Nr. 34 vom 19.8.2016

Nr. 34 vom 19.8.2016

Standpunkt

Mal eben in die Heimat?

Die „Flüchtlinge, die zu uns kommen und Schutz suchen“ sind ein stehender Begriff nicht nur in Merkel-Reden, sondern auf allen Ebenen bis hin zur Gemeindepolitik. Allerdings beginnt selbst die Bundesregierung auf ihrer Internetseite die Antwort auf die Frage „Warum kommen die Menschen ausgerechnet nach Deutschland?“ etwas anders: „Viele Menschen sehen in Deutschland ein Land der Hoffnungen und Chancen.“ Auch erfährt man: „Viele der neuen Flüchtlinge haben Freunde und Angehörige in Deutschland, die schon länger hier leben.“ Aber die Prämisse, dass Migranten in Deutschland grundsätzlich „Schutz suchen“, bleibt auch hier aufrecht, selbst wenn die Bundesregierung einschränkt: „Einige Flüchtlinge wollen aber auch nach Deutschland, weil ihnen Schleuser und Schlepper falsche Versprechungen machen und Gerüchte in die Welt setzen.“ Der „Flüchtling“ ist also in dieser Rhetorik immer Opfer: In der Regel muss er – in Deutschland – Schutz suchen oder, ausnahmsweise, ist er auf falsche Versprechungen hereingefallen.

Zur Unabhängigkeitsfeier nach Eritrea

Wer differenziertere Angaben schätzt, kann diese auch finden. So berichtete etwa die „Neue Zürcher Zeitung“ (NZZ) im Mai 2016: „Menschen aus aller Welt reisen dieser Tage nach Eritrea, genauer nach Asmara, um die 25-jährige Unabhängigkeit des Landes zu feiern – darunter auch in der Schweiz asylsuchende Eritreer, wie der norwegische Rundfunksender NRK berichtete und wie in der Freitagsausgabe der ‚Basler Zeitung’ zu lesen war.“

Die „Basler Zeitung“ hatte am 20. Mai 2016 gefragt: „Menschen, die angeblich an Leib und Leben bedroht sind, sich aber gleichzeitig freiwillig an jenen Ort zurückbegeben, von dem sie flüchteten: Wie geht das zusammen?“ Die Reaktion der Schweiz auf das Phänomen ist allerdings sonderbar. Anstatt die reisewilligen „Flüchtlinge“ reisen zu lassen und daraus im Asylverfahren die logischen Konsequenzen zu ziehen, gilt laut dem in der Nordwestschweiz tonangebenden Blatt der Grundsatz: „Anerkannten Flüchtlingen, vorläufig Aufgenommenen sowie Personen im Asylverfahren ist es grundsätzlich verboten, sich ins Herkunftsland zu begeben.

Schon im Dezember 2014 hatte die „NZZ am Sonntag“ berichtet: „Das Generalkonsulat verhilft Flüchtlingen zu Reisen nach Eritrea und zurück in die Schweiz. Es rät ihnen, mit hiesigen Reisepapieren nach Italien, Ägypten und in den Sudan zu fliegen, auf den dortigen eritreischen Botschaften eritreische Pässe oder Identitätskarten zu beziehen und mit diesen weiter in ihre Heimat zu reisen. Weil auf diese Weise in den Schweizer Papieren keine Stempel von eritreischen Grenzbehörden auftauchen, bleiben die Reisen den hiesigen Behörden verborgen.“

