller und Berater für Öffentlichkeitsarbeit Thor Kunkel in der Kritik. Tonangebende Blätter schießen sich auf ihn ein. Wer ist der Mann, der die aktuellen AfD-Wahlkampagne mitgestaltet hat?

ANGST VOR DEM IS 2.0

Beobachter und Experten sind sich einig: Die Befreiung der irakischen Millionenstadt Mossul aus den Händen der Terrormiliz ist längst noch nicht der Endpunkt im Kampf gegen den „Islamischen Staat“. Wo der IS noch immer stark ist und wo er sich lediglich regeneriert.

GEKÜRZTE HILFSGELDER FÜR NIGERIA

Die Vereinten Nationen haben angekündigt, die Unterstützung für vom Hunger betroffene Menschen im Nordosten Nigerias einzustellen. Sparen die UN dabei erneut am falschen Ende und tragen so zur wieder zunehmenden Migration mit immer weiteren Problemen bei?

DIE ERFINDUNG DER KUNST

Die ältesten Kunstwerke der Menschheit stammen von der Schwäbischen Alb, Blaubeuren gilt als „Hautstadt der Urgeschichte“. Die Steinzeithöhlen bei Ulm wurden von der UNESCO nun in den Rang eines Weltkulturerbes erhoben.

JAHRMARKT DER EITELKEIT …

… mit Hintergedanken. Das „Frankfurter Allgemeine Quarterly“ macht Politik, ohne ein politisches Magazin zu sein.

FRIEDE DURCH RECHT

Wie Professor Hans Kelsen, der wesentliche Mitgestalter der noch heute geltenden österreichischen Verfassung aus dem Jahr 1920, in der Zwischenkriegszeit die Demokratie und den Frieden retten wollte.

Nach oben