Nr. 22 vom 26.5.2017

Nr. 22 vom 26.5.2017

Standpunkt

Nicht jede Verschwörung ist bloß Theorie

Öffentlichkeitswirksam wurde der langjährige RTL-Journalist Hans Meiser vor die Tür des ZDF-Formates „Neo Magazin Royale“ gesetzt. Was hatte er verbrochen? Seit gut einem Jahr moderiert er gelegentlich Beiträge eines alternativen Internetmediums, „Watergate TV“, etwa zu den Themen „Genfood“ oder „Glyphosat“. Es handelt sich um eine Seite, die zwar betont um Aufmerksamkeit ringt, allerdings in keiner Weise an strafrechtliche Grenzen stößt. Natürlich steht sie letztlich in Konkurrenz zu ARD und ZDF und kann auf reichlich zustimmende „Klicks“ im Internet verweisen.

Für „Bild“ ist der Fall klar: „Der ehemalige Talkmaster (‚Hans Meiser’) ist das prominenteste Gesicht der Verschwörungs-Website ‚Watergate TV’, die mit reißerischen Videobeiträgen gegen Politiker und Konzerne hetzt.“ Dass Meiser dort bislang kaum eine Handvoll eigene Beiträge verfasst hat, interessiert nicht.

In seiner jüngsten Sendung trat Jan Böhmermann gegen seinen vormaligen Mitarbeiter noch nach. Das „Neo Magazin“ sei weder eine Bühne für Verschwörungstheorien noch Anlaufstelle für „gescheiterte Existenzen am Rande zur Kriminalität“. Zuletzt im April hatte Hans Meiser der Böhmermann-Sendung zuarbeiten dürfen, in der er ab und zu in die satirische Rolle eines „Wutbürgers“ oder in die des Bundespräsidenten „Hans Steinmeiser“ geschlüpft war. Das ZDF in einer Erklärung: „Derzeit sind keine weiteren Auftritte von Hans Meiser in der Sendung ‚Neo Magazin Royale’ geplant.“

Jahrzehntelang hat der Moderator, der Germanistik, Rhetorik, Geschichte und Kunstgeschichte studierte, als an Jan Böhmermann noch gar nicht zu denken war, keinen Grund zu Beanstandungen gegeben. Als Anerkennung gab es 1993 die Goldene Kamera und auch eine eigene, nach ihm benannte Talksendung bei RTL. Über Nacht sind seine Verdienste nun uninteressant geworden.

Der nebulöse Vorwurf „Verschwörungstheoretiker“ dient erneut als Keule gegen einen Abweichler. Dabei ist nicht jede Verschwörung bloß Theorie. Und weil es Verschwörungen (mögen sie auch Abreden oder Vereinbarungen heißen, subtil sein, stillschweigend zustande kommen oder allein auf übereinstimmenden Interessen beruhen) gibt, solange Menschen existieren, bleibt es wichtig, sie aufzudecken. Dazu sind, weil die etwaigen Beteiligten sich in der Regel nicht in der Öffentlichkeit miteinander abstimmen, tatsächlich zunächst Theorien notwendig, die es gegebenenfalls zu unterfüttern gilt.

SE

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 26. Mai 2017

RÜCKSCHLAG FÜR DIE EU-KOMMISSION

Der Europäische Gerichtshof hat in einem Gutachten festgelegt, dass bestimmte Freihandelsabkommen nur mit der Zustimmung der Parlamente aller EU-Staaten geschlossen werden dürfen. Das hat gravierende Auswirkungen.

FALL AMRI: WER HAT VERSAGT?

Was führte wirklich dazu, dass Anis Amri Amri am 19. Dezember 2016 den Anschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche verüben und zwölf Menschen töten konnte?

CAMPUS-WUT

Der Moralpsychologe Jonathan Haidt beobachtet an Universitäten in den USA das Schwinden der Meinungspluralität bei gleichzeitiger Dämonisierung und aggressiver Bekämpfung Andersdenkender. Er warnt, dass Europa von diesen Entwicklungen nicht verschont bleiben wird.

PLÖTZLICH UMWORBEN

Die Alternative für Deutschland (AfD) hat zuletzt in Baden-Württemberg, aber auch in Berlin teilweise spektakulär hohe Ergebnisse unter Russlanddeutschen erzielen können. Jetzt entdecken auch CDU/CSU und SPD diese Wählergruppe und umgarnen sie.

ÖSTERREICHS PARTEIEN FORMIEREN SICH

Nur eine halbe Woche nach dem Bruch der großen Koalition in Wien wurden die Weichen für die Abwicklung der rot-schwarzen Bundesregierung und Neuwahlen gestellt. Am 15. Oktober werden die Bürger der Alpenrepublik zu den Urnen gerufen. Der Wahlgang wirft seine Schatten voraus.

NEIN ZUM KRIEG!

Frieden und Freiheit statt Interventionismus und Krieg: Mit seiner Streitschrift „Schwerter zu Pflugscharen“ zeigt Polit-Haudegen Ron Paul, früherer Präsidentschaftskandidat und Abgeordneter im Repräsentantenhaus der Vereinigten Staaten zwischen 1976 und 2013, Alternativen zur jetzigen US-Außenpolitik auf.

SEHNSUCHTSORT

„Tiefster Ernst und vollkommene Unberührtheit“: Vor 125 Jahren gründete Paul Müller-Kaempff die Künstlerkolonie Ahrenshoop. Zu DDR-Zeiten hat der Ort im heutigen Mecklenburg-Vorpommern, der in einer Reihe mit Worpswede bei Bremen, Nidden in Ostpreußen oder Kampen auf Sylt zu nennen ist, auch Künstler angelockt, die neben Inspiration ein gewisses Dissidententum suchten.

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