„Hinter Migrationsprojekten stehen oft ganze Familien“

Ein anderes Schlaglicht auf das Phänomen der Asylbewerberreise nach Hause, ohne dass dies für den einst in Europa „Schutzsuchenden“ im Herkunftsstaat relevante Nachteile zur Folge hätte, wirft der Artikel „Die Schande der Rückkehr“ in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ vom 4. August 2016. Die Redakteurin beginnt ihren Bericht über in ihre afghanische Heimat zurückkehrende Migranten mit einem Beispiel: „Als Toran Ahmad Haidari nach Afghanistan zurückkam, erwarteten ihn keine offenen Arme. Kein Seufzer der Erleichterung, dass er die Strapazen und die gefährliche Ägäis-Überfahrt auf dem Weg nach Deutschland heil überstanden hatte. ‚Ich war sehr wütend, als ich hörte, dass er zurückkommt’, sagt Marzia Haidari, Torans Mutter, eine Lehrerin, die nebenher noch schneidert. ‚Er hätte mehr Geduld haben müssen, dann hätte er uns unterstützen können.’ Sie sitzt im Besucherzimmer ihres Hauses in Kabul zusammen mit ihren beiden Söhnen und ihrer Tochter. Torans Bruder Sulaiman sagt: ‚Ich hab ihm am Telefon gesagt: Komm nicht zurück.’ Sulaiman hatte sein Taxi verkauft, damit Toran die 6500 Dollar für den Schlepper aufbringen konnte.“

Toran Haidari wolle sich nun „noch einmal auf den Weg nach Europa machen“, sein Bruder sei anderer Meinung: „Diesmal gehe ich.“ Die FAZ zitiert dazu den Sondergesandten der Internationalen Organisation für Migration (IOM) in Kabul, Laurence Hart, mit zwei Sätzen, die keine amtliche deutsche Stelle ausspricht, weil darin von Schutzsuche nicht die Rede ist: „Hinter Migrationsprojekten stehen oft ganze Familien, die das Projekt finanzieren. Mit leeren Händen zurückzukehren, kann ein Stigma sein.“

Es ist erklärlich, wenn Migranten zur Erreichung von Zielen falsche Angaben machen. Aber muss deshalb die eigene Regierung wesentliche Teile der Wahrheit unterschlagen?

B. Schreiber

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 19. August 2016

KRIEGSSPIELE GEGEN CHINA

In Ost- und Südostasien nehmen die Spannungen zwischen den USA und China zu. Der Aufstieg Pekings missfällt Washington. Eine namhafte Denkfabrik in den USA, die RAND Corporation, spielt jetzt in einer Studie recht ungeniert mehrere Kriegsszenarien durch. Dr. Bernhard Tomaschitz befasst sich damit.

DISSIDENT DES HERZENS

Der Dichter Reiner Kunze ist neben Wolf Biermann einer der prominentesten Dissidenten der DDR. Von keiner Ideologie ließ er, Mann der leisen Töne, sich vereinnahmen. Ein facettenreiches Leben.

NERVÖSER WAHLKAMPF

Der sich abzeichnende Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD) bei den bevorstehenden Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern treibt etablierte Parteien um. Aber deren Verantwortlichen mangelt es an Ideen.

EIN GRÜNES ZIEL?

Die „Grünen“ in Österreich haben das Ziel, einen Erfolg des FPÖ-Kandidaten bei der Wiederholung der Bundespräsidentenstichwahl am 2. Oktober zu verhindern. Die Absichten der Vorsitzenden Eva Glawischnig.

„GEORDNETE BAHNEN“

„Rund 150.000 registrierte Flüchtlinge“ hätten noch keinen Asylantrag abgegeben, erklärte das BAMF unlängst. Bis Ende September aber solle diese Zahl bei Null liegen. Wieso eigentlich? Nicht zuletzt die beträchtliche Zahl von Migranten, die nach der Registrierung verschwunden sind, zeigt, dass nicht jeder sich darauf berufen will, im Bundesgebiet Schutz vor Verfolgung zu suchen.

RISKANTE UTOPIE?

Vor zehn Jahren trat das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) in Kraft, mit dem europäische Richtlinien in ein einheitliches Antidiskriminierungsgesetz gebracht werden sollten. Jetzt werden „Nachjustierungen“ gefordert.

KAMPF DER „VOLLKOMMENEN“

Der Moderne Fünfkampf ist die vielleicht merkwürdigste Sportart im olympischen Programm – aber gleichzeitig auch eine der faszinierendsten. Das liegt vor allem an der Auswahl der Disziplinen: Die Athleten schwimmen, fechten, reiten und laufen. Wie sich diese Sportart entwickelt hat.

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