Nr. 4 vom 20.1.2017

Nr. 4 vom 20.1.2017

Standpunkt

Vorzeichenwechsel

Der 20. Januar, die Amtseinführung von Donald Trump, markiert für Angela Merkel einen Vorzeichenwechsel. Kaum etwas ist mehr so, wie es war. Trump verkörpert, dass es Alternativen gibt, und ist damit das Gegenmodell zu einem der beliebtesten Begriffe aus Merkels politischem Waffenarsenal: „alternativlos“.

Wofür Merkel bisher wenigstens von Obama ein Schulterklopfen bekam (während sie im eigenen Land immer unbeliebter wurde), wird vom neuen US-Präsidenten in aller Nüchternheit nach den Folgen für Deutschland beurteilt. Auf das Aufsehen erregende Interview mit Trump, das „Bild“ und „Times“ am 16. Januar veröffentlichten, reagierte Merkel auf ihre Weise: „Ich denke, wir Europäer haben unser Schicksal selber in der Hand.“

„Ein äußerst katastrophaler Fehler“

Auf die Frage, ob er bei der nächsten Wahl, wenn er dürfte, für Merkel stimmen würde, antwortete Trump: „Wie schon gesagt, ich hatte großen Respekt für sie. […] Aber ich finde, sie hat einen äußerst katastrophalen Fehler gemacht, und zwar, all diese Illegalen ins Land zu lassen. Wissen Sie, all diese Leute reinzulassen, wo auch immer sie herkommen. Und niemand weiß, wo sie überhaupt herkommen. Ihr werdet es herausfinden, davon habt ihr einen deutlichen Eindruck bekommen. Ich bin also der Meinung, sie hat einen katastrophalen Fehler gemacht, einen sehr schlimmen Fehler.“

Auf Nachfrage wiederholte Trump zu Angela Merkels Politik der offenen Grenzen: „Ich denke, es war ein großer Fehler für Deutschland. […] Ich werde sie treffen. Ich respektiere sie und ich mag sie. Aber ich finde, es war ein Fehler. Menschen machen Fehler, aber ich finde, es war ein sehr großer Fehler.“

„Russland leidet unter den Sanktionen“

Unverblümt stellte Trump sich auch gegen den Krieg, den Merkel 2003 unterstützt hatte: „Der Irak hätte gar nicht erst angegriffen werden dürfen. Das war eine der schlechtesten Entscheidungen, möglicherweise die schlechteste Entscheidung, die in der Geschichte unseres Landes je getroffen wurde. Wir haben da etwas entfesselt – das war, wie Steine in ein Bienennest zu schmeißen. Und nun ist es einer der größten Schlamassel aller Zeiten.“

Auf die Frage „Unterstützen Sie die Sanktionen der Europäer gegen Russland?“ sagte Trump: „Nun, ich finde, die Menschen müssen miteinander auskommen und das tun, was sie tun müssen, um fair zu sein. […] Zum einen finde ich, dass es deutlich weniger Nuklearwaffen geben sollte und sie erheblich reduziert werden müssten, das gehört dazu. Aber da sind diese Sanktionen, und Russland leidet im Moment schwer darunter.“

„Menschen, Länder wollen ihre eigene Identität“

Die Frage „Gehen Sie davon aus, dass noch mehr Länder die EU verlassen werden?“ beantwortete Trump so: „Menschen, Länder wollen ihre eigene Identität, Großbritannien wollte seine eigene Identität. Aber, das glaube ich wirklich, wenn sie nicht gezwungen worden wären, all diese Flüchtlinge aufzunehmen – so viele, mit all den Problemen, die das mit sich bringt –, dann wäre es nicht zum Brexit gekommen. Es wäre gerade noch einmal gut gegangen, aber das war der Tropfen, der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Leute wollen ihre eigene Identität. Wenn Sie mich fragen: Es werden weitere Länder austreten.“

