Nr. 23 vom 2.6.2017

Nr. 23 vom 2.6.2017

Standpunkt

Terror in der Stadt

Die Bundesregierung hat Rückführungen abgelehnter Asylbewerber nach Afghanistan ausgesetzt. Die jetzige Wende wird mit dem Anschlag in Kabul begründet, der die deutsche Botschaft schwer in Mitleidenschaft zog. Aber Afghanistan ist groß – 34 Provinzen mit zusammen über 650.000 Quadratkilometern – und das Leben dort ist keineswegs mit dem in deutschen Medien so oft gezeigten Loch am Ort der Detonation gleichzusetzen.

Der Rückführungsstopp nach dem Anschlag im streng gesicherten Diplomatenviertel in Kabul, der am 31. Mai 2017 rund 90 Tote forderte, ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass es sich bei den Abschiebungen schon bisher um verschwindend geringe Zahlen – 67 abgelehnte Asylbewerber waren es 2016, etwas mehr als 100 bisher in diesem Jahr – handelte.

Die Bundesregierung hatte bislang darauf verwiesen, dass es in Afghanistan, insbesondere im Norden und in Kabul, viele sichere Bereiche gibt. Die Hauptstadt gehört zu den am schnellsten wachsenden Städten der Welt; in ihr leben laut CIA-Factbook über viereinhalb der mehr als 33 Millionen Einwohner Afghanistans. Noch vor wenigen Monaten stellte Kanzleramtsminister Altmaier gegenüber dem Deutschlandfunk fest: „Es gibt aber Millionen von Menschen in Afghanistan, die ganz normal zur Schule gehen, die ganz normal zur Arbeit gehen, die ganz normal mit ihren Familien leben, sicherlich nicht so gut wie in Deutschland, aber es gibt viele Regionen und Städte, wo man sicher leben kann.“ Auf den Hinweis, dass in Afghanistan Terroranschläge stattfinden, erwiderte Altmaier damals: „Aber es hat im letzten Jahr mehrere hundert Tote bei Terroranschlägen in Frankreich gegeben und trotzdem würde kein Mensch auf die Idee kommen und sagen, man kann nirgendwo nach Frankreich zurückführen.“

Auch nach dem letzten vorliegenden Lagebild des Auswärtigen Amtes über die Situation in Afghanistan sind Rückführungen möglich, was dadurch unterstrichen wird, dass sich 2016 mehr als 3.300 Afghanen entschieden haben, mit deutscher finanzieller Unterstützung freiwillig in ihr Heimatland zurückzukehren.

Das alles soll nun nicht mehr zählen. Bis zur Vorlage einer neuen Lagebeurteilung des Auswärtigen Amtes und bis zur Wiederherstellung der vollen Funktionsfähigkeit der deutschen Botschaft in Kabul soll es daher bei der Förderung einer freiwilligen Rückkehr sowie der Abschiebung von Straftätern und Gefährdern sowie von Ausreisepflichtigen, die hartnäckig ihre Mitwirkung an der Identitätsfeststellung verweigern, auf der Basis einer Einzelfallprüfung sein Bewenden haben.

Wie überzeugend ist das in einer Zeit, in der sich die Bürger der Bundesrepublik Deutschland, Frankreichs, Belgiens und Großbritanniens an Terror und Attentate gewöhnen sollen? Schon vor dem Anschlag auf der London Bridge vertrat Londons Bürgermeister Sadiq Khan die Ansicht, die Gefahr von Terroranschlägen sei „Teil des Lebens in einer Großstadt“. Die Größe der Stadt allein macht das Risiko aber nicht aus – es kommt auch darauf an, wer aller sich dort aufhält.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 2. Juni 2017

IHR KINDERLEIN, KOMMET

Auf dem Kirchentag hat Margot Käßmann, Bundesdeutschlands wohl bekannteste Theologin, im Grunde alle, die eine andere Familienpolitik bevorzugen und in mehr Einwanderung nicht die Antwort auf die demografische Krise sehen, abzustempeln versucht. Eine Faktenüberprüfung.

BILANZ EINER REISE

Die erste außenpolitische Reise von US-Präsident Donald Trump und seiner Frau Melania dauerte acht Tage und hinterließ am Ende gemischte Gefühle; allerdings nicht unbedingt aus den Gründen, aus denen Bundeskanzlerin Angela Merkel von ihm die Nase voll hat.

PROBLEME LÖSEN, NICHT VERURSACHEN!

Wie viele Rettungspakete für wirtschaftlich marode Euro-Staaten müssen noch geschnürt werden, bis man zu der Erkenntnis kommt, dass die Europäische Währungsunion als Verbund von Volkswirtschaften mit höchst unterschiedlicher Leistungskraft auf Dauer nicht funktionieren kann?

WAHLENTSCHEIDEND?

Schon seit Monaten beschwören auflagenstarke Medien und etablierte Politiker eine russische Gefahr für die Bundestagswahl. Doch wie groß ist der Einfluss, den der Kreml auf innere Angelegenheiten der Bundesrepublik ausüben kann, tatsächlich?

MILLIARDENVERLUST?

Die Forderungen der Deutschen Bundesbank im sogenannten Target-Zahlungssystem der Euro-Notenbanken erreichten Ende April ein neues Allzeithoch von 834,44 Milliarden Euro. Das sind 13,69 Milliarden mehr als noch einen Monat zuvor. Ist das Geld perdu?

GEGENWIND FÜR STEGNER

Lange Zeit dominierte SPD-Vizevorsitzender Ralf Stegner seinen schleswig-holsteinischen Landesverband. Dies scheint sich derzeit zu ändern. Rücktrittsforderungen werden laut.

WAS NICHT SEIN DARF

Bei zwei Feierlichkeiten in Tübingen ist es am 12. und 13. Mai zu sexuellen Übergriffen und bedrohlichen Situationen gekommen. Die Partys fanden im Szenetreff Epplehaus statt, einem von Autonomen und Antifa-Kreisen verwalteten und mit Steuergeldern bezuschussten Jugendzentrum.

AM ANFANG WAR EIN WÖRTERBUCH

Mehr als tausend Jahre alt sind die Seiten, die 2012 im Benediktinerstift Admont in der Steiermark wiederentdeckt wurden. Jetzt wurde der Fund im Rahmen eines Symposiums mit Festakt präsentiert: Es handelt sich um ein wertvolles Fragment des „Abrogans“, des ältesten deutschen Buches überhaupt.

Nach oben