Nr. 28 vom 7.7.2017

Nr. 28 vom 7.7.2017

Standpunkt

Wie betätigt man die Globalisierungsbremse?

„Traut euch!“, hieß es auf dem „Spiegel“-Titelbild zum G20-Gipfel in Hamburg. Beklagt wurde die „Globalisierung außer Kontrolle“ – und die Forderung lautete: „Radikal denken, entschlossen handeln – nur so ist die Welt noch zu retten“. Klang toll, wie ein revolutionäres Manifest, erwies sich aber spätestens auf Seite 23 als Maulheldentum. Denn dort warf der „Spiegel“ wieder einmal mit Amazon-Gutscheinen um sich: „Lesen Sie 1 Jahr Spiegel digital, und gehen Sie auf Einkaufstour.“ Amazon steht weltweit nicht nur für Mitarbeiter-Ausbeutung, sondern ist auch einer der Hauptverantwortlichen für das Sterben unter anderem von Buch- und Spielwarenhändlern. Und die – spätestens durch besagtes Titelbild antiglobalistisch gestimmten – Leser sollen nun mithelfen, dass sich der mächtige Riese, der durch den Erwerb der Supermarktkette „Whole Foods Market“ für 13,4 Milliarden Dollar noch im Laufe dieses Jahres neue Marktanteile gewinnt, weiter ausdehnt?

Konferenz-Diplomatie

Parolen allein nützen also nichts, notwendig ist Achtsamkeit. Erstens beim Thema: Was tue ich als Konsument (und Multiplikator), welche Entwicklung fördere ich damit? Zweitens auch beim Protest: Dass sich die Staats- und Regierungschefs der Gruppe der Zwanzig, der die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer angehören, einmal im Jahr treffen, ist als solches keineswegs schlecht. Das Konzept der Konferenz-Diplomatie entwickelte der britische Politiker und Idealist Lord Maurice Hankey 1920 ja gerade, weil, wo man miteinander spricht, nicht geschossen wird. Auf diese Weise, so seine Überzeugung, hätte selbst ein Großkonflikt wie der Erste Weltkrieg vermieden werden können.

Zudem sind die G20 ausgesprochen heterogen, wofür die Namen Merkel, Trump, Putin, aber auch Chinas Präsident Xi Jinping, die britische Premierministerin Theresa May, der indische Premierminister Narendra Modi oder Südafrikas Präsident Jacob Zuma stehen. Entscheidend ist, wer von den Beteiligten wenigstens ansatzweise Lösungen anzubieten hat. Und da gilt es zum Beispiel trotz aller Vorbehalte zu erkennen, dass Trumps freihandelskritischer Ansatz, weitergedacht, das Potential für eine gerechtere Wirtschaftsordnung in sich birgt, während das von Merkel betriebene und durch Trump gescheiterte Freihandelsabkommen TTIP nicht zuletzt Afrika weiter zurückgeworfen hätte. Der Entwicklungsökonom Prof. Robert Kappel äußerte schon nach Trumps Wahl zum US-Präsidenten im Interview mit der „Deutschen Welle“ die Einschätzung: „Wenn das TTIP-Abkommen mit der Europäischen Union nicht zustande kommt, hat das positive Auswirkungen auf Afrika.“ Der Kontinent wäre seines Erachtens noch mehr an den Rand gedrängt worden.

Das Mantra der Kanzlerin

Im Übrigen kann fast jeder Afrikaner ein Lied davon singen, wie der Freihandel in seiner Heimat die einheimische Herstellung von Schuhen, Kleidern und selbst Nahrungsmitteln geschädigt hat: Das globale Kapital kam und der „kleine Entrepreneur“, Kleinindustrie und Landwirtschaft hatten das Nachsehen. Produkte aus den USA, Europa und China verdrängten heimische.

Trotzdem behauptet Merkel: „Wer glaubt, die Probleme dieser Welt mit Isolationismus und Protektionismus lösen zu können, der unterliegt einem gewaltigen Irrtum.“ Globalisierungskritiker brauchen heute vor allem geistige Unabhängigkeit, um zu erkennen, wer ihrem Anliegen am meisten schadet.

B. Schreiber

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 7. Juli 2017

MERKEL MACHT’S MÖGLICH

Verfassungsbruch aus Spießigkeitsgründen? Die Kanzlerin hat in der vergangenen Woche eine Gelegenheit genutzt, um im Bundestag den Weg freizumachen für die „Ehe für alle“, was von den entsprechenden Lobbyisten anschließend mit Regenbogenfolklore gefeiert wurde. Aber wie verträgt sich die beschlossene Änderung des BGB mit dem Grundgesetz?

„RUSSIAGATE“: ALLES LÜGE?

Unter dem Schlagwort „Russiagate“ firmieren in der US-Presse diverse Gerüchte, nach denen russische Hacker oder gar russische Geheimdienste Einfluss auf die letzten Präsidentschaftswahlen genommen hätten. Ist das alles frei erfunden? Ein CNN-Produzent hat sich verplappert.

VERRAT AM WÄHLER

Große Debattenredner mit klarer Orientierung am Wohl des deutschen Volkes – wie einst zum Beispiel Dr. Thomas Dehler – fehlen derzeit im Bundestag. Ansichten zur Geschichte und Gegenwart etablierter Parteien, die ihre geistigen Fundamente inzwischen geschleift haben.

AUF DER KIPPE …

„Wie sicher ist meine Privatsphäre“? Die Vorratsdatenspeicherung steht im Konflikt mit verfassungs- und EU-rechtlichen Vorgaben. Eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Nordrhein-Westfalen beunruhigt nun die Bundesregierung.

DÄMPFER FÜR GOOGLE

Der US-Konzern ist von der Europäischen Kommission wegen Missbrauchs seiner marktbeherrschenden Stellung abgestraft worden und muss nun 2,42 Milliarden Euro blechen. Zudem hat Google binnen 90 Tagen sein Verhalten in festgelegten Punkten zu ändern. Dazu der Kommentar „Quer gedacht“.

LYRIKER DES KLEINEN MANNES

Je mehr stromlinienförmige Gestalten die deutsche Unterhaltungslandschaft bevölkern, desto schmerzlicher vermisst man jene, die sich nicht haben glattschleifen lassen. So wie Gunter Gabriel. Ein Nachruf auf den Sänger, der sich in keine Schublade pressen ließ, sich immer treu blieb und stets authentisch war.

1:0 FÜR DEUTSCHLAND

Die Auswahl des Deutschen Fußball-Bundes erkämpfte sich in St. Petersburg erstmals den Sieg im Konföderationen-Pokal, obwohl zahlreiche Stammkräfte fehlten. Kurz vorher waren die Junioren in Krakau Europameister geworden.

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