Nr. 19 vom 5.5.2017

Nr. 19 vom 5.5.2017

Standpunkt

Wenn Schulz schreibt

Der Brief von Martin Schulz an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, und den EKD-Chef, Landesbischof Bedford-Strohm, verdient eine nähere Betrachtung. Schulz dankte den Kirchenoberen dafür, dass sich „in den vergangenen Tagen in Köln, aber auch darüber hinaus“ Kirchen und Religionsgemeinschaften „in aller Deutlichkeit gegen Ausgrenzung und Hass in jeder Form“ positioniert hätten. Gemeint ist die kirchliche Teilnahme an den Demonstrationen gegen den AfD-Parteitag vom 22./23. April.

Dann holte der SPD-Vorsitzende ganz weit aus: „Angesichts der unfassbaren und abscheulichen Vorwürfe, die auf dem Parteitag der sogenannten Alternative für Deutschland an diesem Wochenende zum Ausdruck gebracht wurden, ist es mir ein großes Bedürfnis, Ihnen meine tief empfundene Solidarität auszudrücken. In ungeheuerlicher Art und Weise sind die Kirchen massiv angegriffen worden. Aufrufe zum Kirchenaustritt sind unerhört.“

Vom unfassbar abscheulichen und ungeheuerlich unerhörten Synonymverschleiß einmal abgesehen: Was ist wirklich vorgefallen? Die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, der Evangelische Kirchenverband Köln und Region, das Katholische Stadtdekanat Köln und der Katholikenausschuss in Köln hatten sich an Aktionen gegen den AfD-Parteitag beteiligt. Das dazu gewählte Motto „Unser Kreuz hat keine Haken“ beinhaltete einen geschmacklosen Vergleich, der – soll nicht der Zweck die Mittel heiligen – auch als NS-Verharmlosung auf Widerspruch hätte stoßen müssen.

Daraufhin hat nicht etwa „die AfD“ ihre Mitglieder aufgefordert, aus der Kirche auszutreten, wie die FAZ unisono mit anderen Medien behauptete. Vielmehr war ein Bundesvorstandsmitglied, Armin Paul Hampel, über die Agitation von kirchlicher Seite so empört, dass er auf dem Parteitag sagte: „In dem Verein sollte von uns keiner mehr Mitglied sein.“ Zudem hatte der Bundesvorsitzende Professor Jörg Meuthen vor dem Parteitag mit Blick auf ein „Politisches Nachtgebet“ gegen die AfD erklärt, er sei gläubiger Christ, denke jedoch erstmals darüber nach, aus der Kirche auszutreten.

Was an diesen menschlich nachvollziehbaren Reaktionen unfassbar sein soll, bleibt das Geheimnis von Schulz. Unerhört im Sinne von nie dagewesen oder beispiellos sind sie erst recht nicht. Das sollte Schulz am besten wissen – als Vorsitzender einer Partei, in deren Geschichte es immer wieder Bestrebungen sogenannter „Freidenker“ gab, alle Parteimitglieder zum Kirchenaustritt aufzufordern oder von allen Funktionären den Nachweis des Kirchenaustritts zu verlangen, und in der die Tradition der „Pfaffenfresserei auf der Rednertribüne“ noch nicht allzu lang der Vergangenheit angehört.

Schulz beendete sein Schreiben an die Kirchenoberen mit den Worten: „Ich würde mich sehr freuen, wenn wir, abseits des Wahlkampfs, den Austausch für eine weltoffene Gesellschaft und wehrhafte Demokratie in unserem Land fortsetzen könnten.“ Der richtige Weg, die Demokratie zu schützen, läge jedoch darin, die Chancengleichheit jeder politischen Partei und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition gegen alle Versuche der Diskriminierung zu verteidigen.

Ulrich Wenck

Einige der aktuellen Themen in der Ausgabe vom 5. Mai 2017

„DER FALL LÜDERS“

Nahost-Kenner Michael Lüders äußerte sich in einer TV-Sendung zu Giftgasvorwürfen gegen Assad und sah sich prompt mit „Fake News“-Anschuldigungen konfrontiert. Lüders: „Es ist offenbar so, dass Teile der Mainstreammedien es sich nicht vorstellen können, dass man auf der Grundlage eigener Recherche und eigenen Nachdenkens zu einer kritischen Bewertung der westlichen Politik im Nahen und Mittleren Osten kommt.“

DAS LIBERALE GESICHT DER AFD

Alice Weidel neben Alexander Gauland als Spitzenkandidatin für die Bundestagswahl aufzustellen, kann sich als kluge Entscheidung der AfD erweisen. Denn die junge Unternehmerin ist an der Seite des politikerfahrenen Juristen eine Integrationsfigur nach innen und erhöht die Reichweite der Partei nach außen.

WAHLHELFERIN MERKEL

Großbritanniens Premierministerin Theresa May hat sich in den vergangenen Monaten viel Respekt erarbeitet. Bei den von ihr angesetzten Neuwahlen wird sie außerdem von der Schwäche der Labour-Partei und nicht zuletzt von dem wenig europäischen Kurs profitieren, den Angela Merkel gegen die EU-austrittswilligen Briten fährt.

EURO-RETTUNG

Bei der Frühjahrstagung des Internationalen Währungsfonds wurde einmal mehr der große US-Einfluss auf die Organisation deutlich. Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble überlegt, den Euro-Rettungsschirm ESM zu einem Europäischen Wahrungsfonds umbauen, falls der IWF nicht mehr bei der Rettung der Gemeinschaftswährung mitziehen will.

KEIN PLATZ FÜR SPORTLEGENDEN?

Gehören frühere sportliche Aushängeschilder der DDR in die Ruhmeshalle des deutschen Sports? Die hitzige Diskussion um diese Frage legt nicht die sportliche, sondern die ideologische Messlatte sehr hoch.

DER MALER DER REFORMATION

Anfang des 16. Jahrhunderts trafen in Wittenberg zwei epochale Gestalten aufeinander: Der Maler Lucas Cranach d. Ä. und der Mönch Martin Luther. Im Jubiläumsjahr stehen beide im Fokus der Öffentlichkeit. Denn schließlich war es Cranach, der mit seinen eindringlichen Porträts dafür sorgte, dass die umwälzenden Ereignisse der Reformation ein persönliches Gesicht erhielten.

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