Ob aus innenpolitischen Rücksichten oder nicht: Trump wollte nicht sagen, wie er mit dem Iran-Atom-Abkommen verfahren wird, über das er „nicht glücklich“ sei, er kritisierte, dass Obama gegen die Israel-Resolution im UN-Sicherheitsrat kurz vor Weihnachten kein Veto eingelegt hatte, und bezeichnete in Sachen Handelspolitik China als „Riesenproblem“. All das sind fraglos auch wichtige Themen. Aber jetzt geht es darum, dass das deutsche Volk – um dessen Wohl und Wehe sich deutsche Politik nach dem Grundgesetz zu kümmern hat – wieder eine positive Perspektive bekommt. Und dazu scheint Trump beizutragen. Das meiste andere lässt sich auch noch später besprechen.

Jürgen Schwaiger

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 20. Januar 2017

MINISTERIUM FÜR WAHRHEIT?

Die Bundesregierung will ein „Zentrum gegen Desinformation“ unter dem Dach des Bundesinnenministeriums. Mit Gesetzesverschärfungen soll gegen „Falschmeldungen in sozialen Medien“ vorgegangen werden. Was aber ist mit sogenannten „Qualitätsmedien“, die alles andere als fehlerfrei arbeiten? Vor allem: In einem demokratischen Staatswesen muss sich „die Willensbildung des Volkes frei, offen und unreglementiert vollziehen“, wie Karlsruhe wiederholt entschied.

„NEUGRÜNDUNG EUROPAS“

Der renommierte Ökonom Hans-Werner Sinn weiß, welche Probleme für die EU eine Zerreißprobe bedeuten. Seine Analyse ergänzt der frühere Präsident des Münchner ifo-Instituts mit einem 15-Punkte-Plan.

NACH STEINBACHS CDU-AUSTRITT

Erika Steinbach verlässt die CDU. Rechtsanwalt Maximilian Krah, der diesen Schritt schon vor Monaten vollzog, meint: „Nach dem Austritt von Erika Steinbach muss doch auch dem letzten aufrechten CDU-Mitglied klar sein, dass es in dieser Partei unmöglich ist, bürgerliche Politik zu machen. Sie ist ein inhalts- und prinzipienloser Funktionärsverein geworden, der bejubelt, wie Merkel Deutschland ruiniert.“

ABER ES GIBT DOCH SUSHI!

Wer mit der Politik der Kanzlerin nicht einverstanden ist, muss mit dem Hinweis auf bestehenden Wohlstand rechnen. Frei nach dem Motto: In einem Land, dessen Kühltheken eine Auswahl von Bergkäse bis Sushi bieten, ist alles in bester Ordnung. Diese hedonistische Argumentation übersieht: Der Mensch lebt nicht von rohem Fisch allein …

WER ENTSENDET WEN?

Am 12. Februar 2017 tritt die Bundesversammlung zusammen. 1.260 Personen sind aufgerufen, den neuen Bundespräsidenten zu wählen.

VOLKSSÄNGERIN

Vor 60 Jahren starb die Kabarettistin und Chansonette Claire Waldoff, die im Berlin der Zwanziger ihre größten Erfolge feierte. In ihren Liedern („Nach meene Beene is ja janz Berlin verrückt“) beschrieb die Sängerin mit Hemdbluse, Krawatte, Bubikopf und kratzbürstiger Stimme oft das „Milljöh“, das auch ihr Freund Heinrich Zille zeichnete.

HUMBOLDTS KOSMOS

Alexander von Humboldts umfangreicher Nachlass hat eine bewegte Geschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Teile in die Jagiellonen-Bibliothek in Krakau gebracht, wo sie sich bis heute befinden. Nun aber ist die Hinterlassenschaft des großen Forschers, wie sie einst in der Preußischen Staatsbibliothek lag, virtuell wieder zusammengeführt. Jeder kann die Humboldt’schen Dokumente, darunter seine berühmten amerikanischen Reisetagebücher, im Internet durchforsten.

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