Nr. 38 vom 16.9.2016

Nr. 38 vom 16.9.2016

Standpunkt

Jutta Limbach und Angela Merkel

Als bekannt wurde, dass Prof. Dr. Jutta Limbach, die ehemalige Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts, am 10. September 2016 verstorben ist, wurden uns die Stationen der beeindruckenden Laufbahn der SPD-Politikerin in Erinnerung gerufen. Limbach, geboren 1934 in Berlin, wurde 1972 Professorin für bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht und Rechtssoziologie an der Freien Universität. Ab 1989 war sie Justizsenatorin des Landes Berlin. Ihre Ernennung zur Präsidentin des Bundesverfassungsgerichts erfolgte 1994.

Das Bundesverfassungsgericht teilte anlässlich der Todesnachricht mit: „Unter ihrem Vorsitz traf der Zweite Senat zahlreiche wichtige Entscheidungen, beispielsweise zur Strafbarkeit früherer DDR-Agenten und ‚Stasi’-Mitarbeiter wegen ihrer Spionagetätigkeit, zur Teilnahme Deutschlands an der europäischen Währungsunion, zum Kinderexistenzminimum und zum Länderfinanzausgleich.“

Unter Limbachs Vorsitz erging 1996 aber auch ein Urteil, das heute von besonderer Aktualität ist. Angesichts steigender Asylbewerberzahlen war 1993 im Rahmen des Asylkompromisses von CDU/CSU und SPD der Artikel 16a des Grundgesetzes geschaffen worden, der bis heute in Kraft ist – inzwischen aber weitgehend leerläuft. Nach Absatz 2 dieses Grundgesetzartikels kann derjenige kein Asyl beanspruchen, der aus einem sicheren Drittstaat ins Bundesgebiet einreist. EU-Mitgliedstaaten sind kraft Verfassungsrechts sichere Drittstaaten.

Das Bundesverfassungsgericht – Jutta Limbachs Zweiter Senat – hat diese Norm im Urteil vom 14. Mai 1996 einstimmig als verfassungemäß eingestuft. Karlsruhe stellte in diesem Zusammenhang auch fest, dass das Asylgrundrecht „nicht zum Gewährleistungsinhalt von Art. 1 Abs. 1 GG“ gehört – also nicht von der Menschenwürdegarantie umfasst ist.

Vor dem Hintergrund des vor 20 Jahren ergangenen Urteils lässt sich besser ermessen, was es bedeutet, dass Angela Merkel das Zentralstück des Asylkompromisses von 1993 aus den Angeln hob. Gleichzeitig mit der Wiedereinführung von Grenzkontrollen am 13. September 2015 drückte sie nämlich die Außerkraftsetzung der Bestimmung im Asylgesetz (§ 18 Absatz 2 Nr. 1) durch, wonach über sichere Drittstaaten kommenden Asylbewerbern an den bundesdeutschen Grenzen die Einreise zu verweigern ist.

In der Bundespolizei weiß daher inzwischen jeder Beamte, dass der Streit über die „Obergrenze“ eine Luftnummer ist. Man müsste nämlich nur das bestehende Asylgesetz anwenden – und an der Grenze zurückweisen. So wie Bundespolizeipräsident Dieter Romann dies im September 2015 vergeblich gefordert hat.

B. Schreiber

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 16. September 2016

KREUZBRAVE BURSCHEN

Junge Männer der „Identitären Bewegung“ trugen zu Beginn dieses Monats ein Holzkreuz auf den Schafreuter, einen 2.102 Meter hohen Gipfel im Vorkarwendel. Zuvor hatte ein unbekannter Täter das alte Gipfelkreuz zerstört. Den Burschen, die im Kreuz ein Symbol für das christliche Abendland erkennen, ging es auch darum, einer Tradition zu ihrem Recht zu verhelfen. Wie Medien aus dieser friedlichen Geste einen Skandal zu machen versuchten, ist bemerkenswert.

DER VERDAMMTE KLEBSTOFF

Wohl niemand in der Alpenrepublik hätte sich zu Beginn dieses Jahres träumen lassen, dass die österreichische Bundespräsidentenwahl zu einer unendlichen Geschichte werden könnte. Dann die Verschiebung des Termins, weil sich die Briefwahlumschläge nicht richtig schließen lassen. Das Wahlchaos könnte den Freiheitlichen nützen.

RUINÖSE GELDPOLITIK DER EZB

Mario Draghi, Präsident der Europäischen Zentralbank, wird trotz weiterer Verschärfungen seiner geldpolitischen Maßnahmen den Zerfall der Währungsununion nicht aufhalten können. Denkbar, dass die Euro-Politik mit einer anderen EZB-Spitze weniger desaströs ausgefallen wäre. Doch einen geeigneteren Präsidenten hatte Kanzlerin Merkel seinerzeit verhindert.

ES VERÄNDERT SICH …

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat mit ihrer Migrationspolitik dafür gesorgt, dass wir uns gegenwärtig mit Themen befassen, die vor kurzer Zeit noch absurd erschienen, wie etwa die Frage, ob wir in der Bundesrepublik Deutschland Kinderehen zulassen sollen oder nicht.

DAS SCHICKSAL DER RUSSLANDDEUTSCHEN

Mit großem Mitgefühl von Politikern und Medien können Russlanddeutsche nicht rechnen. So wurde auch kein Aufhebens davon gemacht, dass vor 75 Jahren der Oberste Sowjet in Moskau auf Geheiß Stalins die Deportation der an der Wolga lebenden Deutschen nach Sibirien befahl.

ZUM WOHLE DES KINDES?

Elterliche Rechte sollen auf bis zu vier Personen verteilt werden, so eine aktuelle Forderung der „Grünen“, vorgebracht vom Bundestagsabgeordneten Volker Beck, migrations- und religionspolitischer Sprecher seiner Partei. Wem wäre damit gedient und was steckt hinter solchen Vorstößen?

PERMANENTE REVOLUTION

Als Mao Tse-tung am 9. September 1976 in Peking starb, schien die Zeit für 900 Millionen Chinesen stillzustehen. Kein chinesischer Kaiser hatte in der Geschichte des Landes so gewaltig in das Leben jedes Einzelnen eingegriffen wie der kommunistische Führer. Wie wird er heute, 40 Jahre nach seinem Tod, gesehen?

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