Nr. 43 vom 21.10.2016

Nr. 43 vom 21.10.2016

Standpunkt

Sachsendreschen – zur Ablenkung

Die Dauerkritik des bundesdeutschen Establishments an Sachsen trieft vor Selbstgerechtigkeit. Die neuen Attacken drehen sich um den Fall von Dschaber al-Bakr, dem verhinderten IS-Terroristen, der sich am 12. Oktober in der JVA Leipzig erhängte. Dieses Ereignis soll nun offenbar davon ablenken, dass es die Bundesregierung ist, die Personen wie ihm im Zuge der massenhaften, aber im Gesetz nicht vorgesehenen Einreise über sichere Drittstaaten Tür und Tor öffnete. Weswegen al-Bakr im Februar 2015 in die Bundesrepublik einreisen konnte und sogar, nachdem er im September 2015 mutmaßlich nach Rakka im Osten Syriens gefahren war, ungehindert wieder nach Deutschland kommen konnte.

Der sächsische Justizminister Sebastian Gemkow stellte sich bei Anne Will in überzeugender Art und Weise vor die eigenen Bürger und Beamten. Er machte deutlich, dass auch der Strafvollzug rechtsstaatlichen Prinzipien folgen muss. Als einzige Alternative, sagte Gemkow, wäre ein „besonders gesicherter Haftraum“ geblieben, mit Gummiwänden, einer Matratze und einer dürftigen Schambekleidung für den Gefangenen. Mit dieser Unterbringung hätte man allerdings „den Rahmen des rechtlich Zulässigen überschritten“, so Gemkow, und außerdem hätte eine solche Behandlung al-Bakrs erst recht einen Proteststurm hervorgerufen. Tatsache ist, dass sich der Suizid eines Gefangenen auch in einer Justizvollzugsanstalt in Mannheim oder Neuss ereignen kann.

In vielen überregionalen Medien wird schon seit längerem ein einseitiges Bild von Sachsen gezeichnet. Der Ärger scheint groß darüber zu sein, dass sich im Südosten der Republik ein Bundesland mit konservativer Grundstimmung erhalten hat, in dem man stolz auf die eigenen Traditionen ist und in dem auch die Demonstrationskultur des Jahres 1989 lebendig geblieben ist. Nur demonstriert man in Sachsen aus der Perspektive des politischen Establishments halt gegen die „falschen“ Missstände wie beispielsweise die im Widerspruch zum Grundgesetz und zum Asylgesetz stehende Asylpolitik oder die EU-Sanktionen gegen Russland. Dies scheint nun einer der Gründe zu sein, die Kampagne gegen die renitenten Sachsen nochmals zu verschärfen.

Schon immer hat man einzelne Orte zu Sitzen der Torheit und Einfalt zu ernennen versucht – das ging nicht erst mit den Abderiten aus der thrakischen Stadt Abdera los und hörte mit Schöppenstedt im Braunschweigischen nicht auf. Nur gelegentlich war jemand so liebenswürdig, die schlechten Eigenschaften in einem erdichteten Städtchen („Schilda“, „Krähwinkel“) anzusiedeln. Neu ist freilich die Größe, die das moderne Schilda hat; immerhin ist Sachsen mit mehr als vier Millionen Einwohnern das nach der Bevölkerung sechstgrößte Bundesland. Die Dimension des Verdammungsobjekts spricht auch Bände über das Maß der Aggressionen.

Dazu, auf dieses Bundesland und seine Bewohner einzuprügeln, scheint in Kreisen der Meinungsmultiplikatoren zumindest die politische Lizenz zu bestehen. Rücksicht auf sächsische Abonnenten, Leser, Hörer, wie man sie eigentlich erwarten würde, tritt demgegenüber zurück. Dem Publikum zuliebe wird das Sachsendreschen offenbar nicht veranstaltet. Leute mit Ahnung und Niveau fühlen sich von dem so auffällig gut orchestrierten Schimpfkonzert nämlich längst angewidert.

Dikastes

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 21. Oktober 2016

„DIALOG SINNLOS“

Immer öfter hört man in letzter Zeit den Begriff „postfaktisch“. Damit sind solche Auffassungen gemeint, die Tatsachen (vermeintlich) nicht anerkennen und vor allem „das Gefühl“ sprechen lassen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Es drängt sich vielmehr der Eindruck auf, dass das neue Modewort „postfaktisch“ dazu dient, abweichende Meinungen, z. B. „besorgter Bürger“, als irrational und damit diskursunfähig abzuschmettern.

ELEKTRO-MEILENSTIEFEL?

Was genau steckt hinter dem Beschluss des Bundesrates für ein Verbot der Neuzulassung von Verbrennerautos ab 2030? Welche Chancen und welche Risiken ergeben sich aus einer solchen Frist?

HILLARY CLINTON IM ZWIELICHT

Während US-Präsidentschaftskandidat Donald Trump von Enthüllungen über frühere zotige Sprüche geplagt wird, gibt es ein neues Video und bislang unbekannte, von WikiLeaks präsentierte Dokumente, die seine Konkurrentin Clinton in Bedrängnis bringen.

KRIEG IM JEMEN

Saudi-Arabiens Krieg im Jemen wird immer brutaler und beeinträchtigt auch die Friedenshoffnungen für Syrien. Am 8. Oktober ereignete sich mit dem saudischen Angriff auf eine Trauerhalle in der Hauptstadt Sanaa ein Kriegsverbrechen, das einmal mehr zeigt, wie sich die geopolitisch und ökonomisch motivierte Treue des Westens gegenüber Saudi-Arabien rächt.

STUDENTEN UNTER DRUCK

Bundesdeutsche Studenten sind im Stress. Dazu gibt es jetzt Untersuchungen und Umfragen. Immer deutlicher zeigt sich, wie sich die tiefgreifenden Bologna-Reformen negativ auf die Gesundheit der Hochschüler auswirken.

KAMPF UM CETA GEHT WEITER

Die Karlsruher Richter blieben bei ihrer Tradition, bei die EU betreffenden Entscheidungen der Regierung nicht vollends in die Parade zu fahren, sie aber mit einer Reihe von Auflagen einzuhegen. Was das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Freihandelsabkommen CETA bedeutet und wie es jetzt weitergeht.

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